Die Kinderkliniken und Praxen im Land kämpfen wegen Infektionswellen mit einer Flut an jungen Patienten. Gesundheitsminister Holetschek sieht das Problem beim Personalmangel - und schlägt Maßnahmen vor.
Zur Entlastung der überfüllten Kinderkliniken in Bayern hat Gesundheitsminister Klaus Holetschek sich für Abweichungen von der Personaluntergrenze und einen Abbau von Bürokratie ausgesprochen. Die Kliniken sollten die zur Verfügung stehenden Kapazitäten bestmöglich nutzen und alle vertretbaren Maßnahmen zur Besserung der Lage ergreifen, sagte der CSU-Politiker am Donnerstag nach einer Krisensitzung mit Medizinern und Infektiologen in München.
Grund für die überfüllten Kliniken sind schwere Atemwegserkrankungen, an denen derzeit extrem viele Kinder leiden. Die jungen Patienten haben sich meist mit dem RS-Virus angesteckt, der vor allem für Säuglinge und Kleinkinder gefährlich werden kann. Auch Influenza und Lungenentzündung sind häufig. Nach Einschätzung von Medizinern könnte die Infektionswelle noch mehrere Wochen andauern - die Kapazitäten in den Klinken sind bereits jetzt erschöpft.
Im Landtag äußerte die Opposition am Donnerstag teils scharfe Kritik an der Gesundheitspolitik der Regierung. Die derzeitige Notsituation treffe auf «strukturelle Defizite, die schon länger bestehen», sagte die Abgeordnete Ruth Waldmann (SPD). Holetschek wies die Kritik entschieden zurück: «SPD und Grüne verkennen die Ursachen für die gegenwärtige enorme Belastungssituation in den Kinderkliniken». Schuld sei nicht etwa ein Mangel an Finanzierung oder Organisation, sondern die steigende Anzahl an RSV-Infektionen und der enorme Personalmangel im Gesundheitsbereich.
«Teilweise kann es sinnvoll sein, vorübergehend auf Pflegepersonal von Erwachsenenstationen zurückgreifen, damit sich die Kinderkrankenpflegekräfte auf die jüngeren Patientinnen und Patienten konzentrieren können», sagte Holetschek. Als «Notnagel» hatten sich dafür im Landtag auch die Grünen ausgesprochen. «Bevor diese jungen Patienten nicht versorgt werden, müssen wir auf solche Maßnahmen zurückgreifen», sagte die Grünen-Abgeordnete Christina Haubrich.
Zudem sagte Holetschek, Schulen und Horte sollten auf die Vorlage von Attesten für kranke Kinder verzichten. Die Ärzte in den Praxen und Kliniken müssten sich jetzt um die Versorgung der Kinder kümmern und nicht um Bürokratie. Weitere denkbare Maßnahmen zur Entlastung seien die Unterbringung der Kinder auch über Nacht in einer Tagesklinik, die kritische Überprüfung aller Klinikeinweisungen und letztlich auch die Rückstellung aufschiebbarer Eingriffe.
«Wir sind an der Belastungsgrenze», sagte Matthias Keller, Leiter der Kinderklinik Dritter Orden in Passau und Vorsitzender der süddeutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin. Die Zimmer seien oft doppelt belegt, es fehlten zum Teil Monitore, um die Kinder zu überwachen und Geräte zur Atemunterstützung. «Wir haben Regionen in Bayern, wo wir schon im Normalzustand auf Kante genäht sind.» Die Folge: «Manche Patientenzimmer sind wie Bettenlager, da muss man wirklich über die Betten krabbeln, um zum kranken Kind zu kommen, weil sich Elternbett an Patientenbett reiht.»
Außerhalb des Freistaates ist die Lage nicht besser. «Von 110 Kinderkliniken hatten zuletzt 43 Einrichtungen kein einziges Bett mehr auf der Normalstation frei. Lediglich 83 freie Betten gibt es generell noch auf pädiatrischen Kinderintensivstationen in ganz Deutschland - das sind 0,75 freie Betten pro Klinik, also weniger als eines pro Standort», teilte die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) in München mit.
Einen der Hauptgründe für die Infektionswelle sehen die Mediziner in den Corona-Maßnahmen. Normalerweise steckten sich 90 Prozent aller Kinder in den ersten beiden Lebensjahren mit dem RS-Virus an. «Das hat nicht stattgefunden, dann fehlen die Antikörper, deshalb haben wir jetzt diese ausgeprägte Welle», erläuterte Keller.
Zudem habe die Pandemie «die Infektwellen über das Jahr, die normalerweise einem gewissen Rhythmus erfolgen, verschoben, so dass wir seit einem Jahr eine kontinuierliche Infektwelle haben», sagte Dominik Ewald, Vorsitzender des hiesigen Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte. Krippen- und Kindergartenkinder seien ebenso wie Grundschüler einem andauernden Infektstress ausgesetzt, der das Immunsystem nie richtig zur Ruhe kommen lasse.
Holetschek appellierte an alle Pflegekräfte, die nicht mehr in dem Beruf arbeiten, in der Krise zu helfen: «Die aktuelle RSV-Welle trifft die beruflich Pflegenden mit voller Wucht - das gilt insbesondere für Kinderpflegerinnen und -pfleger! Jede weitere helfende Hand zählt.» Trotz der schwierigen Lage müsse sich niemand Sorgen machen, dass kranke Kinder nicht behandelt würden.
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