„Es schaudert mich, wenn ich daran denke, dass das NS-Regime auch in unserer Heimat für Furcht und Schrecken gesorgt hat und viele Menschen zu Tode kamen“, sagt Svetlana Teterja-Pater. Sie ist die treibende Kraft hinter der Ausstellung „Verfolgung und Widerstand in der NS-Zeit im Chiemgau“, die im Vereinshaus Traunstein eröffnet worden ist und den Schwerpunkt auf die lokalen und politischen Geschehnisse in den 1920er, -30er und -40er Jahren legt.
Bis 3. Juni sind im Vereinshaus Traunstein eindrückliche Schautafeln mit Bild- und Textnachweisen zu sehen. Die ursprüngliche Ausstellung war bereits vor 30 Jahren durch den Kreisjugendring Traunstein konzipiert worden. Nun hat man sie anlässlich der bevorstehenden Europawahl sowie der weltweiten politischen Entwicklungen „auf aktuellen Stand gebracht“.
Sieben Schulklassen nutzten das Angebot
Am Eröffnungsabend erzählte der stellvertretende Vorsitzende des Kreisjugendrings, Andreas Hunglinger, „dass wir uns im Rahmen einer Vorstandssitzung darauf geeinigt haben, die Ausstellung vom Dachboden zu holen, um sie erneut der Öffentlichkeit zu präsentieren“. Bereits im Vorfeld hatten sieben Schulklassen aus Traunstein die Ausstellung besucht – fachlich begleitet von Friedbert Mühldorfer von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten.
Der ehemalige Lehrer und Mitgestalter der Ausstellung betonte in seiner Ansprache, „gerade der lokale Bezug spricht die Menschen an“. Eigentlich, so Mühldorfer, hätte dieses Werk eine dauerhafte Ausstellung im Landkreis Traunstein verdient, „damit sich gerade die junge Generation mit der Geschichte kritisch auseinandersetzen kann“.
Eduard Niederlöhner, der ehemalige Vorstand des Kreisjugendrings und Initiator der Ausstellung, zitierte den ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker: „Es geht nicht darum, Vergangenheit zu bewältigen. Das kann man gar nicht. Sie lässt sich nicht nachträglich ändern oder ungeschehen machen. Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.“
Niederlöhner brachte seine Freude darüber zum Ausdruck, dass die Ausstellung erneut der Öffentlichkeit präsentiert wird und bei den Schulklassen regen Zuspruch fand. „Aus der Geschichte lernen, das war damals unser Antrieb“, erinnerte er, auch inspiriert vom jüdischen Sprichwort „Das Vergessenwollen verlängert das Exil, und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung“.
NS-Regime war auch im Chiemgau aktiv
Friedbert Mühldorfer erläuterte die Ausstellung. Diese beginnt am Ende des Ersten Weltkriegs und spannt den Bogen zur zunehmenden Polarisierung und Radikalisierung in den 1920er Jahren. Zahlreiche Bildzeugnisse wie Auftritte Adolf Hitlers in der vollbesetzten Traunsteiner TVT-Halle, in Schleching oder Seebruck sind Zeugnisse dafür, dass das NS-Regime auch im Chiemgau und Rupertiwinkel sehr aktiv war.
Es geht um die Machtübernahme 1933 – wiederum mit zahlreiche Zeitzeugnissen aus Traunstein und dem gesamten Landkreis. Thema ist auch das Konzentrationslager in Dachau, wo Andersdenkende und politische Gegner gezielt und gewaltsam ausgeschaltet wurden.
Eindrücklich schilderte Mühldorfer, wie im Jahr 1933 erstmals 27 Gefangene aus Traunstein nach Dachau transportiert wurden. Auch ging er auf KPD-Stadtrat Hans Braxenthaler ein, der als erstes Todesopfer des NS-Regimes in der Region galt. Er erschoss sich am 7. August 1937, als die Gestapo sein Versteck auf dem Hochberg entdeckte.
„Traunsteiner Glockenstreik“ sorgte für Unruhe
Die Ausstellung zeigt weitere persönliche Schicksale, wie die des mehrfach inhaftierten späteren Traunsteiner Oberbürgermeisters Rupert Berger oder des ehemaligen Stadtpfarrers Josef Stelzle, der die Unvereinbarkeit von Nazi-Ideologie und christlicher Anschauung in Predigten thematisierte und deshalb gezwungen wurde, die Stadt zu verlassen. Das daraufhin vom Erzbischöflichen Ordinariat verhängte Verbot des Glockenläutens (volkstümlich „Gockenstreik“) löste so große Empörung in der Öffentlichkeit aus, dass Stelzle seine Stelle als Traunsteiner Pfarrer zurück erlangte.
Mühldorfer verwies anhand dieser mutigen Persönlichkeiten darauf, dass die Ausstellung auch den Widerstand in den verschiedenen Bevölkerungsgruppen in den Fokus rücke. Die Tafeln zeigen aber auch, wie Zwangsarbeiter in der Region unter unmenschlichen Bedingungen beschäftigt waren und welche Rolle die Religionsgemeinschaften spielten.
Schließlich geht es um die widerstandslose Übergabe Traunsteins, die einer kleinen Gruppe von Bürgern zu verdanken ist. Sie konnten unter anderem verhindern, dass das Traunsteiner Viadukt von den amerikanischen Truppen gesprengt wurde. Ausgestellt ist auch eine Aufnahme mit 61 Särgen. Es handelte sich um Kriegsgefangene, die in den letzten Kriegstagen als Kolonnen durch Traunstein getrieben wurden und auf Befehl von Heinrich Himmler nahe Surberg durch SS-Leute erschossen wurden.
Die Sinnlosigkeit und Grausamkeit des Krieges veranschaulicht eine weitere Grafik: 55 Millionen Menschen haben während des Zweiten Weltkrieges ihr Leben verloren, darunter mehr als 20 Millionen Sowjetbürger, fast sieben Millionen Deutsche und rund sechs Millionen Polen.
„Ich habe selbst sowjetische Wurzeln und lebe mit meiner Familie unweit des Traunsteiner Viadukts“, sagt Svetlana Teterja-Pater und ergänzt mit bewegter Stimme: „Wenn ich die Geschichten höre, bekomme ich Gänsehaut, weil ich durch die persönliche Nähe zu den Orten und Hintergründen einen Bezug herstellen kann. Es ist nicht irgendwo, sondern hier bei uns zuhause passiert. Die Geschichte darf sich keinesfalls wiederholen.“ Gleichzeitig freut sie sich, dass sie in den Nachwuchsreihen des Vereinshauses so viele Freiwillige gefunden hat, die die Ausstellung ermöglichten.
Bis 3. Juni geöffnet – am 4. Juni Abschlussabend „Vorbeikommen und Erzählen“
Bei freiem Eintritt ist die Ausstellung „Verfolgung und Widerstand in der NS-Zeit im Chiemgau“ bis Montag, 3. Juni, im Vereinshaus Traunstein an der Trauner Straße zu sehen – von Montag bis Freitag, 14 bis 18 Uhr, sowie am Samstag, 10 bis 14 Uhr.
Am Dienstag, 4. Juni, um 19 Uhr ist die Veranstaltung „Vorbeikommen und Erzählen“ als Abschluss geplant. „Alt und Jung sind eingeladen, ihre persönliche Geschichte oder Erzählungen der Eltern beziehungsweise Großeltern vorzutragen“, so Hauptorganisatorin Svetlana Teterja-Pater.
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