Nadea* (15) lebt allein mit ihrer kranken und schwermütigen Mutter in einem Haus, das den Namen nicht verdient. Concordia hilft den beiden Frauen, den kalten moldauischen Winter zu überstehen.
Zum 32. Mal leuchtet heuer „Ein Licht im Advent“, die Weihnachtsaktion der Passauer Neuen Presse. In diesem Jahr unterstützen Ihre Spenden die Arbeit der Hilfsorganisation Concordia in der Republik Moldau. Hier können Sie direkt online spenden. Alle weiteren Infos und Berichte zur Spendenaktion finden Sie hier auf unserer Sonderseite.
Die Straßenverhältnisse werden mit jedem Kilometer schlechter. Als wir in Richtung Taraclia abbiegen, holpert der Kleinwagen, mit dem die Sozialarbeiterin der Hilfsorganisation Concordia ihr Ziel ansteuert, über einen mit tiefen Schlaglöchern überzogenen Weg. Unsere Reise endet an diesem kalten und nebeltrüben Novembertag in dem nur 1300 Einwohner zählenden Dorf Novosiolovca im Süden Moldaus vor einem Haus, dessen beste Jahre lange zurückliegen. In dem Sozialbau hat die Gemeinde eine Mutter und ihre Tochter untergebracht.
Das Haus, das nur aus zwei winzigen Zimmern ohne Bad besteht, verströmt aus jeder Pore tiefste Armut. Über dem nackten Lehmboden sind alte, muffig riechende Teppiche ausgelegt, die Wände fühlen sich klamm an. Auch dort hängen alte Teppiche und dicke Vorhänge – sie sollen die schlimmste Kälte abhalten. An der Decke flackert eine einsame Glühbirne, die nur spärliches Licht abgibt. Ein Ofen, der mit Feuerholz oder Briketts geheizt werden muss, ist die einzige Wärmequelle im Haus.
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Erwachsenen-Sorgen statt Teenager-Problemchen
Dass hier eine 15-Jährige leben soll, ist kaum vorstellbar. Es gibt keinen Fernseher, keine Plakate mit Popstars an den Wänden, keine Schminkutensilien oder andere teenagertypische Dinge, ohne die Mädchen in diesem Alter eigentlich nicht auskommen. Doch Nadea, die in dem Haus alleine mit ihrer 58 Jahre alten Mutter Valentina lebt, hat ganz andere Sorgen. Zum Beispiel, was sie heute essen oder wie sie den Ofen warm bekommen sollen.
Dorfbewohner hatten die Helfer von Concordia vor zwei Jahren auf die Situation von Valentina und Nadea aufmerksam gemacht. „Die beiden haben ganz schwere Zeiten hinter sich. Die Notfall-Hilfe von Concordia war für sie lebenswichtig“, erzählt Sozialarbeiterin Natalia Anghelceva, die die Familie betreut. „Lebensmittel, Kleidung, Hygieneartikel, Medizin – sie brauchten damals wirklich alles.“ Doch auch jetzt hätten die beiden noch immer Hilfe nötig, vor allem wenn die Tage kälter werden. „Ohne Unterstützung würden sie den Winter nicht überstehen“, sagt Natalia Anghelceva.
Die beiden Frauen leben von Valentinas monatlicher Behindertenrente in Höhe von 3600 Lei. Umgerechnet sind das etwa 170 Euro – ein Betrag, mit dem zwei Menschen in Moldau nicht überleben können, noch dazu wenn einer davon auf teure Medikamente angewiesen ist. „Wir müssen sparen, und manchmal reduziere ich die Dosis, damit die Medikamente länger reichen und wir uns was zum Essen kaufen können. Aber dann habe ich Schmerzen“, erzählt die Mutter.
Valentina leidet seit ihrer Kindheit an körperlichen Beeinträchtigungen, ihr Rücken fühlt sich oft taub an, hinzu kommen epileptische Anfälle. Von den Gebrechen gezeichnet wirkt Nadeas Mutter eher wie eine Greisin als wie eine 58-jährige Frau. Die Armut und die körperlichen Schmerzen haben die Frau schwermütig werden lassen. Oft spreche sie davon, nicht mehr leben zu wollen, erzählt die Sozialarbeiterin. Was das ohnehin schwierige Verhältnis zu ihrer 15-jährigen Tochter noch mehr belaste. „Nadea ist verzweifelt und leidet im Stillen.“
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Die jüngste Tochter war nie gewollt
Denn nach außen lässt sie sich nichts anmerken. Sie hat sich einen emotionalen Panzer zugelegt. Nadea kleidet sich in übergroßen, burschikosen Klamotten, gibt sich cool und antwortet auf die Fragen der Besucher nur in kurzen Sätzen. Ja, sie gehe gerne in die Schule. Ja, sie habe gute Noten, vor allem in Mathematik. Auch den Schachclub an der Schule möge sie. Wie sie das Leben hier finde? „Okay“, sagt Nadea. „Ich mache, was zu tun ist.“
Die Kälte zwischen Mutter und Tochter mag vielleicht auch an den Umständen liegen, wie Valentina ihr viertes Kind bekam. Ihre ersten drei Kinder, die schon lange eigene Familien gegründet haben, stammen von ihrem verstorbenen Ehemann. Nadea aber war nicht gewollt. Ein Mann nutzte damals die Hilflosigkeit der kranken Witwe aus – Valentina wurde ungewollt schwanger. Dann ging er in seine russische Heimat zurück, wo er heute bei seiner Mutter lebt.
Immerhin bekennt er sich zu seiner Tochter. Vor allem aber die Großmutter übernahm Verantwortung und besuchte ihre Enkelin, als sie noch kleiner war, immer wieder in Moldau, erzählt die Sozialarbeiterin. Sie sei für das Mädchen eine wichtige Bezugsperson. Doch seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sind diese Besuche nicht mehr möglich. In Kontakt stehen Nadea und ihre Großmutter aber immer noch. „Meine Großmutter sagt, ich soll gute Noten schreiben, damit es mit meiner Ausbildung klappt.“ Nadea möchte nach der Schule einen medizinischen Beruf ergreifen, vielleicht Krankenschwester werden. Doch die Ausbildung kann sie sich in Moldau nicht leisten.
Eine gute Ausbildung ist ihre einzige Rettung
Nach Russland zu ihrer Großmutter zu gehen, vielleicht dort zu studieren, das wäre für das Russisch sprechende Mädchen eine Alternative – doch der Ukraine-Krieg hat diese Pläne erst mal gestoppt. Die Mitarbeiter von Concordia denken über Stipendien nach, mit deren Hilfe Nadea ihren Traum auch in Moldau verfolgen kann.
Valentina ist für jede dieser Überlegungen dankbar. Froh, dass sie die Helfer von Concordia an ihrer Seite weiß. Sie ahnt, dass sie ihre Tochter nicht mehr allzu lange und auch nicht gut genug unterstützen können wird. Dass ihr Kind noch schneller erwachsen werden muss, als es ohnehin schon ist. „Ich wünsche mir für Nadea, dass sie die Schule beendet und einen guten Beruf wählt“, sagt Valentina und nickt ihrer Tochter zu.
Beide wissen, dass es Nadeas einzige Chance ist, der Armut und der beklemmenden Kälte ihres Zuhauses zu entfliehen.
* Der Name wurde aus Kinderschutzgründen von der Redaktion geändert.
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