Unfall veränderte alles
Kilian (9) aus Tann wurde aus dem Auto geschleudert – seither liegt er im Wachkoma

14.03.2023 | Stand 17.09.2023, 1:02 Uhr

Links das letzte Foto von Kilian vor dem Unfall. Die Aufnahme entstand drei Tage vorher in Spanien, wo er mit seinem Papa im Urlaub war. Rechtes Foto: Christina Pöschel hält die Hand von Kilian. Er liegt momentan in einer Klinik in Oberbayern, wird am 23. März erneut operiert. −Fotos: privat/Bach

Und plötzlich war alles anders. Von einer Sekunde auf die nächste. Am Sonntag, 7. August 2022, um 22.45 Uhr änderte sich das Leben von Christina Pöschel schlagartig. Erfahren sollte sie das aber erst etwa vier Stunden später.



„Montagfrüh um 3.40 Uhr klingelte es bei uns an der Haustür“, erzählt die 35-Jährige aus Tann (Landkreis Rottal-Inn). Zwei Polizisten aus Simbach standen vor der Tür, fragten, ob sie Christina Pöschel sei. Sie bejahte. „Wir haben eine schlechte Nachricht zu überbringen“, so die Beamten, ihr Ex-Mann sei bei einem Verkehrsunfall verstorben.

„Und was ist mit Kilian?“, fragte die gelernte Friseurin. Ihr neunjähriger Sohn war an diesem Wochenende bei seinem Papa gewesen. Was mit Kilian passiert ist, besprachen die Polizisten dann mit ihr in ihrer Wohnung. „Wir waren in der Küche, als ich erfahren habe, dass Kilian bei dem Unfall verletzt worden war, so schwer, dass er mit dem Rettungshubschrauber ins Krankenhaus nach Regensburg geflogen werden musste.“

Ihr Ex-Mann (39) hatte auf der Staatsstraße 2086 zwischen Neumarkt-St. Veit (Landkreis Mühldorf) und Massing (Landkreis Rottal-Inn) die Kontrolle über seinen Mercedes verloren, kollidierte mit einem Baum. Er selbst war auf der Stelle tot, eine damals 17-jährige Bekannte aus Rosenheim wurde lebensgefährlich verletzt. Und dann war da noch Kilian mit im Auto.

Schädelbasisbruch und Hirnblutung

„Im Beisein der Polizei habe ich noch in der Nacht auf der Intensivstation in Regensburg angerufen“, erinnert sich Christina Pöschel. Der Arzt habe ihr dann erklärt, dass Kilian bei dem Unfall einen Schädelbasisbruch und eine Hirnblutung erlitten hatte und in künstlichen Tiefschlaf versetzt werden musste.

Die 35-Jährige wollte so schnell es ging zu ihrem Sohn. Ihren zweiten Sohn Matteo, der damals sieben Wochen alt war, brachte sie zu ihrer Tante, weil ihre Mutter Corona hatte. Dann fuhr sie mit ihrem Freund nach Regensburg.

„Gegen 7.30 Uhr waren wir in der Klinik. Eine Krankenschwester nahm mich in den Arm, sagte mir, ich solle nicht erschrecken, wenn ich jetzt dann meinen Sohn sehe, denn er schaut schlimm aus.“ Als Christina Pöschel das Zimmer betrat, in dem Kilian lag, sah sie überall nur Schläuche und Kabel. „Er musste beatmet werden, seine Körperfunktionen wurden überwacht, seine Körpertemperatur gesteuert.“

Die Krankenschwester erzählte ihr, dass er bei seiner Ankunft in der Klinik voll war mit Blättern und dass sie ihn schon mehrfach gewaschen hätten. „Da hab ich erfahren, dass er bei dem Unfall aus dem Auto geschleudert worden war. Und dass er erst 20 Minuten später gefunden wurde – von der Feuerwehr, die eine Wärmebildkamera eingesetzt hatte.“ Der Arzt auf der Intensivstation klärte sie auf, wie es um Kilian tatsächlich stand, dass sein Zustand kritisch sei und dass sie möglicherweise wegen des großen Hirndrucks Teile seiner Schädeldecke entfernen müssten.

Den ganzen Montag war Christina Pöschel bei ihrem Sohn, abends fuhr sie dann heim, um ihre Sachen zu packen und am nächsten Tag wieder zu kommen und zu bleiben. „Am Heimweg sind wir dann noch zur Unfallstelle gefahren, ich wollte sehen, wo das war, bin die Strecke abgegangen.“

Noch während der Fahrt nach Tann meldete sich die Klinik in Regensburg bei ihr am Handy: „Kilian muss notoperiert werden, der Hirndruck war zu groß.“ Nach sechs Stunden – um 1.21 Uhr, das weiß Christina Pöschel noch ganz genau – meldete sich Regensburg erneut, die OP sei gut verlaufen, Kilian sei wieder auf der Station.

