Landkreis Traunstein
Tierische Helfer: Mit dem Hund kommt Ruhe ins Klassenzimmer

10.04.2021 | Stand 10.04.2021, 8:41 Uhr

Normalerweise sind die vier nicht im selben Klassenzimmer. Aber zum Fototermin mit der Heimatzeitung trafen sich (von links) Romina Bachmann mit Einstein und Susanne Späth mit Toffee in der Grundschule Heiligkreuz. −Fotos: Limmer

Kurz vor 8 Uhr, Schulbeginn an den Grundschulen in Heiligkreuz und Tacherting: Mit Mundschutz kommen die Kinder ins Klassenzimmer, setzen sich an ihre Plätze, stellen die Schulranzen ab und winken ihrem Banknachbarn auf die "Ferne" – dank Corona-Mindestabstand – kurz zu. Nur einer tapst ohne Test und Maske von Kind zu Kind und begrüßt jeden freudig: der Schulhund. In Heiligkreuz ist Hündin Toffee, in Tacherting der Rüde Einstein im Einsatz – beide Australian Shepherd, liebevoll Aussie genannt. So war es zumindest an den Schultagen, als trotz der Pandemie noch Präsenzunterricht stattfinden durfte.

Nach der Begrüßung geht es für die Hunde auf die Decken, die in den Klassenzimmern bereitliegen. Diese dürfen erst wieder verlassen werden, wenn es die jeweiligen Lehrerin erlaubt. Toffee ist in Heiligkreuz schon seit zwei Jahren an der Seite von Susanne Späth. In Tacherting begleitet Einstein dreimal die Woche Romina Bachmann zur Schule. Die befreundeten Lehrerinnen erklären: "Wir wollten schon lange Hunde, doch die sollten mehr können als Gassigehen und lieb sein." Susanne Späth hatte bereits Hunde, für Romina Bachmann ist es der erste.

Mit dem Hund kehrt auch Ruhe ins Klassenzimmer ein. Für Zwei- und Vierbeiner gibt es klare Grenzen. "Hunde und Kinder müssen wissen, was sie dürfen, und was passiert, wenn eine Grenze überschritten wird", erklären die Lehrerinnen. Erste Regel ist: Wenn der Hund auf der Decke oder in der Box liegt, dann ist Anfassen tabu. "Das respektieren alle in der Klasse", so Susanne Späth.

Der Schulranzen bleibt besser zu

Die Mädchen und Buben haben auch schnell gelernt, dass ein Schulranzen besser geschlossen bleibt, dass eine Brotzeit nichts auf dem Tisch verloren hat und dass regelmäßiges Händewaschen zum Schulalltag gehört. Ab und an "passiert" dennoch was. "Es sind schon Radiergummis auf sonderbare Weise verschwunden. Die hat der Hund in den Papierkorb geworfen, nachdem sie auf den Boden gefallen sind", sagt Späth schmunzelnd.

Ihre Tochter Mathilda geht bei Romina Bachmann in die zweite Klasse der Grundschule Tacherting. Auch wenn sie Einstein von vielen Gassi-Runden und Besuchen zuhause kennt, muss sie sich an die Regeln, die für alle gelten, halten. "Wenn Einstein seine Runden im Klassenzimmer dreht und bei mir stehen bleibt, bekommt er viele Streicheleinheiten. Das mag ich sehr gerne. Er kann auch kleine Tricks wie Pfote geben, eine Rolle machen oder um uns herumlaufen", berichtet sie. Einstein weiß, wann er gebraucht wird. "Bei einem Zappelphilipp legt er sich gerne auf die Fußrücken, und wenn jemand Papierreste verliert, dann geht er aufräumen", so Bachmann. Seit sie mit tierischer Unterstützung unterrichtet, hat sie beobachtet, dass der Hund unruhige und quirlige Kinder zur Ruhe bringt und auch weniger gestritten wird. "Vor allem jetzt mit Lockdown, Wechselunterricht und Homeschooling, in der Zeit, in der man auf gegenseitigen Kontakt verzichten soll, ist er Hund ein Mittelsmann für zwischenmenschliche Beziehungen. Ihn darf man anfassen, ihm können die Kinder Liebe entgegenbringen. Und sie erhalten sofort eine Reaktion, ob eine Berührung gut war oder nicht", hat Späth beobachtet.

"Die Hunde mögen keine schnellen, erschreckenden Bewegungen. Die Kinder müssen lernen, vorsichtig, respekt- und gefühlvoll mit dem Tier umzugehen", ergänzt Bachmann. "Auch der Hund merkt es, wenn er nicht in die Schule kann oder darf", so Bachmann weiter.

