Landshut
Häftling: Medizinische Versorgung in JVA Landshut ist "katastrophal"

21.04.2019 | Stand 21.09.2023, 22:40 Uhr
Alexander Schmid

Blick auf den Innenhof der JVA Landshut. −Foto: Schmid

Ein Prozess in Landshut wirft Fragen auf, was die medizinische Versorgung in Bayerns Haftanstalten betrifft. Ein ehemaliger Strafgefangener berichtet von Fehlbehandlungen, Überlastung und schlampiger Organisation. Die Behandlung der Häftlinge sei "katastrophal".

Zumindest auf dem Papier, das kann das Justizministerium belegen, ist alles in Ordnung: Auf 11.502 Gefangene in den 36 Justizvollzugsanstalten in Bayern kommen aktuell 49 Planstellen für hauptamtliche Anstaltsärzte, dazu 228 Stellen für Pfleger. So viel Personal für eine Anzahl von Menschen, die der Größe einer Kleinstadt entspricht, ist stattlich. Zusätzlich würden externe Fachärzte zu Sprechstunden in Justizvollzugsanstalten verpflichtet.

Ein Prozess, der derzeit in Landshut stattfindet und das, was ein ehemaliger Strafgefangener berichtet, wirft allerdings Fragen auf. Von einer Fehlbehandlung ist die Rede, von Überlastung der Mediziner und Organisationsverschulden. Wie viele der Planstellen derzeit unbesetzt sind, kann das Justiz-Ministerium auf Anfrage nicht sagen.

Arzt wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht

Ein 34 Jahre alter Arzt muss sich derzeit in der niederbayerischen Bezirkshauptstadt wegen fahrlässiger Tötung vor dem Amtsgericht verantworten. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft hat der junge Mediziner die Anzeichen einer drohenden Lungenembolie bei einem Gefangenen nicht erkannt, der ihn zwei Mal, am 11. und am 17. Februar konsultiert hatte. Er hatte dem 25-Jährigen lediglich ein Schmerzmittel verschrieben. Am 28. Februar 2018 war der Häftling um 7.40 Uhr leblos in seiner Zelle aufgefunden worden. Kurze Zeit später starb er im Krankenhaus. Der Anwalt des Mediziners, Dr. Thomas Krimmel aus Landshut, fuhr im Prozess schweres Geschütz gegen den Arbeitgeber des Arztes, die JVA, auf. Er sprach von einem Organisationsverschulden. Sein Mandant, sagte er im Prozess, sei ein "blutiger Berufsanfänger". Der "Tattag", sei erst sein sechster Arbeitstag in der JVA gewesen, er habe keine Facharztausbildung und "keine praktische Erfahrung", wurde nicht einmal ordentlich eingearbeitet. Der Anwalt sprach von "Personalmangel und Arbeitsüberlastung".

"Gerade so, damit du nicht stirbst"

Es scheint zu dem zu passen, was ein ehemaliger Häftling berichtet. Wegen Betrugs saß Hubert J. (Name von der Redaktion geändert) aus dem Landkreis Landshut zunächst in U-Haft in Landshut ein, später in einem anderen bayerischen Gefängnis in Oberbayern. Insgesamt 18 Monate verbüßte er hinter Gitter. Weil eine Entzündung in seinem Knie während seiner Haftzeit seiner Meinung nach nicht richtig behandelt worden sei, könne er derzeit in seinem alten Job als Busfahrer nicht arbeiten. "Ich kann das Bein nicht mehr anwinkeln", sagt er. Eine "richtige" Behandlung bekomme er erst jetzt in Freiheit. In der Haft gebe es eben nur die absolut notwendige medizinische Betreuung, "gerade so, damit du nicht stirbst." Die Versorgung der Gefangenen sei in seinen Augen "katastrophal" und er erzählt die Geschichte von einem Mithäftling. Dessen Termin für die Chemotherapie gegen Darmkrebs sei einfach vergessen worden, behauptet er. "Egal was Du hast: Dort bekommt man Ibuprofen, Voltaren oder eine Schlaftablette."

