Die Wälder in den Landkreisen Traunstein und Berchtesgadener Land stehen vor großen Herausforderungen. Wie das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) Traunstein im Rahmen des aktuellen „Forstlichen Gutachtens 2024“ feststellt, hat sich die Verbisssituation im Vergleich zur letzten Erhebung im Jahr 2021 verschlechtert.
Insbesondere in den Bergwäldern der Chiemgauer und Berchtesgadener Alpen wird der hohe Wildverbiss zunehmend problematisch, teilt die Behörde in einer Presseaussendung mit und schlägt für einige Schutz- und Bergwälder der Region Alarm.
Verjüngung der Wälder wie die Ersatzbank einer Fußballmannschaft
„Die Verjüngung unserer Wälder lässt sich gut mit der Ersatzbank einer Fußballmannschaft vergleichen“, erklärt Tassilo Heller, stellvertretender Bereichsleiter Forsten am AELF Traunstein. „Eine starke Ersatzbank zeichnet sich durch zwei Dinge aus: Es müssen genügend Spieler zur Verfügung stehen, und jede Position sollte optimal besetzt sein.“ Die jungen Bäume, die „Verjüngung“ des Waldes, würden diese Ersatzbank bilden. Wenn ältere Waldbestände durch Stürme, Borkenkäfer oder aufgrund ihres Alters ausfallen, sei es entscheidend, dass die „Ersatzspieler“ bereitstehen, um deren Rolle zu übernehmen.
Die Wälder in unserer Region, so der Fachmann, stehen leider immer häufiger unter diesem Druck: Klimawandelbedingte Ereignisse, wie heftigere Stürme, häufigerer Schneebruch und die massenhafte Vermehrung von Borkenkäfern setzten unseren Waldbeständen teilweise erheblich zu. „Unsere Ersatzbank wird immer häufiger benötigt“, so Heller. Gleichzeitig habe sich gezeigt, dass die derzeitige Verjüngung vielerorts nicht ausreichend sei – weder in der Menge noch in der Vielfalt. Besonders Baumarten wie Tannen, Buchen, Ahorne und Eichen, die besser an den Klimawandel angepasst sind, sollten verstärkt in den Wäldern vertreten sein.
Vegetationsgutachten der Forstverwaltung alle drei Jahre
Alle drei Jahre erstellt die Bayerische Forstverwaltung das „Forstliche Gutachten zur Situation der Waldverjüngung“, auch Vegetationsgutachten genannt. Hier wird untersucht, wie stark die Verjüngung des Waldes durch Wildverbiss – insbesondere durch Reh-, Rot- und Gamswild – beeinträchtigt wird. Dieses Gutachten liefert wichtige Erkenntnisse darüber, wie gut die nächste Waldgeneration gedeihen kann.
Im Jahr 2024 wurden für die Landkreise Traunstein und Berchtesgadener Land insgesamt 257 „revierweise Aussagen“ erstellt, also für jedes Jagdrevier ein eigenes Gutachten. Diese Aussagen ermöglichen es jeder Jagdgenossenschaft, ihre „individuelle Situation auf ihrer Ersatzbank“ zu beurteilen.
In 30 Prozent der Jagdreviere ist die Verbisssituation kritisch bis alarmierend
Die Ergebnisse sind jedoch teilweise besorgniserregend: Die Verbisssituation hat sich im Vergleich zu 2021 verschlechtert. In 30 Prozent der untersuchten Jagdreviere in den Landkreisen Traunstein und Berchtesgadener Land wird die Verbisssituation als kritisch bis alarmierend eingestuft – ein Anstieg gegenüber den 23 Prozent an Jagdrevieren im Jahr 2021 mit „zu hoher“ Verbissbelastung. Vor allem in den Berg- und Schutzwäldern fehlt es zunehmend an gesunder und ausreichender Verjüngung. Das gefährdet nach Beurteilung der Fachleute nicht nur die Artenvielfalt, sondern auch die Schutzfunktion dieser Wälder, die für die Stabilität von Hängen und den Schutz vor Lawinen, Muren und Hochwassern entscheidend sind. Gleichzeitig darf jedoch auch ein Lob an die Verantwortlichen der 179 Jagdreviere mit „tragbaren“ und „günstigen“ Ergebnissen ausgesprochen werden, was einem Anteil von 70 Prozent entspricht. Diese Reviere würden beweisen, dass eine gute Verbisssituation absolut möglich ist“, so Tassilo Heller. „Den Jägern, sowie Jagdvorständen und Waldbesitzern in diesem Bereich gebührt große Anerkennung für ihr Engagement und ihre Leistungen im und für den Wald.“
Herausforderungen vor Ort besprechen und gemeinsam Lösungen erarbeiten
Das Gute an unseren Wäldern sei, wie Heller findet, „dass wir keine teuren Spieler aus anderen Vereinen und anderen Ligen verpflichten müssen.“ Die besten Ersatzspieler würden in unseren Wäldern kostenlos wachsen. Damit diese Chance genutzt werden kann, ruft das AELF Traunstein alle Waldbesitzer, Jagdvorstände und Jäger zum Dialog auf. „Es ist wichtig, die Herausforderungen vor Ort zu besprechen und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten“. Der Bereich Forsten am AELF Traunstein biete daher gemeinsame Waldbegänge an, um die Situation direkt vor Ort zu diskutieren und Wege für eine nachhaltige Waldentwicklung zu finden. Ziel sei es, die Verjüngung durch Maßnahmen, wie angepasste Schalenwildbestände und eine verstärkte Förderung standortgerechter Mischbaumarten, zu sichern. Nur so könne die „Ersatzbank“ des Waldes langfristig gestärkt werden – und mit ihr die Zukunft unserer Wälder.
− red
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