Regen/Brüssel
Ihr Herz schlägt für Europa

03.09.2012 | Stand 03.09.2012, 12:40 Uhr

Katharina von Schnurbein aus Regen arbeitet in Brüssel im Beratergremium von EU-Kommissionschef Barroso. Mit der Öffnung des Eisernen Vorhangs 1989 hat sich das Leben von Katharina von Schnurbein (38) aus Schlossau bei Regen verändert. Und das, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt erst 15 Jahre alt war. Die Veränderung war auch nicht gleich offensichtlich, kam vielmehr unterschwellig und schleichend. "Das Gefühl, dass hinter dem Wellenbad in Bayerisch Eisenstein die Welt nicht aufhört, das war befreiend", beschreibt die 38-Jährige ihre Gefühle von damals. Diesen Gedanken von einem offenen Europa lebt Katharina von Schnurbein heute tagtäglich. Sie arbeitet in Brüssel im Beratergremium von José Manuel Barroso, Kommissionschef der Europäischen Union.

Seit Januar ist sie zuständig für den Dialog mit Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Von der katholischen Bischofskonferenz über die Freidenker bis zur Konferenz der europäischen Rabbiner − von allen Gruppen möchte sie wissen, was sie zu EU-politischen Themen denken. Sie bietet ihnen eine Plattform, ihre Anliegen gegenüber der EU-Kommission direkt zu artikulieren. So organisiert sie regelmäßig Dialog-Seminare und einmal jährlich einen Gipfel, auf dem die Spitzen der EU-Kommission mit ausgewählten Vertretern der Religionsgemeinschaften zusammenkommen.

Der jetzige Beruf: eine Herzensangelegenheit Die 38-Jährige arbeitet bereits seit zehn Jahren in Brüssel für die Europäische Union. "Und in jeder Phase meines Lebens war ich sehr zufrieden", sagt sie, "doch gerade bin ich an einem Punkt, an dem ich sage, es ist perfekt." Denn ihr jetziges Aufgabenfeld, als lutherisch getaufte Christin Vertreter vieler Überzeugungen zu hören, ist ihr eine Herzensangelegenheit.

Auch in Katharina von Schnur-beins Leben spielt der Glaube eine große Rolle. Sie bekam ihn in ihrem Elternhaus vorgelebt und hielt ihr ganzes Leben lang daran fest. "Aus meiner Beziehung zu Christus schöpfe ich Kraft", sagt die zierliche Frau.

Schon als Teenager organisierte sie Schülergebetskreise und war in christlichen Jugendgruppen aktiv. Während ihres Studiums im englichen Oxford fand sie zur Anglikanischen Kirche. "Die Kirche war auf Studenten ausgerichtet mit Ausführungen zur Bibel auf sehr hohem intellektuellen Niveau", erzählt sie rückblickend. Das hat sie gefesselt, noch heute besucht sie in Brüssel die Anglikanische Kirche. "Doch mein persönlicher Glaube ist das eine, in meinem Beruf gebe ich allen die Möglichkeit, ihre Meinung zu äußern", betont sie.

Was ihr Leben noch dazu so rund macht, ist das Familienglück: Katharina von Schnurbein ist mittlerweile verheiratet und dreifache Mutter von Kindern im Alter von ein, zwei und drei Jahren. "Und ja, ich arbeite Vollzeit. Es geht, es geht sogar sehr gut. Und in Belgien ist das auch normal", greift sie vor. Nach jeder Geburt blieb sie sechs Monate beim Kind, danach fing sie jedes Mal wieder an, Vollzeit zu arbeiten.

In einem Altbau nahe der EU-Kommission lebt die fünfköpfige Familie. Vormittags sind die Kleinen im Kindergarten, nachmittags werden sie von einem Kindermädchen zuhause umsorgt.

Katharina von Schnurbein spricht mit den Kindern deutsch, ihr Ehemann, der Holländer ist, spricht mit ihnen niederländisch und die Erzieherinnen reden französisch. Ihre zwei "Großen" sprechen schon jetzt die drei Landessprachen. "Die Kinder werden diesbezüglich echte Belgier", wie Katharina von Schnurbein lachend sagt.

Kind und Karriere − beides wollte Katharina von Schnurbein unbedingt. Doch selbst die taffe Politikwissenschaftlerin musste feststellen, dass das so einfach nicht ist. Deshalb wechselte sie nach der Geburt ihres zweiten Kindes den Beruf innerhalb der Kommission. Sechs Jahre lang war sie zuvor Pressesprecherin des tschechischen EU-Kommissars Vladimír Špidla, Kommissar für Arbeit, Soziales und Chancengleichheit. Immer musste sie erreichbar sein. "Das war toll, da war ich direkt an der Politik dran, aber für mich war klar, dass sich das mit kleinen Kindern schwer vereinbaren lässt." Der Entschluss kam gerade recht: Špidla verließ die Kommission, Katharina von Schnurbein wechselte in das Beratergremium für Europäische Politik.

Vorstellungsgespräch bei Barroso Auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt schon allen entscheidenden Leuten bekannt war, musste sie sich ganz offiziell um die neue Stelle bewerben. Sie trat ihr Vorstellungsgespräch bei Kommissionschef José Manuel Barroso an. Auf Englisch haben sie sich unterhalten, als er wissen wollte, was ihre Motivation für den Posten sei. Sie überzeugte. Vermutlich auch deshalb, weil sich Katharina von Schnurbein zwar als Deutsche, aber mindestens genauso sehr als Europäerin versteht. Das wird bei einem Blick auf ihren Lebenslauf schon klar. Bereits während der Schulzeit verbrachte sie ein Jahr in den USA, nach dem Abitur studierte sie zunächst in Prag, danach in Bonn und Oxford Politikwissenschaft und Slawistik. Katharina von Schnurbein spricht fließend Deutsch, Englisch, Französisch, Tschechisch und seitdem sie ihren Mann kennt, auch Holländisch.

Die Liebe zur Sprache wurde der gebürtigen "Woidlerin" in ihrem Elternhaus mitgegeben. Auch ihre Eltern sprechen viele Sprachen fließend. Nach der Grenzöffnung knüpfte die Familie über die Kirchengemeinde schnell Kontakte zu den neuen Nachbarn und so kamen oft tschechische Freunde auf der Durchreise spontan vorbei. "Wir hatten ein offenes Haus", sagt die 38-Jährige. Sie verliebte sich in die tschechische Sprache und besonders in den Humor der Nachbarn. Nach dem Abi nach Prag zu gehen, war da nur die logische Konsequenz.

Diese selbstverständliche Internationalität ist wohl allen fünf Schnurbein-Kindern mit auf den Weg gegeben worden. Nur eine Schwester ist in den Bayerischen Wald zurückgekehrt, um mit ihrem Mann den Forstbetrieb des Vaters in Schlossau zu übernehmen.

Zweimal im Jahr reist auch die dreifache Mutter Katharina von Schnurbein mit Kind und Kegel nach Regen. "Das ist für die Kinder paradiesisch", erzählt sie und lächelt. Ihr Blick fällt auf das dichte Grün, sie schweigt kurz und sagt dann: "Klar, das ist eine Idylle, wie man sie sich heute eigentlich gar nicht mehr vorstellen kann. Ich konnte hier eine unbeschwerte, schöne Kindheit verbringen."

Alle Teile der Serie unter www.pnp.de/indiewelt.