Spendenaktion 2024
Die alte Frau und die Einsamkeit: Moldauerin (74) kann nach Schlaganfall nicht mehr aufstehen

16.12.2024 |
Philipp Hedemann

Nur ganz selten verlässt Pistimia Gafin (74) ihr Bett, an das sie nach einem Schlaganfall vor sieben Jahren gefesselt ist. Der einzige Lichtblick des Tages ist der Besuch der Concordia-Mitarbeiter, die ihr ein warmes Essen vorbeibringen.  − Fotos: Philipp Hedemann

Weil sie seit einem Schlaganfall nicht mehr aufstehen kann, bringt Concordia der 74-jährigen Pistimia Gafian das Essen ans Bett und durchbricht so zumindest ein Mal am Tag ihre Einsamkeit.

  


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Das heiße Essen oder die warmen Worte – Pistimia Gafian weiß nicht, was wichtiger ist. Beides ist für die 74-Jährige überlebensnotwendig. Seitdem sie vor sieben Jahren einen Schlaganfall erlitten hat, kann die alleinstehende Frau nicht mehr ohne Hilfe aufstehen. Seitdem bringen ihr Mitarbeiter und ehrenamtliche Helfer der Concordia-Sozialkantine in Ghetlova, im Zentrum Moldaus, Essen ans Bett. An vielen Tagen sind die Helferinnen und Helfer die einzigen Menschen, die sie sieht.

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Geschickt schiebt eine Concordia-Mitarbeiterin Pistimia Gafian ein Kissen hinter den Rücken, hilft ihr vorsichtig, sich aufzurichten. Nur so kann sie im Bett die Suppe essen, die die Koordinatorin der Concordia-Sozialkantine ihr an einem kalten Donnerstagmittag im November vorbeigebracht hat. Das Bett hat die zerbrechlich wirkende Seniorin in den letzten Jahren nur selten verlassen. „Danke, das schmeckt gut“, sagt sie mit der seit dem Schlaganfall schwerfälligen Zunge, nachdem sie mit zittriger Hand und großer Anstrengung den ersten Löffel der dampfenden Suppe zum Mund geführt hat und versucht ein Lächeln.

Ende der Sowjetunion bedeutete ihr Berufs-Aus

Seit 33 Jahren muss Pistimia Gafian lernen, sich auch über die kleinen Dinge im Leben zu freuen. Das Leben hat sie dazu mit aller Härte gezwungen, denn seitdem 1991 die Sowjetunion zusammenbrach, ließen größere und kleinere Katastrophen auch ihr Leben immer weiter zusammenbrechen.

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Mit dem Ende der Sowjetunion endete auch ihr Berufsleben. Als die nahe gelegene Kolchose abgewickelt wurde, wurde auch der einzige Job, den Gafian je hatte, abgewickelt. In der neuen Zeit brauchte niemand mehr eine Kolchosen-Buchhalterin. Ohne eine Aufgabe und Kolleginnen und Kollegen vereinsamte Gafian, die nie einen Partner gefunden und keine Kinder bekommen hatte, immer mehr. Anfangs hatte sie zumindest noch eine alte Mutter, um die sie sich kümmern musste, doch auch sie ist – wie so vieles in Gafians Leben – schon lange tot. Vielleicht waren es der Kummer und die Einsamkeit, die das Herz der alten Frau krank werden ließen. Vor zehn Jahren musste sie am Herzen operiert werden, drei Jahre später erlitt sie den Schlaganfall, der sie teilweise lähmte.

Concordia und Nachbarin sind einzige Sozialkontakte

Gafians Welt ist seitdem noch kleiner geworden. Die Frau, die nie woanders als in dem kleinen maroden Häuschen ihrer Eltern am Rand des im Winter so trostlosen Dorfes Ghetlova gewohnt hat, kann das Bett nur noch mit Hilfe verlassen. „Am Wochenende, wenn die Sozialkantine geschlossen ist, bringt meine Nachbarin mir etwas zu essen und schürt den Ofen ein. Ansonsten bin ich alleine“, berichtet Gafian.

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Die alte Frau, der nur selten jemand zuhört und die es nicht mehr gewohnt ist, zu sprechen, strengen die paar Worte an. Sie ist müde. Müde vom Sprechen, müde vom Schlafen, müde vom Alleinsein, müde vom Leben. Sie hofft, nach dem Mittagessen im Bett trotz der Schmerzen vom ewigen Liegen gleich wieder einschlafen zu können. Wenn sie schläft, träumt sie manchmal von der guten alten Zeit. Die gute alte Zeit endete 1991.

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