Ob solche Vorwürfe stimmen oder nicht, lässt sich nur schwer nachprüfen. Justizvollzugsanstalten sind abgeschottete Bereiche. Bekannt werden Fälle vor allem dann, wenn sie juristisch aufgearbeitet werden wie jetzt in Landshut. Doch das passiert nicht oft. Auch Hubert J. denkt nicht daran, gegen die Justiz beziehungsweise den Anstaltsmediziner mit Rechtsmitteln vorzugehen. Er ist froh, wenn er mit dem Justizapparat nichts mehr zu tun hat. Doch der Vorfall, der jetzt in Landshut vor Gericht ist, stimme mit dem überein, was er erlebt habe. "Das macht mich wütend", sagt er.

Gerichtliche Strafverfahren gegen Anstaltsärzte extrem selten

"Vergleichbare gerichtliche Strafverfahren gegen Anstaltsärzte kommen im bayerischen Justizvollzug nur extrem selten vor", teilt das Justizministerium in Bezug auf den Fall in Landshut auf Anfrage mit. "Soweit hier im Haus bekannt, wurde aufgrund eines Vorfalls im Jahr 2008 ein gerichtliches Strafverfahren gegen einen Anstaltsarzt der Justizvollzugsanstalt Nürnberg wegen fahrlässiger Tötung geführt", so Ministeriums-Sprecher Aaaron Buck. Das Verfahren endete sowohl in erster wie auch in zweiter Instanz mit einem Freispruch.

Prozessbeobachter aus den Kreisen der Justiz glauben, dass sich Krimmel im aktuellen Fall auf die falsche Strategie für den jungen Anstaltsmediziner versteift hat. Statt Zustände in der JVA anzuprangern, von Personalmangel, Organisationsverschulden und Überlastung zu sprechen, müsse man sich doch erst einmal fragen, ob überhaupt ein medizinisches Versagen vorliege. Denn zwar sieht ein Rechtsmediziner natürlich Ursache und Wirkung – in diesem Fall eine Thrombose in der linken Wade, die dann zu einer Lungenembolie führte. Allerdings stelle sich doch die Frage, ob ein Mediziner außerhalb der JVA bei dem 25 Jahre jungen Mann, er hatte zunächst Schmerzen in der Wade und dann in der Brust, ebenfalls sofort die richtigen Schlüsse gezogen hätte.
Immerhin hat der Strafverteidiger mit seiner Vorgehensweise einen ersten Teilerfolg erzielt. Richter Michael Pichlmeier setzte die Verhandlung aus, um den Beweisanträgen der Verteidigung nachzukommen. Die Hauptverantwortliche Anstaltsärztin und den JVA-Leiter will Krimmel als Zeugen laden. Und der Richter stellte sich die Frage, was man von einem Berufsanfänger erwarten könne.

Justizministerium will personelle Verstärkung

Für das Justizministerium ist dagegen klar: Alle Anstaltsmediziner seien approbierte Ärzte mit allen Rechten und Pflichten dieses Berufsstandes. Für die Berufszulassung hätten sie alle notwendigen theoretischen und praktischen Bestandteile in verschiedenen medizinischen gebieten erfolgreich absolviert. Weiter heißt es: "In jeder bayerischen Justizvollzugsanstalt ist eine ausreichende, zweckmäßige und den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit entsprechende medizinische Grundversorgung sichergestellt". Ob derzeit Stellen unbesetzt sind, kann man nicht mitteilen. Die Zahl vorübergehend unbesetzter Stellen würden statistisch nicht erfasst. Lieber kümmere man sich darum, Vakanzen so schnell als möglich zu beenden. "Unabhängig davon wird auch bei einer Verzögerung der Nachbesetzung einer Arztstelle gegebenenfalls durch vorübergehenden Einsatz von Honorarärzten die ärztliche Versorgung der Gefangenen stets sichergestellt."

Die den gesetzlichen Vorgaben entsprechende angemessene medizinische Versorgung der Gefangenen mit dem derzeit vorhandenen Personal sei jedenfalls gewährleistet. Weil die Gefangenenzahlen derzeit steigen, will sich das Justizministerium aktuell übrigens für eine personelle Verstärkung in den kommenden Doppelhaushalten einsetzen. Für diese Stellen müssen sich dann nur noch approbierte Mediziner finden. Egal ob erfahren oder nicht.