Zum 300. Geburtstag
Passauer Singspiel als Modell für Mozart

Theaterwissenschaftler Matthias J. Pernerstorfer stellt Abschlussband zu jahrelanger Forschung vor

18.07.2024 | Stand 18.07.2024, 16:02 Uhr |

Buchpräsentation beim Verein für Ostbairische Heimatforschung: Der Wiener Theaterwissenschaftler Dr. Matthias J. Pernerstorfer (l.) stellte den über 800 Seiten dicken Band zu Joseph Frieberts „Serail“ vor. Präsident Dr. Markus Eberhardt hat eine Biografie über den Passauer Dom- und Hofkapellmeister geschrieben. Der Hollitzer-Verlag hat sich auf Sachbücher über Musik und Theater spezialisiert. − Foto: Rabenstein

Von Edith Rabenstein

Im letzten Vortrag des Sommersemesters hat die Ostbairische Heimatforschung einen Knüller präsentiert: Der Wiener Theaterwissenschaftler, Musikforscher und Direktor des Don-Juan-Archivs, Dr. Matthias J. Pernerstorfer, stellte sein jüngstes Buch als Herausgeber vor: „Ein Modell für Mozart. ,Das Serail‘ von Joseph Friebert (1778)“. Die Oper ist die einzige in Passau komponierte, von der das Libretto und die Partitur erhalten sind. Friebert wirkte 33 Jahre lang als Dom- und Hofkapellmeister in Passau. Im Dezember wird sein 300. Geburtstag gefeiert.

Bevor der österreichische Gast zu dem langjährigen Forschungsprojekt sprach, gab Vereinspräsident Dr. Markus Eberhardt, der bereits eine Biografie zu dem Musiker veröffentlicht hat, einen Überblick über dessen Leben und Werk. Geboren wurde Friebert am 5. Dezember 1724 in Gnadendorf in Niederösterreich. Er war Sängerknabe in Melk, Tenorist und Mitglied des Wiener Hoftheaterensembles und Sänger am Kärntnertortheater in Wien. „Damit dürfte er sich für Passau qualifiziert haben“, so Eberhardt. 1763 kam er in die Dreiflüssestadt und verdiente erst 500 und schließlich 645 Gulden, was dem Einkommen eines Hofbeamten entsprach. Zudem bekam er eine Dienstwohnung im 1. Stock des Theaters, das noch heute Intendantenstöckl heißt. Mit seiner Frau, der Sängerin Therese Kern, die er ein Jahr später heiratete, kam er auf ein Jahresgehalt über 1000 Gulden und galt damals als „sehr, sehr wohlhabend“.

Der Schwerpunkt von Frieberts Tätigkeit war die Entwicklung des Musiktheaters in Passau. Er hat unter drei Fürstbischöfen gedient, die dem Theater sehr positiv gegenüberstanden. „Der Trend war: Weg von der italienischen Opera Buffa, hin zum deutschen Singspiel“, so der Referent. Von seinem Leben ist wenig bekannt: Aus einer Affäre mit einer Tochter eines Hofkanzlisten ist eine Tochter hervorgegangen. Im Alter von 73 Jahren stellte er 1795 ein Pensionsgesuch, dem stattgegeben wurde. Am 6. August 1799 starb Joseph Friebert und wurde im Innstadtfriedhof begraben. Er komponierte neben der Kirchenmusik acht Opern; drei sind fragmentarisch erhalten. Bekannt wurde er auch durch die Bearbeitung des Karfreitags-Instrumentalsatzes von Joseph Haydn; Friebert komponierte einen 4-stimmigen Chorsatz dazu: „Die sieben Worte des Erlösers am Kreuz“.

