Wie steht die Landwirtschaft nach der Corona- Pandemie und Ukraine- Krise mit enormen Preissteigerungen da? Was hat sich verändert?
Graf: In den Krisenzeiten ist ein Prozess des Umdenkens in der Bevölkerung in Gang gekommen. Plötzlich hat man erkannt, wie wichtig eine regionale Versorgung mit frischen Lebensmitteln ist. Die Direktvermarktung erlebte einen wahren Boom, viele regionale Produkte fanden plötzlich reißenden Absatz. Die Wertschätzung unserer Arbeit hat uns Bauern und Bäuerinnen nach vielen Jahren der Kritik gutgetan. Leider hat sich der positive Trend nicht auf Dauer halten können. Mittlerweile ist das Thema Ernährungssicherheit und regionale Versorgung nicht mehr so präsent in den Köpfen. Die Leute vergessen schnell, wenn die Zeiten wieder besser werden.
Was bewegt die Landwirtinnen und Landwirte aktuell im Landkreis Regen?
Graf: Aufgrund mehrerer, trockener Jahre hintereinander sind der Wald und insbesondere die Fichten geschwächt. Der Borkenkäfer kann sich explosionsartig vermehren und man sieht vielerorts braune Nester im Wald. Die Fichte als „Brotbaum“ bricht weg, der Wald als „Sparkasse“ für die landwirtschaftlichen Betriebe verliert an Wert. Aktuell macht unseren Landwirtinnen und Landwirten auch zu schaffen, dass die Molkereien ihre Milchpreise deutlich gesenkt haben. Die Erzeugerkosten sind jedoch gleichgeblieben. Der Lebensmitteleinzelhandel und die großen Lebensmittelkonzerne schöpfen wie so oft den Gewinn ab. In unserer Region, wo Milchvieh- und Grünlandwirtschaft vorherrschen, bedeutet das oft enorme Einbußen.
Welche Aufgaben kommen zukünftig auf die Landwirtinnen und Landwirte im Landkreis Regen zu?
Graf: Bei uns gibt es viele kleiner und mittlere Betriebe, viele im Nebenerwerb, oft auch mit Anbindehaltung. Diese gilt es, zukünftig umzubauen. Doch die Auflagen steigen ständig. Wer heute einen Milchviehstall baut, muss ihn in der Regel 20 bis 25 Jahre bewirtschaften, bis er sich abbezahlt hat. Doch können die heutigen, geltenden Tierwohlstandards dann überhaupt noch eingehalten werden? Hier fehlt es an Planungssicherheit. Wenn Tierhalter aufgeben, wer soll dann die kleinen Flächen, wie wir sie im Landkreis haben, mähen? Wer erhält die Kulturlandschaft? Wir haben bei uns keine Massentierhaltung, sondern familiengeführte Betriebe und kleine Strukturen. Gerade in Hinblick auf die Ernährungssicherheit ist der Erhalt von möglichst vielen milch- und fleischerzeugenden Betrieben immens wichtig.
Eine große Herausforderung stellt auch die Rückkehr von Wolf, Luchs, Fischotter und Co. dar. Der Schutz unserer Nutztiere wird immer schwieriger und ist mit großem Aufwand verbunden. Es muss jedoch zukünftig möglich sein, unsere Tiere auf der Weide zu halten, so wie sich das der Verbraucher wünscht. Insbesondere Kinder und Feriengäste sollen auch zukünftig noch durch den Wald gehen können, ohne Angst haben zu müssen. Der Klimawandel mit Hitze und Trockenheit ist bei uns angekommen, wenn auch nicht so extrem wie beispielsweise in Franken. Auch dem Umbau des Waldes in klimaresistente Mischwälder wird zukünftig eine große Bedeutung zukommen.
Was hat Sie in Ihrer Arbeit als BBV- Kreisobmann in letzter Zeit besonders gefreut?
Graf: Ab dem Jahr 2019 erfolgte nach EU- Recht eine Umverteilung der Ausgleichszulage innerhalb Deutschlands. Die Ausgleichszulage ist ein Ausgleich für benachteiligtes Gebiet mit ungünstigen, natürlichen Standortbedingungen, sprich schlechte Böden, ungünstige Klimaverhältnisse usw. Die Bayerwaldlandkreise Regen und Freyung- Grafenau mussten hier drastische Kürzungen hinnehmen, speziell die Grünlandbetriebe. Wir waren die Verlierer, ohne dass wir das Defizit durch andere Förderprogramme ausgleichen konnten. Mittlerweile hat man uns jetzt auch in München verstanden. Es gab kürzlich ein Gespräch mit Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber in Bodenmais. Wir suchen händeringend nach Ideen und Möglichkeiten, um dieses Ungleichgewicht zu korrigieren. Ich bin positiv gestimmt, dass wir hier eine Lösung für die Zukunft finden.
Welche Schwerpunkte haben Sie sich als BBV- Kreisobmann für die nächsten Jahre gesetzt?
Graf: Kritik von außen, zunehmende Bürokratie, ein hohes Arbeitspensum mit oft zwölf bis 14 täglichen Arbeitsstunden und ständige Verfügbarkeit bringt viele Landwirtinnen und Landwirte an die Grenze der körperlichen und geistigen Belastbarkeit. Burnout und Suizid sind auch in der Landwirtschaft und in unserer Region keine Seltenheit mehr. Mir ist wichtig, dass die Landwirtschaft wieder in die Mitte der Gesellschaft gerückt wird. Die Bevölkerung soll mit der Landwirtschaft wieder mehr in Kontakt treten, ihr Handeln verstehen und ihr die nötige Wertschätzung zukommen lassen. Wir sind dafür ausgebildet und wir leben dafür, mit unserer täglichen Arbeit die Versorgung mit frischen Lebensmitteln sicherzustellen. Wir füllen die Teller- nicht Aldi oder Lidl!
Sie sind selbst Vater von zwei Söhnen und inzwischen mehrfacher Opa. Wie stellen Sie sich die Landwirtschaft in 20 Jahren vor?
Graf: Solange gegessen und getrunken wird, hat die Landwirtschaft Zukunft. Jede Generation hat ihre Herausforderungen. Es hat sich unglaublich viel verändert, wenn man auf die letzten 50 Jahre zurückschaut. Zukünftig werden sich mit der Digitalisierung und künstlicher Intelligenz interessante Neuerungen ergeben. Zum Beispiel tragen Melkroboter, Satellitennavigation oder Einsatz von Drohnen bei der Wildtierrettung heute schon zu einer nachhaltigeren Produktion von Lebensmitteln bei. Aber wenn Sie es genau wissen wollen (lacht), dann müssen Sie schon meinen Enkel in 20 Jahren fragen.
Im Rahmen des Pichelsteinerfestes findet am 1. August der Tag der Land- und Forstwirtschaft mit BBV- Präsident Günther Felßner statt. Das Thema lautet: Vielseitig. Kreativ. Innovativ. Bauernfamilien gestalten Zukunft. Was bedeutet dieser Tag für Sie?
Graf: Der Tag der Land- und Forstwirtschaft ist unser Tag. Diese Tradition wollen wir leben und pflegen. Wir wollen uns Zeit nehmen, zusammen zu kommen, uns auszutauschen und eine gemeinsame Maß Bier zu trinken. Zudem freue ich mich, wenn auch viele Verbraucherinnen und Verbraucher diesen Festtag besuchen, um sich über unsere Landwirtschaft im Bayerischen Wald zu informieren.
Interview: Claudia Schreiner-Notzon, AELF Regen
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