Raufereien in Pfarrkirchner Containerdorf
„Sternstunde der Amnesie“ vor Gericht führt zur Einstellung des Verfahrens

10.11.2024 | Stand 10.11.2024, 15:23 Uhr |

Zwei Einsätze an einem Nachmittag im Containerdorf – „da wird es nicht langweilig“, wie ein Beamter der Polizeiinspektion Pfarrkirchen jetzt im Prozess vor dem Amtsgericht Landshut sagte. Auslöser war dem Polizisten zufolge jeweils eine „Rauferei“ zwischen zwei Bewohnern der Gemeinschaftsunterkunft.

Die beiden hätten wohl ein „ordentliches Hühnchen“ miteinander zu rupfen gehabt, mutmaßte der Zeuge. Als man die Männer nach dem ersten Vorfall gegen 14 Uhr voneinander getrennt habe, hätten sein Kollege und er eigentlich gedacht, „jetzt passt’s wieder“. Dem war dann aber offenbar nicht so.

Der 43-Jährige, der in den Augen der Staatsanwaltschaft in beiden Fällen der Aggressor war, schwieg sich vor Gericht aus. „Keine Angaben“, erklärte Verteidiger Harald Huber zu Prozessbeginn kurz und knapp auf die Frage von Richterin Sandra Brenner, ob man sich zu den Vorwürfen einlassen werde. Wie sich am zweiten Verhandlungstag zeigte, hatte der Verteidiger damit die richtige Strategie angewandt. Nachdem der Geschädigte den Prozessbeteiligten eine „Sternstunde der Amnesie“ geboten hatte, folgte Brenner dem Antrag Hubers und stellte das Verfahren vorläufig ein.

Vorwurf: Gefährliche Körperverletzung



Die von Staatsanwalt Andreas Steiger vertretene Anklage hatte dem 43-Jährigen, der seit dem Vorfall in Untersuchungshaft saß, gefährliche Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall mit Körperverletzung, zur Last gelegt. Der Ukrainer hat laut Anklage am 29. März seinen Kontrahenten zunächst durch eine Tasse verletzt, die er ihm mit voller Wucht in das Gesicht geschlagen hat. Anschließend verpasste er ihm einen Faustschlag gegen die rechte Wange. Dies hatte bei dem Geschädigten Schwellungen im Gesicht sowie einen lockeren Zahn zur Folge.

Gegen 15.25 Uhr ging der Ukrainer laut Anklage erneut auf den 30-Jährigen los – dieses Mal mit einem Stuhl aus Holz und Metall. Damit schlug er auf seinen Mitbewohner ein. Da dieser den Stuhl aber mit den Händen abwehren konnte, trug er lediglich Abschürfungen davon. Wie der Angeklagte wusste, waren sowohl Tasse als auch Stuhl aufgrund ihrer Beschaffenheit dazu geeignet, erhebliche Verletzungen bei dem Geschädigten herbeizuführen, hieß es in der Anklage.

Beide Männer seien „sehr aufgebracht“ gewesen, als man zum ersten Mal bei den Containern im Industriegebiet eingetroffen sei, so der Polizist. Die Befragungen seien aufgrund der sprachlichen Barrieren „nicht unbedingt leicht“ gewesen. Mit Hilfe von Google-Übersetzer habe man die Situation aber gemeistert. Erschwerend sei hinzugekommen, dass beide sichtlich alkoholisiert waren. Ein Atemalkoholtest habe bei dem Geschädigten 1,3 Promille ergeben. Der Angeklagte habe den Test verweigert.

Direkte Zeugen der Auseinandersetzungen habe es nicht gegeben. Die Tasse sei auf einem angrenzenden Grundstück gelegen. Ein Bewohner sei über den Bauzaun geklettert und habe sie zurückgeholt. Ob der Henkel durch die Tat abgebrochen sei, könne er nicht sagen, meinte der Beamte. „Wie gesagt, die Befragungen waren eher chaotisch.“ Von dem Stuhl sei vor Ort etwa „nie die Rede“ gewesen. Dies sei erst bei der Befragung des Geschädigten auf der Dienststelle herausgekommen. Und der Angeklagte sei ohnehin „immer sehr wortkarg“. Den kenne man schon aufgrund diverser Platzverweise von Supermärkten, an die er sich nie halte.

Dolmetscher soll „falsch übersetzt haben“



Nachdem das Opfer zum ersten Termin nicht erschienen war, wurde er dieses Mal von der Polizei vorgeführt. Zu dem Vorfall im März befragt, hatte der 30-Jährige einerseits plötzlichen Gedächtnisschwund. Andrerseits erzählte er eine völlig andere Geschichte über einen Wurf mit einem Glas anstelle eines Schlages mit einer Tasse. Dabei war ihm vor allem eines wichtig zu betonen: Er glaube, dass der Angeklagte das Glas nicht vorsätzlich geworfen habe.

Das ganze Aussageverhalten des 30-Jährigen erinnere laut Anwalt Huber an den Baron Münchhausen. Von einem Angriff mit einem Stuhl wusste der Zeuge gleich gar nichts mehr. Das müsse der Dolmetscher bei der Polizei falsch übersetzt haben; dieser habe ihn ohnehin nicht richtig verstanden. Als ebenso falsch übersetzt bezeichnete der 30-Jährige den lockeren Zahn, und die Verletzung an der Hand habe er sich bei einem Sturz selbst zugefügt. Beide seien sie halt betrunken gewesen – der Angeklagte noch mehr als er.

− ak

Artikel kommentieren