Gumpersdorf
Workshop Orange feiert Premiere von „Leonce und Lena“

Wie Müßiggang und Langeweile das Leben bestimmen – Noch sechs Aufführungen

22.11.2022 | Stand 19.09.2023, 3:45 Uhr
Johannes Schaffarczyk

Die Darsteller beim Schlussapplaus (von links): Christian Probst, Steffi Siegert, David Hirmer, Julia Empl, Markus Gschwendtner, Alex Kriegl, Christoph Präbst, Gabi Haslböck, Milena Sendl, Nic Fartelj. −Foto: Schaffarczyk

Von Johannes Schaffarczyk

Da hat es das Regie-Duo Wolfgang („Goo“) Dorfner und Jakob Hirmer wieder einmal so richtig „gumpern“ lassen. Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: ein Dorf, 750 Einwohner, keine eigene Schule, dafür ein eigenes Wirtshaus mit Theatersaal. Kennzeichen: kulturbewaffnet bis unter die Zähne, treues Publikum, das jede Aufführung für sich zum Erlebnis macht. Das war auch wieder so, als die Regie-Clique „Leonce und Lena“ von Georg Büchner auftischte – ein inhaltlich ziemlich schwieriges Stück von Lustspiel, an dem sich die Zuschauer ergötzen oder Zusammenhänge enträtseln konnten. So oder so.

Vorneweg: Es passierte wenig und doch wieder eine ganze Menge. Je nachdem, aus welchem Blickwinkel man das Theatergeschehen beobachtete. Die Inszenierung war flüssig, voller großartiger Regieeinfälle, welche pralles Leben auf die Bühne brachten. Dazu, wie immer, ein bis in die Fußwurzeln und Haarspitzen motiviertes Schauspielerteam, das von Regieassistentin Evi Bauer Unterstützung bekam.

„Büchners Stück überzeugt noch immer“

Worum geht es bei „Leonce und Lena? Vordergründig um die Sicherung von Macht durch eine eingefädelte Hochzeit zwischen Leonce aus dem Land „Popo“ und Lena aus dem Land „Pipi“. Wie die National-Bezeichnungen schon verheißen, wollte Autor Georg Büchner, der das Theaterstück mit 23 Jahren rund zehn Monate vor seinem Tod an Typhus schrieb, die damals in Deutschland herrschenden politischen Verhältnisse der Kleinstaaterei und die Missachtung der Menschenrechte im Absolutismus auf die satirisch-ironische Schippe nehmen.

Die Geschichte von Prinz Leonce und Prinzessin Lena ist nur ein Teil des Lustspiels. Die beiden verlassen, ohne sich zu kennen, ihr Zuhause und machen sich auf nach Italien, wo sie sich zufällig begegnen. Letztlich kehren sie nach verschiedenen Umwegen, verkleidet als Automaten, in ihre Heimat zurück, spielen dort das Brautpaar in der vorbereiteten Prinzen-Hochzeit und werden dann die gesuchten wirklichen Herrscher.

Der zweite Strang des Stückes beschäftigt sich mit Lebenseinstellungen und Verhaltensmustern. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, inwieweit Müßiggang und Langeweile als Lebensentwurf taugen. Leonce, unterstützt von seinem Freund Valerio, sieht das so. Der sagt in einer Szene: „Ich habe eine ungemeine Tätigkeit im Nichtstun, ich besitze eine ungeheuere Ausdauer in der Faulheit. Keine Schwiele schändet meine Hände, der Boden hat noch keinen Tropfen von meiner Stirne getrunken. Ich bin noch Jungfrau in der Arbeit.“

Das Theaterstück ist durchtränkt von der Suche nach dem wahren erfüllenden Leben. Liebe und Leere, Leidenschaft und Langeweile, Hoffnung und Verzweiflung, Todessehnsucht und Lebenslust, Selbstmitleid und Aggressivität – alles wird zum Thema, sorgt für Spannung. Was ständig beeindruckt, ist Büchners großartiges Gestaltungsrepertoire, dessen er sich bedient: eine durch und durch poetische Sprache mit wunderbaren Formulierungen, die Opulenz seiner Bilder, virtuose Wortspiele, lyrische Metaphern und originelle Wortwahl. Sie sind ein Hochgenuss für jeden, der die deutsche Sprache und ihre Vielfalt liebt.