Warum beschäftigt sich ein Wiener Institut über Jahre hinweg mit einem Passauer Kapellmeister? Diese Frage stellte Dr. Matthias J. Pernerstorfer an den Anfang seines Vortrags. Sein Blick hinter die Kulissen war höchst interessant: 2006 hat der Gründer und langjährige Leiter des Don-Juan-Archivs Wien, Hans Ernst Weidinger, dem das Buch gewidmet ist, ein Notenkonvolut von einer Ischler Familie im Dorotheum in Salzburg ersteigert. Darunter habe sich eine Sensation befunden: die Noten zur Oper „Das Serail“ von Joseph Friebert. Die Musik galt bis dahin als verschollen. Seitdem gab es eine kontinuierliche Forschung am Wiener Institut im Rahmen des Forschungsschwerpunkts „Europäisches Theater“. Dann ging es Schlag auf Schlag: 2016 wurde eine Forschungskonferenz in Wien dem „Serail“ gewidmet; 2018 gab es ein Symposion zum Thema; 2020 ein Opernkonzert mit Nummern aus Frieberts „Serail“ und Mozarts „Zaide“.

Der Höhepunkt findet in diesem Jahr, dem 300. Geburtstag von Joseph Friebert statt: Das Buch, in dem alle Forschungsarbeiten und Symposionsbeiträge aufgenommen sind, ist fertig. Und: Die Europäischen Wochen führen mit dem Passauer Konzertverein Frieberts „Serail“ halbszenisch auf. Der Klavierauszug der Oper ist fertig; nach der Aufführung soll das Werk publiziert werden.

Matthias J. Pernerstorfer räumte auch mit einigen „Legenden“ rund um das Stück auf, z. B., dass das Libretto des Singspiels von Franz Joseph Sebastiani stamme („er lebte zu dieser Zeit nicht mehr“), oder dass das Stück in Wels uraufgeführt wurde, wohl eher in Erlangen und Nürnberg durch die Bernersche Theatertruppe. Sie hatte auch in Passau gastiert – mit dieser Oper? „Das wissen wir nicht, es ist nicht belegt“, so Pernerstorfer. Belegt sei auch nicht, ob Mozart die Oper kannte, wohl aber, dass sein Librettist, Johann Andreas Schachtner, von dem Libretto wusste, das es in einer Bozener Fassung gibt. Es gibt Textgleichheiten von „Serail“ und „Zaide“. Dieses erste Mozart-Singspiel gelte als Vorläufer für sein späteres Werk „Die Entführung aus dem Serail“. „Frieberts Oper hat seit dem Bekanntwerden eine Relevanz in der Mozart-Forschung“, sagt Pernerstorfer. Zudem, weil Friebert wie auch Mozart einen Stoff bearbeitete, der in Mode war: Orientalismus und das Motiv des guten Herrschers. Sein „Serail“ von 1778 könnte also ein Modell für Mozarts „Zaide“ (1780) gewesen sein.

Das 823 Seiten dicke Buch bietet eine Projektbeschreibung, eine Einführung in das „Serail“ und ein Lebensbild Frieberts. Es zeigt auch den politischen, religiösen und kulturellen Kontext auf. So beschäftigen sich Kapitel mit Friebert als Sänger in Wien und als Hofkapellmeister in Passau; weitere bieten Informationen zum Werk des Komponisten und Interpretationsansätze zum „Serail“. Außerdem wird das Singspiel in Kontext der zeitgenössischen Theaterproduktionen untersucht und es wird die Tradition der Serail-Stoffe vorgestellt. Die Dramaturgie von Frieberts „Serail“ und Mozart „Zaide“ werden einander gegenübergestellt. Das Libretto in der Bozener Fassung von Frieberts „Serail“ ist abgedruckt.

Der Band, der im Hollitzer-Verlag erschienen ist, kostet 88 Euro.


Am Samstag, 27. Juli, 19.30 Uhr, gibt es im Rathaussaal eine konzertante Wiederaufführung der „Serail“-Oper mit dem Sinfonieorchester des Passauer Konzertvereins unter der Leitung von Dr. Markus Eberhardt. Die Solisten sind Yitian Luan (Sopran), Sinja Maschke (Mezzosopran), Mario Eckmüller (Tenor) und Alexander Geiger (Tenor), dazu Dr. Matthias Pernerstorfer (Autor Zwischentexte), Aret Güzel Aleksanyan (Erzähler); 18 Uhr: Einführung ins Werk durch Dr. Markus Eberhardt. Karten unter: 0851/560 9626

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