Kunst im öffentlichen Raum ist für alle da
"Kunst am Bau" aus sechs Landkreisen

Das jüngste Projekt ist Dietrich Försters "Salzkristall" in Passau

11.07.2020 | Stand 25.10.2023, 10:53 Uhr

Ein Hingucker im öffentliche Raum: An Dietrich Försters "Salzkristall", Prototyp eines Kunstwerks aus Acrylglas, in der Passauer Ilzstadt fahren täglich rund 33500 Autos vorbei. −Foto: Staatliches Bauamt Passau

Jetzt steht er also wieder: der "Salzkristall" von Dietrich Förster an der Ilzbrücke in Passau. Er symbolisiert "das weiße Gold", das am Goldenen Steig, dem alten Handelsweg zwischen Bayern und Böhmen, transportiert wurde. Sieben Mitwettbewerber hatte der Künstler aus dem oberbayerischen Kinsau aus dem Feld geschlagen; einstimmig wurde sein Werk von der Jury gewählt. Der "Salzkristall" ist das jüngste Beispiel für "Kunst am Bau" in Passau. 33500 Fahrzeuge fahren hier vorbei; viele Augenpaare sind auf dieses Werk gerichtet. Der "Salzkristall" ist ein Beispiel, wie es gehen kann, wenn etwas völlig Neues im öffentlichen Raum geschaffen wird. Die ursprüngliche Konstruktion mit der Verklebung der Glasschichten hielt nicht, obgleich eine statische Beurteilung von Fachleuten vorlag. Acht Varianten hat der Bildhauer aus dem oberbayerischen Kinsau erstellt. Die Skulptur ist jetzt aus Acrylglas gefertigt, im Inneren verbunden, transluzid, aber nicht mehr durchsichtig. "Er hat sich dem Salzkristall immer mehr angenähert", da sind sich der Künstler und Norbert Sterl, Architekt, Leitender Baudirektor und Bereichsleiter Hochbau am Staatlichen Bauamt Passau, einig.