Mit derlei Vorgaben haben die Regisseure Dorfner und Hirmer bei der Inszenierung des Stückes gespielt. Ein gefundenes Fressen für Kreative. Im Finden und Umsetzen von faszinierenden Spielszenen sind sie Meister. Hirmer: „Wir haben an dem Text und dem Handlungsgeschehen wenig verändert. Wir brauchten keine Übersetzungen für die heutige Zeit. Unser Job war die Schaffung einer stimmigen Bühnenpräsenz, die das Publikum mitnimmt.“ Dorfner ergänzt: „Büchners Stück ist, obwohl er es vor 186 Jahren geschrieben hat, in Form und Gehalt so einzigartig, dass es noch immer voll überzeugt. Jeder Eingriff wäre ein Verlust an Qualität.“

Personen und Darsteller

Das Schauspielerensemble des Workshop Orange zeigte bei der Premiere wieder einmal seine Klasse. Die vier Damen und Herren überzeugten in ihren Rollen so, als hätten sie in der Zeit von damals gelebt. Imponierend: Teamgeist, Geschlossenheit und mitreißende Spielfreude, die sich auf das Publikum übertrug. Immer wieder gab es Szenenapplaus.

Die Hauptrollen waren mit den Jungschauspielern David Hirmer (Leonce) und Julia Empl (Lena) besetzt. Sie schienen den beiden auf den Leib geschneidert zu sein. David Hirmer, Sohn des Regisseurs, zeigte seine Vielseitigkeit – sowohl bei dramaturgisch dunklen wie auch fröhlichen Szenen. Trauer und Nachdenklichkeit waren hauptsächlich gefragt, dieser Anforderung wurde er in Mimik und Körperhaltung gerecht. Julia hatte eine Doppelrolle. Sie spielte noch die Rosetta, die frühere Freundin von Leonce. Diese kommt ziemlich lasziv daher, ein völlig anderer Typ als Lena. Aber auch dieser Figur hauchte Julia das Leben ein, das benötigt wurde.

Großen Eindruck hinterließ Christian Probst als Valerio. Er beherrscht alle Facetten eines Charakters und setzt mancher Szene oder einem Monolog die Krone auf. Sehr nachhaltig in seinem Spiel wirkte ebenso Alex Kriegl als König Peter vom Reich Popo. Wie er in seiner Unbedarftheit von einer Ohnmacht in die andere fällt, war gekonnt – auch durch den stimmlichen Ausdruck außerhalb jeder Ohnmacht. Steffi Siegert als Gouvernante brachte einen vielbeachteten Spannungsbogen ins Spiel. Ihre Aufgeschlossenheit, immer dann einzugreifen, wenn es etwas zu kitten gab, machte sie sympathisch und gab dem Stück Farbe und Beweglichkeit, ohne zu überziehen. Ausdrucksstark, voller Zack, bisweilen auch in tiefster Demut funktionierte der Hofstaat (Markus Gschwendtner, Christoph Präbst, Milena Sendl, Gabi Haslböck, Nic Farrell). Immer, wenn er auftrat, war Feuer im Saal.

Der Bühne kam dieses Mal eine besondere Bedeutung zu. Die dort verwendete Licht- und Beamertechnik setzte starke Akzente für Verstehen, Spannung sowie Unterhaltung. Verantwortlich dafür: das Technik- und Backstageteam unter Leitung von Kerstin Kaseder. Es baute eine große Bühne, die viel Bewegung zuließ. Darauf standen als Requisiten nur ein kleiner Tisch und zwei Stühle. Ansonsten war das Bühnenbild ganz bescheiden angelegt. Die karge Ausstattung ist gewählt worden, um die Konzentration der Zuschauer nicht vom Geschehen und den attraktiven Büchner-Texten wegzulenken.

Zusammengehalten und aufgepeppt wurde die Inszenierung von Wolfgang Sendl als großartiger, feinfühlige Musikmacher. Fazit. Leonce und Lena – ein schweres Stück mit großer Ausstrahlung.


Weitere Aufführungen morgen, Donnerstag, sowie am Freitag, 25., und Samstag, 26. November; am Donnerstag, 1., und Freitag, 2., sowie Samstag, 3. Dezember. Einlass jeweils um 19.30 Uhr, Beginn um 20 Uhr. Veranstaltungsort ist der Gasthof zur Linde an der B 20 in Gumpersdorf. Eintrittspreis: 18 Euro, ermäßigt 12 Euro. Karten gibt es unter ticket.workshop-orange.de oder marketing@workshop-orange.de, wo auch Reservierungen getätigt werden können, sowie im Reisebüro Tropicana, Simbach, ✆08571/930224.