Hochwasser
Rückblick: Vor zehn Jahren überflutete das Jahrhundert-Hochwasser Passau

Wie es zur Katastrophe kam, wie sie verlief und welche Welle der Hilfsbereitschaft losrollte

31.05.2023 | Stand 16.09.2023, 21:12 Uhr

Verschwommen im wahren Wortsinn ist Passau auszumachen, irgendwo da in der Wasserwüste. PNP-Fotograf Thomas Jäger hilft „seiner“ Stadt in diesen Tagen auf seine Weise: Er dokumentiert tagelang die Katastrophe, stundenlang in Gummistiefeln unterwegs (wie viele andere auch), die Kamera hoch in der Hand, damit sie nicht nass wird.

Im Juni 2013 lebten in Passau 48.874 Menschen. Und es gibt 48.874 Hochwasser-Geschichten. Mindestens.



Die Jahrhundert-Flut vor zehn Jahren gehört zu den einschneidenden Ereignissen wie die Terroranschläge von 9/11: Jeder weiß, wie sich die Nachrichten darüber anfühlten, wo man war, was man tat.

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Natürlich kommt ein Hochwasser nicht mit Blitz und Knall, es ist eine schleichende Katastrophe. Wasser kommt still, aber auch zerstörerisch. Diese Stille über der Stadt gehört zu den prägenden Eindrücken in den Tagen nach dem 3. Juni 2013, dem Tag der Höchstpegel, als die Donau in Passau auf apokalyptische 12,89 Meter explodierte und der Inn bis 10,20 Meter alles mit sich riss, was nicht festbetoniert war. Nur zur Einordnung: Die Normalpegel liegen etwa bei fünf und zwei Metern.

Das sind die nüchternen Zahlen, die Geschichte und Geschichten dahinter erzählt die Passauer Neue Presse in mehreren Sonderseiten, regional in den Lokalteilen und überregional am 3. Juni auf der Seite 3 und im Bayern-Teil.

Ort der schlimmsten Auswirkung ist nicht der Ort der Ursache



Ein Hochwasser diesen Ausmaßes benötigt einen weiteren Blick, denn der Ort der schlimmsten Auswirkung ist nicht der Ort der Ursache. An den Oberläufen der Flüsse sammelt sich das Unheil an und macht sich dann auf die Reise nach unten in Richtung Schwarzes Meer. Und auf diesem Weg liegen dann eben einige Flaschenhälse, einer der schimmerndsten heißt Passau.

OB Jürgen Dupper hatte wahrscheinlich diese Wasser-Landkarte im Kopf, als er 2013 mit Blick auf die braune Brühe, die seine Stadt verschluckt hatte, sagte: „Das kann halt entstehen, wenn halb Bayern nach Passau hin entwässert.“

3. Juni, der Tag des Höchststands



Dabei sah alles ganz anders aus vor der verhängnisvollen Kalenderwoche 22 vor zehn Jahren. Der 3. Juni, der Tag des Höchststands, war ein Montag. Dass es Hochwasser geben wird, das war klar – wieder einmal. Am Freitag, 31. Mai, rechnete man im Rathaus damit, dass Meldestufe 2 erreicht wird, die gilt ab einem Donaupegel von sieben Metern. Der damalige Stadtbrandrat Dieter Schlegl telefonierte mit Kollegen in Österreich und blickte danach heller auf die nächsten Tage: „Positiv wirkt sich aus, dass es im Salzburger Land zum Teil bis in die Niederungen schneit.“ Dadurch schwelle der Inn langsamer an. Und außerdem sollten die Staustufen alles möglichst versetzt nach Passau lenken.

Die PNP sah sich bei den Vorbereitungen aufs Hochwasser um. „Gelassenheit prägt die Stimmung in der Altstadt“, lautete das Fazit. Dass diese Gelassenheit innerhalb von nicht einmal zwei Tagen und Nächten in blankes Entsetzen umschlägt, das gehört zu den prägenden Merkmalen dieser Katastrophe: Viele werfen den Behörden vor, dass sie nicht oder viel zu spät gewarnt hätten. Hochwasser war angesagt, Sintflut nicht.

Betreiber der Wasserkraftwerke im Fadenkreuz



Und als Zweite standen auch die Betreiber der Wasserkraftwerke im Fadenkreuz. „Die Österreicher haben uns absaufen lassen!“, hörte man oft im Nachgang. Die PNP hat die Verbund AG aktuell danach befragt – keine Antwort.

Das ist die eine Frage, die andere lautet: Wurde Passau nicht richtig gewarnt? 9,50 Meter lautete die amtliche Prognose, dass es fast dreieinhalb Meter mehr wurden, das rief im Juni 2013 OB Jürgen Dupper (SPD) auf den Plan, der dem damaligen Umweltminister Marcel Huber (CSU) schrieb. Die 9,50-Meter-Warnung habe geschadet, denn vorsorglich aufgebaute Stege zum Beispiel versanken in der trüben Flut und gefährdeten Rettungsboote und Retter. Die Zeit für den sinnlosen Aufbau von Spundwänden und Sandsack-Barrikaden hätte man besser fürs Ausräumen nutzen können. Hubers Antwort: Der Hochwassernachrichtendienst (hnd) sagte schon am 1. Juni 10,64 Meter voraus. Die Niederschläge seien in der richtigen Größenordnung vorhergesagt worden, die räumliche Verteilung änderte sich allerdings von Prognose zu Prognose, „und das für eine Fläche, die insgesamt etwa ein Viertel der Fläche Bayerns ausmacht“, verteidigte sich Minister Huber.