Dieses Amt ist für die staatlichen Bau- und Erhaltungsaufgaben in insgesamt sechs Landkreisen (Passau, Freyung-Grafenau, Rottal-Inn, Deggendorf, Regen und Straubing-Bogen) sowie in den kreisfreien Städten Passau und Straubing zuständig. "Kunst am Bau" gehört für die Bayerische Staatsbauverwaltung bereits seit 70 Jahren zum Planungsauftrag bei staatlichen Hochbaumaßnahmen; im Januar 1950 wurden per Bekanntmachung durch das Bayerische Staatsministerium des Innern die Richtlinien für die Durchführung von Hochbauaufgaben des Freistaates Bayern erlassen. In diesen Richtlinien, zuletzt novelliert im Dezember 2019, ist festgeschrieben, dass zwei Prozent der Kosten der Baukonstruktion "zweckgebunden für Aufträge an bildende Künstler" zu verwenden sind.
Ist das so? "Kunst am Bau ist staatliche Bauaufgabe und ein Aspekt der Baukultur, zu der sich der Freistaat selbstverpflichtet hat. Für die Staatlichen Bauämter kann ich sagen: Das ist so", weiß Norbert Sterl. Dies bekräftigt auch Hubert Huber, Künstler aus Fürstenzell und Vorsitzender des Bundesverbands Bildender Künstler Niederbayern. Er sitzt in vielen Jurys bei Kunstwettbewerben, denn der Durchführung einer "Kunst-am-Bau"-Maßnahme geht stets ein Wettbewerb voraus.
Anonymer Wettbewerb geht Baumaßnahme vorausHuber sagt aus Erfahrung: "Der Freistaat Bayern, vertreten durch das Staatliche Bauamt, und die katholische Kirche, verkörpert durch das Bau- und Kunstreferat der Diözese Passau, sind nach wie vor die größten Auftraggeber für die Künstler".
Alois Brunner, Leiter des Kunstreferats der Diözese Passau, bezeichnet die Kirche als "global player". "Die Kirche hat immer die Kunst ihrer Zeit adaptiert; sie hat zeittypische Kunstformen übernommen und in ihren eigenen Kontext gesetzt." Ein Markstein in der Diözese Passau sei 1948 die Gründung des Diözesanbauamtes gewesen; einschneidend sei auch das Vatikanische Konzil von 1962-1965 gewesen. Es formulierte: "Alle Kunst soll Freiheit der Ausübung haben". Der prozentuale Anteil sei hier nicht festgeschrieben, überschreite aber oft zwei Prozent. Freilich: Für Brunner ist es immer wichtig, den Pfarrer und die Gemeinde bei Kirchenumgestaltungen und Kunstwerken mitzunehmen. Auch Hubert Huber weiß, wie wichtig es ist, insbesondere bei "Kunst am Bau" für Kommunen die Gremien, Stadt- oder Gemeinderat, für die ausgewählte Wettbewerbsarbeit zu gewinnen. So erinnert er sich zum Beispiel an harsche Diskussionen zur Stele von Ben Muthofer am Passauer Römerplatz oder zum Brunnen von Alfred Böschl vor der Abtei St. Josef in Thyrnau (Landkreis Passau) im Rahmen einer Städtebauförderungsmaßnahme der Gemeinde. "Heute ist die St. Josef- Brunnenskulptur vor dem Kloster Thyrnau nicht mehr wegzudenken", ist auch Norbert Sterl überzeugt, der zusammen mit Hubert Huber bei der Auswahl der Skulptur in der Wettbewerbsjury mitgewirkt hatte.
In der Diözese Passau gibt es bei "Kunst am Bau" eine parallele Verfahrensweise wie beim Staat: eine Ausschreibung mit Jury. Hier wie dort ist es ein anonymes Verfahren. Die Jurymitglieder wissen nicht, wer das Kunstwerk einreicht. Seit Ende der 1960er Jahre gibt es eine Kunstkommission, in die der Bischof höchstpersönlich die Mitglieder beruft. Hubert Huber ist zum Beispiel heuer in diese Kommission berufen worden. Jährlich werden in der Diözese Passau zwei bis drei Wettbewerbe durchgeführt, seit 1993 waren es über 70 Kunstwettbewerbe, sagt Alois Brunner.
Ziel beider Förderer von Kunst im öffentlichen Raum ist es, nichts Fertiges "einzukaufen", sondern etwas Neues in der gegebenen"Kunst am Bau"schafft Prototypen Raumsituation, dem öffentlichen Platz oder der Kirche, erarbeiten zu lassen. "Das Besondere bei der ‚Kunst am Bau‘ ist, dass für jeden im Wettbewerb vorgegebenen Standort Prototypen geschaffen werden", sagt Norbert Sterl. Als Vorzeigeprojekt in Passau nennt er die Kunst am Campus der Universität Passau. Dort finden sich Objekte von rund 40 Künstlern. 800 000 Euro wurden dort im Laufe der Jahre für Kunst am Bau investiert.
Weitere jüngere Bau- oder Restaurierungsmaßnahmen, die mit "Kunst am Bau" versehen wurden, sind: die St.-Nikola-Universitätskirche, wo die Entwürfe des Künstlerpaares Lutzenberger & Lutzenberger aus Bad Wörishofen verwirklicht worden sind; die Hochschule Deggendorf mit dem "Energiefeld" von Astrid Schröder aus Regensburg, die Polizeiinspektion Grafenau mit Momentaufnahmen aus der Polizeiarbeit aus 101 Jahren von Jürgen Bergbauer aus Straubing sowie Bildern von Gabi Hanner aus Freyung und Reinhold Böhmisch (Márl) aus Thyrnau. Für die in der Sicherheitsverwahrung in Straubing wurden Stahlblätter als Symbole für "Lebensentwürfe" von Judith Lipfert und Örni Poschmann aus Johannesbrunn gestaltet. Es gäbe noch viele weitere zu nennen, sagt Sterl. Alois Brunner nennt folgende "Kunst-am-Bau"-Maßnahmen aus jüngster Zeit: St. Paul in Passau (Joseph Michael Neustifter, Eggenfelden), die Pfarrkirche St. Martin in Eichendorf (Tobias Kammerer, Rottweil), Raitenhaslach bei Burghausen (Josef Sailstorfer, Bichl/Neufraunhofen), St. Konrad in Burghausen (Alfred Böschl). Hubert Huber betont, dass gerade die Kirche den Künstlern sehr viel Freiheiten gewährt. Alois Brunner: "Wir lassen sehr vieles zu – nur nichts Historisierendes."
Als eines der nächsten Projekte für "Kunst am Bau", die das Staatliche Bauamt Passau 2020 ausloben wird, nennt Norbert Sterl die Isarbrücke in Plattling. Noch 2020 wird eine Auslobung für den Brückenheiligen, eine Nepomuk-Figur, stattfinden. Ebenfalls in diesem Jahr wird ein Wettbewerb für eine Freianlage der TU Deggendorf mit "Kunst-am-Bau"-Maßnahme ausgeschrieben.
Noch im Juli schreibt Kunstreferent Alois Brunner einen Wettbewerb für die Pfarrkirche Unterneukirchen bei Altötting aus.
Und wer trägt die Kosten, wenn bei einem Prototyp – wie dem "Salzkristall" – öfters nachgebessert werden muss? "Die Nachbesserungen beim ‚Salzkristall‘ bezahlte nicht der Steuerzahler", sagt Norbert Sterl. "Die Mängelbeseitigung erfolgte im Rahmen der Gewährleistung des Auftragnehmers, des Künstlers." Nicht zuletzt deswegen hofft Bildhauer Dietrich Förster, der in Passau erstmals mit Glas über Kopf experimentierte, dass dies jetzt die endgültige Lösung ist und die Fahrer und Passanten Freude an dem "Salzkristall" haben.
"Kunst am Bau" – das prägt unsere Baukultur, und macht den Betrachter en passant zu einem Beteiligten. Denn nirgends trifft Joseph Beuys Sentenz "Kunst ist für alle da" so zu wie für die Werke im öffentlichen Raum.