Deggendorf/Bayreuth
Ein Kompetenzzentrum ist zu wenig

08.05.2018 | Stand 18.09.2023, 2:46 Uhr

Das Digitalisierungs-Kompetenzzentrum nutzt auch das Fachwissen der Ausbildungsmeister: Bayreuths Landrat Hermann Hübner (v.l.), Cornelia Bachstein vom Kompetenzzentrum, Landkreistags-Präsident Christian Bernreiter und Hauptgeschäftsführer Thomas Koller (r.) im Gespräch mit Schreinermeister Günter Kolb. (Foto: Gabriel)

"Industrie 4.0" – die vernetzte und automatisierte Fabrik – ist Dauerthema für Politik, Wirtschaftsverbände und Medien. Doch es muss auch um die "Werkstatt 4.0" oder die "Backstube 4.0" gehen, findet der Deggendorfer Landrat und Präsident des Bayerischen Landkreistags, Christian Bernreiter. Er fordert Kompetenzzentren für Digitalisierung an allen Handwerkskammern in Bayern. Und auch die Landkreise selbst sieht Bernreiter in der Pflicht: "Wir müssen als Multiplikatoren, zum Beispiel über unsere Wirtschaftsförderer, die Botschaft gerade auch zu den kleineren Betrieben bringen, was Digitalisierung für sie bedeuten und bieten kann."
Zusammen mit dem Bayreuther Landrat Hermann Hübner informierte sich Bernreiter im "Kompetenzzentrum Digitales Handwerk" an der Handwerkskammer für Oberfranken. Das Kompetenzzentrum ist Teil eines Programms des Bundeswirtschaftsministeriums und für ganz Süddeutschland zuständig.
Thomas Koller, der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Oberfranken, erläuterte die Ausgangslage: "Drei von zehn Betrieben sehen Probleme bei der Bewältigung der Digitalisierung. Jeder vierte Betrieb begreift den Wandel sogar als Gefahr." Das Kompetenzzentrum soll den Betrieben zeigen, wie sie die neuen Technologien erfolgreich nutzen können. Dabei gehe es um Anwendungen, "die bei BMW oder Audi längst Standard sind", so Koller, "aber eben noch nicht im Fünf-Mann-Betrieb".

Cornelia Bachstein, eine von drei Mitarbeitern des Kompetenzzentrums, stellte den Landräten einige Projekte vor, die zusammen Handwerksbetrieben umgesetzt wurden. So erfolgt bei einem Malerbetrieb das Aufmaß einfach per Foto mit dem Tablett. Die Software kann zudem die Gebäude oder Räume einfärben, die Kunden bekommen sofort einen realistischen Eindruck davon, was sie in Auftrag geben. Auch eine Kostenschätzung ist sofort möglich. Und alle Daten sind sofort in Büro und Werkstatt verfügbar.
Eine Bäckerei hat das Kompetenzzentrum bei der Einführung einer Kommunikationsplattform für Aufgaben und Personaleinsatzplanung unterstützt. Außerdem hat der Betrieb einen Zeit- und Temperatur-gesteuerten Sauerteigbereiter angeschafft. Der Teig wird nun mit sehr wenig Hefe am Vortag angesetzt. Die Bäckerei habe so 70 Prozent der Nachtarbeit auf den Tag verlegen können, sagte Bachstein. "Sie hat deshalb keine Probleme, Mitarbeiter zu finden."
Überraschend ist die Lösung, die für eine kleine Brauerei mit fünf Mitarbeitern gefunden wurde. Die hatte das Problem, dass die Kunden die Fässer oft nicht zurückgegeben haben. Die Verluste summierten sich auf etwa 40000 Euro im Jahr. Deshalb wurden die Fässer mit RFID-Chips ausgestattet (die Technik, die etwa als Diebstahlssicherung in Geschäften im Einsatz ist). So wird nun erfasst, welches Fass zu welchem Kunden geht und wann es wieder zurückkommt. Ist es nach drei Wochen noch nicht da, geht automatisch eine freundliche Erinnerungs-Mail raus. Das System habe 40000 Euro gekostet und sich innerhalb von zwei Jahren amortisiert, so Cornelia Bachstein.
Muster-Projekte gemeinsam mit Handwerksbetrieben umsetzen, ist eine der Aufgaben des Kompetenzzentrums. Aus den Erfahrungen bei den Projekten Informationsmaterial erarbeiten, eine andere. Es sollen Ausbildungsmaterial und Schulungskonzepte erstellt werden. Ziel müsse es sein, das Thema Digitalisierung sowohl in der Lehrlingsausbildung als auch in den Meisterkursen fest zu verankern.
Das Bayreuther Projekt ist mit 2,5 Stellen und 800000 Euro ausgestattet. Für Landkreistags-Präsident Christian Bernreiter kann es nur ein Anfang sein: "So ein Kompetenzzentrum braucht es an jeder Handwerkskammer." Die Politik müsse den Mittelstand und das Handwerk stärker in den Fokus nehmen, "damit die Digitalisierung in allen Bereichen gelingt."– stg