Die Bauern sind wütend auf die Bundesregierung. Finden sie bei ihren Protesten die richtige Balance? Innenminister Herrmann fordert zur Einhaltung der Gesetze auf.
Die Bauern sollen auf einen Teil ihrer Steuererleichterungen verzichten - das wollen sie mit massiven Protesten verhindern. Dabei gehen sie nicht den Weg des Dialogs, sondern direkt auf die Straße. In der kommenden Woche sind in Bayern 208 Versammlungen mit Tausenden Traktoren angemeldet, wie Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) am Freitag in Nürnberg bekannt gab. Darunter sind Großkundgebungen in München, Augsburg und Nürnberg am Montag, Mittwoch und Freitag. Herrmann kündigte an, auch die Bereitschaftspolizei einzusetzen, um die Lage im Griff zu behalten.
Teilweise scheint die Grenze zwischen rechtmäßiger Demonstration und bloßer Blockade zu verschwimmen. Dabei hat die Bundesregierung bereits ihren Plan fallengelassen, die Kfz-Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge aufzuheben. Die Abschaffung der Agrardiesel-Vergünstigung soll dagegen bleiben, wenn auch auf drei Jahre gestreckt. Das genügt den Bauern nicht.
Bayerns Bauernpräsident Günther Felßner, auch Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes, erteilte zwar Trittbrettfahrern und Extremisten eine klare Absage. Er kündigte aber auch an, die Landwirte würden weitere Eskalationsstufen zünden, sollte die Bundesregierung bis Anfang übernächster Woche nicht einlenken. „Wir werden notfalls Deutschland lahmlegen.“
Von „Eingriffen in die Infrastruktur“ ist die Rede, und von möglichen Versorgungsengpässen in der Bevölkerung bei Lebensmitteln. Schon am Montag wollen Landwirte auch an Zufahrten von Autobahnen und Bundesstraßen demonstrieren. Es sei davon auszugehen, dass Auffahrten stark eingeschränkt und teilweise nicht möglich sein werden, warnte etwa das Landratsamt Haßberge.
Gleichzeitig rief Felßner seine Leute auf, die Grenzen der Gesetze zu wahren und Versammlungen ordnungsgemäß anzumelden. Die Proteste fallen in eine Zeit, in der auch die Lokführergewerkschaft GdL deutschlandweit massive Arbeitsniederlegungen angekündigt hat. In bayerischen Schulen wird über Distanzunterricht diskutiert, Arbeitgeber schicken ihr Personal ins Homeoffice.
Innenminister Herrmann steht daneben als der Bauernpräsident seine Überlegungen für eine Eskalation der Proteste darlegt. Herrmann hat Sympathie für die politischen Ziele der Landwirte, die eine wichtige Wählergruppe für seine CSU darstellen. Er kommt aber auch nicht umhin, die aufgebrachten Bauern zur Ordnung zu rufen. „Das Verfolgen eines hehren Zieles ist keine Rechtfertigung, Straftaten zu begehen“, sagte Herrmann und fügte hinzu: „Gezielte Blockaden werden wir nicht tolerieren.“ Auch für Blockaden von Autobahnen nur um der Blockade Willen sieht er keine Grundlage.
Den Grünen im bayerischen Landtag geht das nicht weit genug. „Besonders mit Blick auf die Angriffsversuche auf Robert Habeck muss sich der bayerische Innenminister von Protestierenden, die Grenzen überschreiten, deutlich distanzieren und klare Worte zu den Regeln des demokratischen Miteinanders finden“, forderte Fraktionschefin Katharina Schulze. Bundeswirtschaftsminister Habeck (Grüne) war am Donnerstag von aufgebrachten Bauern am Verlassen einer Fähre gehindert worden.
Auch vom Bund Naturschutz in Bayern (BN) gab es Kritik. Das Vorgehen der Bundesregierung sei unglücklich gewesen, sagte der Landesvorsitzende Richard Mergner. Die Bauern bräuchten in diesen aufgeheizten Zeiten Verlässlichkeit und Ruhe. Aber: „Fremdenfeindliche Äußerungen, Misthaufen im öffentlichen Raum, Galgensymbole und zuletzt die Blockade von Minister Habeck persönlich sind nicht akzeptabel.“ Es sei gut, dass sich der Bauernverband von derlei Störaktionen distanziert habe. Den von den Bauern abgelehnten Kompromiss zum Agrardiesel wertet er als akzeptabel. Die Landwirtschaft hänge noch immer am fossilen Tropf. Die Subventionen für Agrardiesel nun schrittweise abzubauen, sei ein erster Schritt, um die nötige Transformation in der Landwirtschaft einzuleiten.
Aus der bayerischen Staatsregierung kommt hingegen Unterstützung. Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) nannte das Entgegenkommen des Bundes einen „unmoralischen, faulen Kompromiss“. Zugleich rief auch sie die Bauern auf, friedlich zu demonstrieren. „Trotz aller Berechtigung bitte ich alle Demonstrierenden, sich an die Regeln zu halten und keine Straftaten zu riskieren. Bitte achten Sie zudem alle darauf, dass keine radikalen und verfassungsfeindlichen Kräfte die friedlichen Demonstrationen unterwandern und für ihre Zwecke missbrauchen.“
Die Bauern sind schon in den vergangenen Tagen bei ihren Protesten weit gegangen. Im 25.000-Einwohner-Städtchen Hammelburg fuhren bei einer Demonstration 600 teils schwere Traktoren auf und blockierten weite Teile der Stadt. Auch in Bayern wurden Fälle bekannt, wo auf Feldern Galgen aufgebaut wurden, an denen symbolisch Ampeln aufgehängt wurden. Herrmann betonte, die Staatsanwaltschaften hätten bekannt gewordene Fälle nicht als strafrechtlich relevant beurteilt.
Herrmann richtete einen eindeutigen Appell an die Landwirte: „Ich kann nur dringend raten, die Grenzen richtig zu setzen“, warnte er und fügte hinzu: „Das haben wir den Klimaklebern immer vorgehalten, das gilt auch nach wie vor uneingeschränkt.“ Mit bloßen Blockaden sei niemandem geholfen. Die Klimaaktivisten hätten erfahren müssen, wie schnell der Rückhalt in der Bevölkerung schwinden kann, wenn Aktionen als überzogen gewertet werden.
Bauernpräsident Felßner sprach dagegen von „sympathischen Protesten“, die Rückhalt bei 80 Prozent der Deutschen hätten, darunter auch bei anderen Berufsgruppen wie Metzgern oder Bäckern.
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