Bei ängstlichen Kindern behutsam vorgehen

Seit zwei Jahren ist Toffee eine feste Größe im Heiligkreuzer Schulalltag. Den beiden Rektoren Manfred Duschl (Heiligkreuz) und Barbara Huber (Tacherting) legten die engagierten Lehrerinnen ein Konzept vor, das überzeugte. Die Eltern wurden informiert, bei Elternabenden und über Infoschreiben verschiedene Bedenken zerstreut. "Nicht nur bei den Eltern galt es, Ängste abzubauen. Bei Kindern mit Angst vor Hunden gehen wir sehr behutsam vor und führen sie Schritt für Schritt an das Tier heran. Immer nur soweit, wie es ein Kind zulässt", so Bachmann. Die beiden Frauen wählten ihre Hunde nach dem Wesen aus. Ausgeglichen, gutmütig, intelligent, aktiv und clever sollten die Tiere sein. Der für Australian Shepherds typische Augenaufschlag aus eisblauen Augen tat sein Übriges, damit die Tiere schnell ins Herz geschlossen wurden.

Nicht nur in der Grundschule müssen die beiden Hunde die Schulbank drücken. Seit sie von ihren Müttern getrennt wurden, gehen sie zur Hundeschule. Ungezählt sind die Stunden, die die Mitglieder beider Familien investierten, damit die Hunde die nötigen Kommandos verstanden und sich einprägten.

Fundierte Ausbildung mit Bravour gemeistert

Die Hunde sollten nicht nur Schulbegleithunde sein, die ohne Ausbildung mit Genehmigung der Schulleitung mit in die Klassenzimmer dürfen. Einstein und Toffee sollten eine fundierte Ausbildung erhalten. Zunächst hat Einstein die Ausbildung zum Schulhund begonnen, später kam Toffee dazu. Beide zeigten sich bei Heinz Reif in der Chiemgauer Hundeschule sehr gelehrig und waren mit Feuereifer bei der Sache. Je 15 Gruppen- und Einzelstunden sowie drei bis vier wöchentliche Trainings brauchte es für die Ausbildung zum Schulhund, die beide mit Bravour bestanden haben. Doch das reicht ihren Frauchen noch nicht. Sie lassen ihre Vierbeiner auch zum Therapiehund ausbilden – auf eigene Kosten.

"Toffee braucht noch ein bisschen, Einstein ist schon fertig", so Romina Bachmann. "Einstein hat gelernt, wie man sich verhält, wenn Menschen mit Krankheiten wie Demenz oder Spastiken ihn berühren oder jemand mit Rollator oder Krücken auf ihn zukommt. Auf nonverbale Art gebe ich ihm Kommandos, die er versteht, die die anderen aber nicht bemerken", berichtet die 40-Jährige. Diese Konditionierung muss immer wieder aufgefrischt werden – Hausaufgaben für Hund und Besitzer. Romina Bachmann darf mit Einstein in Alten- und Pflegeeinrichtungen, Beratungsstellen oder andere Einrichtungen und dort mit ihrem Hund arbeiten, wenn es gewünscht ist.

Tiere dürfen die Kinder nicht vom Lernen abhalten

Auch in der Schule reicht eine Handbewegung, und Einstein und Toffee gehorchen. "Da können die Kinder mit Leckerli oder Streicheleinheiten noch so sehr locken. Der Hund geht nicht hin, wenn ich es nicht erlaube", so Susanne Späth. Das sei wichtig, findet die 42-Jährige, damit die Kinder nicht vom Lernen abgehalten werden. Ohne Belohnung geht es weder bei den Schülern noch bei den Tieren. "Die Kinder bekommen für gute oder besondere Leistungen einen Aufkleber oder einen Stempel. Bei den Hunden sind es Leckerlis, die die Kinder gerne verteilen. Die backe ich selbst, und die können sogar von den Kindern verzehrt werden", so Späth.

Sobald es zur Pause läutet, packen die Schüler ihre Sachen und die Hunde verschwinden in ihren Boxen und ruhen sich aus. Einstein darf ab und an in den Pausen mit nach draußen und unter Aufsicht seiner Besitzerin mit den Kindern spielen. "Die Kinder freuen sich, wenn sie Ballspiele mit dem Hund machen können", weiß Bachmann. Damit die Schüler der anderen Klassen nicht zu kurz kommen, gehen die Lehrerinnen regelmäßig auf Klassen-Besuchstour.

Derzeit läuft wieder alles über Homeschooling. Kinder und Hunde warten darauf, dass sie wieder miteinander in die Schule dürfen. "Sich wieder zu sehen ist die größte Motivation in diesen Zeiten", so die Lehrerinnen. Sie sind überzeugt: Wenn die Hunde ihren Beitrag zu einem guten Miteinander leisten können, hat sich alle Mühe gelohnt. "Außerdem ist es mit einem Hund in der Klasse lustiger, wenn wir schon nicht wie sonst miteinander spielen können", so Mathilda.