Der Start-Euphorie folgte allzu schnell der Herbst-Blues: Die Straubing Tigers, stolzer Eishockey-Erstligist aus dem Gäuboden, hinken seit Wochen den Erwartungen hinterher – den eigenen wie denen der Fans. War das 4:0 in Augsburg die Trendwende? Eine Analyse.
Der Erfolg ist im Eishockey nicht zuvorderst eine Frage des Talents. Und schon gar kein Selbstläufer. Sondern Spieltag für Spieltag das Ergebnis harter Arbeit. Sehr harter Arbeit.
Gemessen daran könnte der absolut hochverdiente und ungefährdete 4:0-Erfolg der Straubing Tigers am Sonntag bei den bislang so stark aufspielenden Augsburger Panthern durchaus Signalwirkung für den weiteren Saisonverlauf der Niederbayern in der Deutschen Eishockey-Liga haben – sofern das Team von Chefcoach Tom Pokel endlich die in den Vorjahren beinahe schon selbstverständlichen fünf großen „K“ aufs Eis bringt: Körpersprache, Kampf, Konsequenz, Kontrolle, Konstanz.
Traum vom Meistercoup
Mit den ersten Champions-League-Erfolgen Anfang September und dem fulminanten 7:2-DEL-Auftakt gegen Düsseldorf sahen selbst neutrale Beobachter, ganz zu schweigen von Tausenden euphorisierter Fans, schon die Titel-Kampfansagen einiger Profis anlässlich der Teampräsentation auf dem Gäubodenfest wahr werden. Der Traum vom Meistercoup in der Beletage des deutschen Eishockey - keine Utopie mehr unterm Pulverturm?
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Was folgte, war der große Herbstblues – ausgerechnet im „heißen“ Oktober mit einem Monsterprogramm von zwölf Partien binnen 30 Tagen, darunter ermüdende Auswärtstrips in teils 700 Kilometer entfernte Spielorte. Sechs der neun bislang ausgetragenen Spiele gingen verloren – trotz teilweise drückender Überlegenheit, trotz riesigem Chancenplus. Das unbefriedigende Ergebnis: als Titel-Geheimfavorit plötzlich Drittletzter. Und die berechtigte Frage: Warum läuft’s diese Saison einfach nicht?
Geballte Ratlosigkeit
„Keine Ahnung!“ Die geballte Ratlosigkeit in der Antwort von Lokalmatador und Leistungsträger Marcel Brandt (32) – ausgerechnet von einem, der immer antreibt, immer vorangeht, keinen Zweikampf scheut – nach dem 2:4 vom Freitagabend gegen die Grizzlys Wolfsburg, war in dem Moment natürlich auch der vierten Heimpleite am Pulverturm in Folge geschuldet. Wo die Tigers denn ansetzen müssten, um die Misere zu beheben, wollte der Reporter von MagentaSport dann noch wissen. Brandt: „Überall!“
Und, welch Wunder: Keine 48 Stunden später fruchtete der Rat des Routiniers. Beim Gastspiel im Augsburger Curt-Frenzel-Stadion zeigte die Pokel-Truppe einen Auftritt wie aus einem Guss − inklusive sämtlicher bislang so häufig vermisster Grundtugenden.
Körpersprache: Angefangen vom extrem sicheren und reaktionsschnellen Torwart Zane McIntyre, der seinen ersten DEL-Shutout feierte, bis zu den jungen Torschützen Josh Samanski (22), Danjo Leonhardt (22), Elis Hede (23) oder dem zuvor so glücklosen Rückkehrer Taylor Leier (1 Tor, 1 Assist) strahlten alle Tigers-Akteure Selbstbewusstsein, Sicherheit und absoluten Siegeswillen aus.
Kampf: Harte Checks, neun geblockte Schüsse, 36:24 Torschüsse und eine positive Zweikämpfe-Bilanz zeugen von einer kämpferischen Einstellung, wie sie die Mannen um den aktuell verletzten Kapitän Mike Connolly in dieser Spielzeit nicht immer an den Tag gelegt hatten. Das bisweilen beinahe körperlose Defensivverhalten nutzten einige Gegner wie zuletzt Wolfsburg, Köln oder Fribourg-Gotteron in der Champions Hockey League zu einer Vielzahl viel zu leichter Gegentreffer. „Unsere Härte ist nullkommanull da“, beklagte Brandt noch gegen Wolfsburg.
Konsequenz: Selbst bei den bislang sieben DEL- und drei CHL-Niederlagen hatten die Tigers fast immer deutlich mehr Torschüsse abgefeuert als die Gegner – doch selbst einstige Topscorer wie Connolly, Leier, Travis St. Denis oder Marcel Müller verpassten regelmäßig beste Einschussmöglichkeiten. „Wenn die Scheibe erst mal reinfällt, kommen wir auch ins Rollen“, hatte ein frustrierter Samanski noch gegen Wolfsburg zu Protokoll gegeben. Es klang schon wie eine Durchhalteparole fürs Phrasenschwein – genauso wie Leonhardt eine Woche zuvor nach der 0:2-Pleite in Köln: „Irgendwann platzt der Knoten, dann gehen die Dinger auch rein.“ Gegen Augsburg gingen sie endlich rein – und die lange ersehnte Effektivität vorm Tor wurde mit zwei Powerplay-Treffern gekrönt. Dazu kam ein perfektes Penalty-Killing bei sieben Strafzeiten gegen Straubing.
Kontrolle: Die Scheibensicherheit eines Nick Mattinen (DEL-Spieler des Jahres 2024/zu den Toronto Maple Leafs), Benedikt Kohl, Cody Lampl (beide Karrierende) oder Parker Tuomie (Köln) adäquat zu ersetzen, ist auf dem „Straubinger Weg“ mit dem Einbau junger deutscher Talente natürlich schwierig. In Augsburg gelang es aber seit langem wieder, leichte Scheibenverluste zu minimieren, Turnovers zu vermeiden und einen Vorsprung nicht nur cool zu verwalten, sondern in den entscheidenden Momenten auch auszubauen.
Da waren sie also wieder, die vier großen „K“: Kampf, Körpersprache, Konsequenz, Kontrolle. Fehlt jetzt nur noch das fünfte: Konstanz. Die können sich die Tigers nun in den drei anstehenden Oktober-Partien erarbeiten: Freitag (19.30 Uhr) in Frankfurt, gefolgt von den Heimspielen am Sonntag (16.30 Uhr) gegen Iserlohn und Mittwoch, 30. Oktober (19.30 Uhr/alle live auf MagentaSport) gegen Nürnberg. Und dann ist gerade mal das erste Viertel der Hauptrunde absolviert. Genug Zeit also, auch wieder an der Euphorie unterm Pulverturm zu arbeiten.
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