München/Weiden
Todesschüsse: Oberpfälzer Behörde ermittelt gegen CSSR-Soldaten

26.07.2019 | Stand 19.09.2023, 23:11 Uhr

−Symbolbild: Markus Scholz dpa/lno/lmv

Mord verjährt nicht. Nicht bei Soldaten und auch nicht bei Politikern. Die Staatsanwaltschaft Weiden und das Bayerische Landeskriminalamt ermitteln jetzt gemeinsam mit tschechischen Kollegen gegen 41 Grenzsoldaten und verantwortliche Politiker der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik (CSSR). Vier Bürger der ehemaligen DDR waren bei Fluchtversuchen zwischen 1967 und 1986 an der Grenze zu Bayern und Österreich erschossen oder von Hunden zu Tode gebissen worden.

1. Fall
Am Sonntag, den 27. August 1967, versuchten vier Männer aus der ehemaligen DDR im Alter zwischen 18 Jahren und 28 Jahren aus der CSSR nach Österreich zu fliehen. Mit ihrem Auto fuhren sie laut Polizei direkt an den Sperrzaun der Grenzanlage. Sie kletterten von ihrem Autodach über den Zaun, liefen zum dahinterliegenden Grenzfluss March und schwammen in Richtung Österreich. Als sie einen Steinwall im Fluss erreichten, eröffneten Grenzsoldaten der ehemaligen CSSR das Feuer auf sie. Ein 28-jähriger Flüchtender wurde von den Gewehrkugeln eines 20-jährigen Grenzsoldaten tödlich getroffen. Die anderen drei Männer konnten das österreichische Ufer erreichen.

2. Fall
Am 6. August 1977 versuchte ein 38-Jähriger mit seiner Ehefrau und seinen drei Kindern von der CSSR nach Bayern zu flüchten. Der Familienvater schnitt ein Loch in den Grenzzaun, nahe der Ortschaft Marienbad. Die Familie schlüpfte hindurch und versuchte, die bayerische Grenze zu erreichen. Durch Schüsse der bereits alarmierten Grenzwachen wurde der 38-jährige Familienvater tödlich getroffen. Seine Gattin und die drei Kinder blieben unverletzt. Sie wurden festgenommen und den Behörden der damaligen DDR überstellt.

3. Fall
Ein 22-Jähriger wagte am 21. August 1977 den Versuch. Mit einem Bekannten grub er sich unter dem Sperrzaun hindurch. Dabei wurde ein Alarm bei den Grenzwachen ausgelöst. Grenztruppen eilten zu dem Fluchtort und gaben Warnschüsse ab. Davon ließen sich die Beiden nicht von der Flucht abhalten und liefen weiter in Richtung West-Deutschland. Bei den daraufhin Schüssen traf ein damals 19-jähriger Grenzsoldat den flüchtenden 22-Jährigen, der kurze Zeit später seinen Verletzungen erlag. Sein Begleiter wurde festgenommen und an die DDR ausgeliefert.

4. Fall
Ein damals 18-Jähriger versuchte in den Abendstunden des 8. August 1986 nahe der Stadt Bratislava über die Grenze in Richtung österreichisches Staatsgebiet zu gelangen. Nachdem er den ersten Sperrzaun bereits überwunden hatte, löste er beim Durchschneiden des zweiten Sperrzaunes einen Alarm aus. Zwei Grenzwächter mit Diensthunden machte sich auf die Suche nach ihm. Als sie den jungen Mann entdeckten, ließen sie die Hunde von der Leine, die als sogenannte "selbstständig attackierende Hunde" eingesetzt wurden und den Flüchtenden nur 22 Meter vor der Staatsgrenze stellten. Durch Bissverletzungen im Hals- und Kopfbereich wurde der Flüchtende so stark verletzt, dass er später im Militärkrankenhaus in Bratislava starb.

Gemeinsame Ermittlungsgruppe geht Grenzvorfällen auf die Spur

Die Fälle wurden laut Polizei bereits im August 2016 als Tötungshandlungen im Grenzgebiet von der "Platform of European Memory and Conscience" (PEMC) beim Generalbundesanwalt angezeigt. Die Staatsanwaltschaft Weiden hat die Ermittlungen übernommen. Diese geht seitdem gemeinsam mit dem Bayerischen Landeskriminalamt den damaligen Grenzvorfällen auf die Spur. Ähnliche Taten wurden von der PEMC auch in der Tschechischen Republik angezeigt. Die Ermittlungen werden dort durch die Staatsanwaltschaft Prag 1 geführt.

Um die gleichlaufenden Ermittlungen in der Tschechischen Republik und Deutschland bestmöglich koordinieren zu können, wurde laut Polizei nun mit Unterstützung von EUROJUST zwischen den beteiligten Staatsanwälten und Ermittlern eine Gemeinsame Ermittlungsgruppe, ein sogenanntes Joint Investigation Team (JIT) gegründet. Das erste Treffen der Beteiligten im Rahmen dieses JITs zur Absprache weiterer Ermittlungsschritte fand nun am 25. Juli in Weiden statt.

Im Focus der Ermittlungen stehen 41 Personen - vom Grenzsoldaten bis hin zu noch lebenden Mitgliedern des damaligen Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der CSSR.

− vr