„Wir sind dann am Dienstag nach Regensburg gefahren, dort wurde uns dann aber gesagt, dass nicht nur Teile, sondern die ganze Schädeldecke entfernt werden musste“, berichtet Pöschel. Eine Woche dauerte es, bis sich Kilians Zustand stabilisierte, die Ärzte mitteilen konnten, dass er außer Lebensgefahr sei. „Ab da hatte ich die Hoffnung, dass Kilian wieder ganz gesund wird. Die Ärzte und Schwestern haben mir gesagt, dass das lange dauern, dass es ein langer Weg werden wird. Aber die Hoffnung war da.“

Unterversorgung mit Sauerstoff

Allerdings wurde die zwei Wochen nach dem Unfall zerstört, als bei Kilian eine MRT-Untersuchung gemacht wurde. „Der Arzt hat mir die Bilder gezeigt, mir erklärt, welchen Schaden das Gehirn genommen hat. Er sagte, dass es bei Kilian nach dem Unfall eine Sauerstoffunterversorgung gegeben haben müsse. Die Prognose des Neurochirurgen war: ,Ich kann nicht sagen, ob Kilian jemals wieder aufwachen und selbstständig atmen können wird.‘“

Für Christina Pöschel war es ein Schock. „Ich habe am Ende des Gesprächs meine Arme und Hände nicht mehr gefühlt, mir sind Tränen in die Augen geschossen.“ Die 35-Jährige brauchte psychologischen Beistand. Sie wusste nicht, wie es weitergeht, aber sie wusste, dass sie für Kilian da sein werde.

Zwei Tage danach fing Kilian an, wieder selbstständig zu atmen. Ende August wurde er aus dem künstlichen Tiefschlaf geholt. „Er begann zu blinzeln, hat seine Füße bewegt, mehr nicht. Die Augen waren weiter zu. Direkt aufgewacht ist er nach dem künstlichen Tiefschlaf nicht.“ Der Neunjährige ist Wachkoma-Patient.

Am 1. September ist er zur Reha in eine Klinik nach Dresden verlegt worden. „Dort wurden verschiedene Therapien mit ihm gemacht, er wurde bewegt, die Wachheit wurde gefördert.“ Es habe Fortschritte gegeben, Kilian habe häufiger geblinzelt, nach einer Woche habe er die Augen aufgemacht.

In Dresden – am 7. September – wurde er zehn Jahre alt. „Die Betreuerinnen haben sein Zimmer dekoriert. Kilian bekam ein Buch, aus dem ich ihm vorlesen kann, und bunte Socken. Was soll man einem Kind, das im Wachkoma liegt, schenken? Es war das erste Erlebnis, bei dem man so richtig gemerkt hat, alles ist auf einmal anders als früher“, denkt Christina Pöschel zurück.

Bis 14. Dezember war er auf Reha, dann wurde er wieder zurück nach Regensburg verlegt. Neun Tage vor Weihnachten wurde ihm bei einer Operation dort, wo die Schädeldecke entfernt worden war, eine Titanplatte eingesetzt. Weihnachten über war er in Regensburg. Dann der Rückschlag: „Am 28. Dezember hat er Fieber bekommen, am 29. Dezember musste die Titanplatte wieder entfernt werden. Wegen einer Infektion“, so Kilians Mutter.

Familie sucht jetzt ein Haus

Vier Operationen hatte er inzwischen, für 23. März ist die nächste geplant: In Regensburg wird man ihm erneut die Titanplatte einsetzen. Momentan liegt er in der Klinik in Vogtareuth (Landkreis Rosenheim), auf der Neuropädiatrie. Christina Pöschel ist weiter bei ihm und wird es bleiben. „Ich hoffe, dass die OP gut verläuft, dass er im Frühjahr heim nach Tann kommen kann“, sagt sie.

Allerdings: Die Wohnung, in der Christina Pöschel zusammen mit ihrem Freund und dem kleinen Matteo lebt, ist zu klein und nicht barrierefrei. „Wir bräuchten ein bis zwei Zimmer mehr, damit Kilian betreut werden kann.“ Die Familie ist auf der Suche nach einem Haus, im Idealfall eines, das im Erdgeschoss ein Schlaf- und Wohnzimmer hat, dazu ein großes Bad und eine Küche. „Wir hatten uns bereits eines angeschaut, das verkauft wird. Aber momentan ist es nicht einfach, einen Kredit zu bekommen.“

Auch bei Bürgermeister Wolfgang Schmid sei sie schon gewesen. „Da hoffen wir auf Hilfe“, sagt Pöschel. Einer, der die Familie bei der Haussuche bereits unterstützt, ist Pfarrer Wolfgang Reincke. „Er hat eine Rundmail an Leute geschickt, die er kennt, ob die vielleicht ein Haus wüssten.“

Das Leben von Christina Pöschel hat sich im August des Vorjahres von einer Sekunde auf die andere geändert, das Leben ist ein anderes, aber auch wenn es ihr jetzt mehr abverlangt als vorher, aufgeben wird sie nie. Wenn Sie der Familien helfen möchten, können Sie das mit einer Spende auf folgendes Konto: IBAN DE55 7406 1813 0100 7000 70 bei der VR-Bank, Verwendungszweck: Spende Kilian.