PNP-Spendenaktion
Ein Signal der Hilfe und des Mitgefühls

23.01.2021 | Stand 20.09.2023, 0:22 Uhr

"Ein großes Dankeschön an alle Leserinnen und Leser": UNICEF-Geschäftsführer Christian Schneider mit dem symbolischen Spendenscheck. −Foto: UNICEF

Wofür die Spenden der PNP-Leser jetzt eingesetzt werden und was die Nothilfe auf Lesbos so erschwert, erläutert UNICEF- Geschäftsführer Christian Schneider im Interview.

Alle Berichte und Hintergründe zur Spendenaktion finden Sie auf unserer Sonderseite.

Herr Schneider, die Leserinnen und Leser der Passauer Neuen Presse haben im Rahmen der coronabedingt kleiner ausgefallenen Weihnachtsaktion die unerwartet stolze Summe von über 205 447 Euro gespendet. Was passiert nun mit den Geldern?
Christian Schneider: Zunächst mal gilt Ihrer Zeitung und Ihren Lesern ein großes Dankeschön. Ich freue mich sehr darüber. Dieses Ergebnis zeigt, dass vielen Menschen trotz der Corona-Pandemie der Blick über den Tellerrand wichtig ist. Jeder gespendete Euro hilft konkret, und jede einzelne Spende ist zeitgleich ein Signal für die Familien und Kinder in den griechischen Flüchtlingslagern, dass andere Menschen an sie denken. Nun geht es darum, dass 2500 Kinder in Kara Tepe und den anderen Notlagern den Winter überstehen. Wir müssen die Lager mit Wasserleitungen und Sanitäreinrichtungen ausstatten, damit die Menschen sich heiß duschen und waschen können. Auch eine Kanalisation muss aufgebaut werden. Das wird leider noch einige Wochen dauern, aber wir betrachten das gerade als unsere Hauptaufgabe, denn hier geht es um Gesundheit und Menschenwürde. Ich denke, jeder kann sich in die unangenehme Situation hineinversetzen, wie es sich anfühlt, wenn man keine Dusche oder keine saubere Toilette zur Verfügung hat. Und wie schlimm das gerade für junge Mädchen und Frauen ist.

Die Zustände in den Lagern auf Lesbos haben sich über den Winter dramatisch verschlimmert, wie Augenzeugen erzählen. Sie klagen, die Lager seien ein "gewolltes Verbrechen". Was berichten Ihre Kollegen vor Ort?
Christian Schneider: Ich kann die dramatische Lage nach den Bildern und Beschreibungen unseres Teams bestätigen. Wir haben Tausende Kinder, die in einfachen, teils überfluteten oder beschädigten Zelten leben – das ist eine unzumutbare Situation in Europa und überall auf der Welt. Diese Kinder und Jugendlichen erleben nach Flucht und Gewalt erneut ein Trauma. Sie müssen den heftigen Winter im Lager verbringen und sehen keine Horizonte. Es besteht große Gefahr für ihre Gesundheit, auch ihre seelische, und ihren Schutz.

Warum gestaltet sich die Hilfe so schwierig?
Christian Schneider: Die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben, auf die sich Europa und Griechenland geeinigt haben, verläuft sehr zäh, um es mal vorsichtig zu sagen. Da stehen Fragen im Raum wie: Bleibt das Camp an diesem Ort? Und wie lange?

Verschleppt die Politik also die Hilfe ganz bewusst?
Christian Schneider: Nach dem Brand in Moria stand am Anfang die Bemühung, den Menschen, die nicht aufs griechische Festland oder anderswohin konnten, Nothilfe zu leisten. Das muss man anerkennen. Aber jetzt wird es zur Hängepartie. Wer kann die Insel verlassen? Wer muss bleiben? Es geht darum, eine menschenwürdige Situation für die Flüchtlinge auf Lesbos zu schaffen.

Corona macht die Situation nicht einfacher. Für welche zusätzlichen Probleme sorgen die Pandemie und ihre Folgen?
Christian Schneider: Der Lockdown in Griechenland, der zwischendurch verschärft wurde, bedeutet, dass die Bewohner im Lager noch beschränkter leben müssen. Sie können zum Beispiel das Lager kaum mehr verlassen. Durch die hygienischen Mängel ist auch die Gefahr einer Covid-Ausbreitung hoch. Gleichzeitig haben die Helfer nur eingeschränkten Zugang zum Lager. Das Wenige, das wir vor dem Lockdown anbieten konnten, musste nochmals reduziert werden. Aber zumindest sind nun erste Lockerungen im Gespräch, das wäre ein Lichtblick.

UNICEF kümmert sich neben den Wasser- und Sanitäraufgaben vor allem um Bildung. Wo sehen Sie die Prioritäten?
Christian Schneider: Zunächst geht es darum, die unzumutbare Lebenssituation zu verbessern. Aber der Blick muss sich auch nach vorne richten. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, Schulzelte einrichten zu können. Unsere mobilen Teams erreichten vor dem Lockdown täglich etwa 500 Kinder – je nach Witterung und den gestarteten Bauarbeiten. Doch es geht darum, alle 2500 Kinder dauerhaft beschulen zu können.

Die Kinder in den Lagern wachsen in dem Bewusstsein auf, dass Europa sie im Stich lässt. Was macht das mit ihnen?
Christian Schneider: Das Thema seelische Gesundheit wird für UNICEF immer wichtiger. Viele dieser Flüchtlingskinder sind seit Jahren einem toxischen Stress ausgesetzt, schwanken zwischen Gewalterfahrungen und ständiger Unsicherheit, Ausweglosigkeit und Perspektivlosigkeit. Sie finden keine Zeit zum Verarbeiten, Depressionen und Suizidgedanken nehmen zu. Das zeigt uns, dass wir neben der Bildung auch vermehrt therapeutische Angebote machen müssen. Diese Kinder brauchen dringend Ideen für einen Neuanfang.

Das Interview führte Eva Fischl.