Christoph Nußbaumeder
Erster Roman des Eggenfeldener Dramatikers: "Die Unverhofften"

26.09.2020 | Stand 20.09.2023, 23:30 Uhr
Alexandra von Poschinger

An deutschsprachigen Bühnen ist er ein Star, jetzt ist Christoph Nußbaumeder auch Romancier. −Foto: Susanne Schleyer/Suhrkamp Verlag

Die deutsche Gegenwartsliteratur spuckt gute Romane in Regelmäßigkeit aus. Großartige indes in eher überschaubarer Zahl. Zu ihnen gesellen sich nun "Die Unverhofften" von Christoph Nußbaumeder – ein so beeindruckend konstruiertes wie unterhaltend lesbares Romandebüt, das dieser Tage bei Suhrkamp erschien.
Nußbaumeder, geboren in Eggenfelden, aufgewachsen in Reisbach (Lkr. Dingolfing-Landau) und aktuell wohnhaft in Berlin, ist als Dramatiker wohlbekannt. Und mehrfach preisgekrönt. So verwundert es nicht, dass er sein 2010 im Schauspielhaus Bochum uraufgeführtes und 2012 unter Intendant Karl Sibelius am Theater an der Rott in Eggenfelden gespieltes Drama "Eisenstein" in den vergangenen drei Jahren zum Roman ausbaute, daraus eine spannende Familiensaga über vier Generationen formte und mit einem griffigen Stück deutscher Wirtschaftsgeschichte verwob.
Spätsommer 1900 im Bayerischen Wald: Die junge Arbeiterin Maria hat die Eisensteiner Glashütte in Flammen gelegt, als Rache für eine ungesühnt gebliebene Vergewaltigung. Noch in der Brandnacht beginnt die Geschichte einer Familie, in deren Zentrum Georg Schatzschneider steht. Der uneheliche Sohn einer Magd hat es aus einfachsten Verhältnissen zum Lenker eines Großkonzerns gebracht. Doch während vordergründig Ehrgeiz und unternehmerisches Geschick zu den Erfolgsgaranten einer beispiellosen Karriere gerieren, begleicht im Hintergrund Generation um Generation eine Schuld, die Georgs Vorfahren auf sich geladen haben und die zum Katalysator für Glück und Unglück gleichermaßen wird.
Nußbaumeder erzählt von einem Milieu, das bisher nur wenig beschrieben ist – und wenn, dann nicht in dieser Qualität. Dass er im Böhmerwald wurzelnde Lebensläufe literarisch birgt und ihnen damit Relevanz nachreicht, macht das Buch besonders.
Szenisch brillant beschreibt der Autor Augenblicke aus verschiedenen Perspektiven und führt Figurenreden besonders einfühlsam, wodurch sich die Familie im Verlauf der auf knapp 700 Seiten ausgebreiteten Handlung schlüssig zusammensetzt.
Durchwühlt von den großen Wogen deutscher Geschichte, die sich in der Familiensaga spiegelt, gelingt Nußbaumeder eine grandios auf- und ausgebaute Dramaturgie. Das Buch wird von Liebe, Verständnis und Melancholie getragen und lässt eine Sprache erleben, die nüchtern verdichtet und gleichsam Spannung erzeugt, indem sie über weite Strecken die Realität entziffern lässt. Um dann, oft unbemerkt, gleich wieder in feiner Fiktion abzutauchen.

Alexandra von Poschinger



• Christoph Nußbaumeder: Die Unverhofften, Suhrkamp, 671 Seiten, 25 Euro