Die Hälfte des Jahres müssen Ioan* (7) und sein Bruder Vasile (9) ohne ihre Mutter auskommen. Sie jobbt in England, um die Familie ernähren zu können. In dieser Zeit leben ihre Söhne bei „Doamna Tatiana“, ihrer ehemaligen Kindergärtnerin.
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An den Tagen, an denen die Sehnsucht nach der Mama zu groß wird und bei Ioan (7) und Vasile (9) Tränen fließen, schnürt sich auch Tatjana Pascals Herz zu. „Wenn die Buben leiden, leide ich auch“, sagt die 51-Jährige, die den Brüdern ein Zuhause auf Zeit gibt.
„Ich nehme sie dann fest in den Arm, tröste sie und versuche die beiden Jungs, so gut es geht abzulenken.“ Sie selbst hätte es nie zugelassen, mehr als ein halbes Jahr am Stück von ihren Kindern getrennt zu sein, doch sie weiß: „Ihre Mutter ist in einer anderen Situation. Sie arbeitet hart, dass sie sich und ihren Söhnen ein besseres Leben bieten kann.“
Seit 2021 jobbt die Mutter der Jungen von September bis März in England als Erntehelferin in großen Gewächshäusern. Jeden Cent, den sie dort verdient, steckt die alleinerziehende Mutter in das Haus der Familie in Tudora, einem Dorf im Osten Moldaus, das direkt an der Grenze zur Ukraine liegt. „Mama hat für mich und Vasile ein Zimmer eingerichtet. Das hat viel Geld gekostet“, erzählt der siebenjährige Ioan. „Jetzt arbeitet sie wieder, damit wir ein Badezimmer kriegen. Wir haben kein Klo im Haus, nur ein Plumpsklo draußen im Garten.“
Die Eltern der Brüder sind geschieden, der Vater arbeitete zwischendurch in Israel, sieht und unterstützt die Kinder nur unregelmäßig. Tatiana Pascal kennt die Umgebung, in der die Buben aufgewachsen sind. „Vasile hat mir erzählt, dass sie früher nicht viel zu essen hatten, dass sie im Winter oft frieren mussten.“
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„Die Mutter hat sich das sicher nicht leicht gemacht“
Seit der Trennung der Eltern habe sich die Lage weiter verschlechtert. Die Entscheidung der Mutter, sich einen besser bezahlten Job im Ausland zu suchen, sei daher existenziell gewesen. „Sie hat sich das sicher nicht leicht gemacht“, sagt Tatiana Pascal. „Im Sommer 2021 ist sie auf mich zugekommen und sagte, sie suche jemanden, dem sie ihre Kinder anvertrauen könne, während sie im Ausland arbeite. Damit hat sie eigentlich mich gemeint.“
Tatiana Pascal, deren zwei erwachsene Kinder längst ihr eigenes Leben führen, kennt die Brüder aus dem Kindergarten, in dem sie früherer arbeitete. „Die Kinder sind sehr liebe Jungs und schlau, aber es war trotzdem eine große Herausforderung für mich“, erzählt die 51-Jährige. „Doch mein Mann hat gesagt, er unterstützt mich. Er liebt Kinder und hat mich ermuntert, es zu machen.“
Für Ioan und Vasile ist Tatiana längst wie eine zweite Mama. Trotzdem nennen sie ihre ehemalige Kindergartentante noch immer „Doamna Tatiana“ (Deutsch: Frau Tatiana) wie früher im Kindergarten. Die Brüder teilen sich ein eigenes Kinderzimmer, spielen mit Tatianas Katzen und genießen die warme familiäre Atmosphäre im Haus der 51-Jährigen.
Inzwischen arbeitet die Sozialpädagogin im Tageszentrum der Concordia in ŔTudora, in das auch die beiden Jungs fünf Mal die Woche kommen. „Ioan und Vasile waren schon vor mir da“, erzählt Tatiana Pascal. „Ihre Mutter hatte bei Concordia angefragt, ob sie dorthin kommen dürfen. Das warme Mittagsessen und die Hausaufgabenbetreuung sind eine große Erleichterung für die Mutter“, sagt Tatiana. Und da sie dort arbeite, seien die Jungs auch in der Zeit des Jahres dabei, in der sie bei ihr leben. „Mir gefällt es da. Wir machen Hausaufgaben, spielen Schach oder mit Superhelden-Figuren“, erzählt Ioan.
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Viele Kinder verkraften Trennung auf Zeit nicht gut
Tatiana Pascal hofft, dass sie die Abwesenheit der Mutter ausgleichen kann, dass sich die Brüder weiter so gut entwickeln. Selbstverständlich sei das nicht. Denn dass es vielen verlassenen Kindern in Moldau eben nicht gut geht und sie neben Essen, warmer Kleidung und Fürsorge vor allem auch psychologische Hilfe brauchen, weiß Tatiana Pascal von ihrer Arbeit bei Concordia.
Was wäre, wenn Ioan und Vasile mit ihr keine zweite Mama gefunden hätten? „Ich weiß es nicht“, sagt Tatiana Pascal. „Wahrscheinlich wären die Kinder in entsetzlicher Armut bei einer verzweifelten Mutter aufgewachsen.“
* Die Namen der Kinder wurden aus Kinderschutzgründen von der Redaktion geändert.
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