Von Regina Kremsreiter
Die eben gegründete Kulturinitiative „die Spedition“ inszenierte unter der Regie von Christoph Schletz zum bundesweiten Vorlesetag einen sechsstündigen Lesemarathon im Passauer Café Museum. Der frühe Abend gehörte Jugendlichen, die aus ihren Lieblingsbüchern lasen. Ab 20 Uhr folgte zwölf weitere Vorlesende mit Texten aus drei Jahrhunderten von Annette von Droste-Hülshoff über Ingeborg Bachmann bis hin zu Autoren, die aktuell in aller Munde sind – wie Nobelpreisträger Jon Fosse oder Tonio Schachinger.
Die Veranstaltung lebte nicht nur von der Vielfalt der Texte. Die Zuhörer konnten auch in die unterschiedlichsten Arten des Vorlesens eintauchen. Während die Schülerinnen emotional ganz tief in ihren Texten waren und ihr Publikum mit dieser innigen Art des Lesens zu Tränen rührten, wurden die Studierenden der Passauer Athanor-Akademie mit großer Spielfreude zu den Protagonisten der Texte. Aber auch Uniprofessoren, Autoren und andere Leseenthusiasten schafften es mühelos, ihre Begeisterung ans Publikum weiterzugeben. So war der Vortrag von Prof. Maurizio Bach aus dem 34. Kapitel von Musils „Mann ohne Eigenschaften“ keine Sekunde ermüdend. Benedikt Kuhnen, der aus Jan Weilers „Der Markisenmann“ las, gelang es fantastisch, den subtilen Witz des Romans zu transportieren. Und Jasmin Maria David lieh György Köves, der Hauptfigur aus Imre Kertészs „Roman eines Schicksalslosen“, ihre unaufgeregte Stimme, die Györgys kindlich-ausweglose Perspektive auf die Welt des Konzentrationslagers eindrucksvoll spiegelte.
Nach jedem Leseblock von je dreimal 15 Minuten gab es Musik, die den Zuhörern eine Pause gönnte und gleichzeitig half, im Lese(Fluss) zu bleiben. Benedikt Kuhnen und Stefan Metzger (Gesang, Flügel und Posaune) interpretierten Stücke von Kurt Weill, Antonio Carlos Jobim und Juan Luis Guerra. Tomás Hernández Castro, Julia Haas, Konni Meinzer, Hannes Kainz und Marvin Steglich – allesamt Studierende an der Athanor-Akademie – rissen das Publikum mit ihrer meist selbst komponierten und getexteten Musik mit.
„die Spedition“ hat sich das Ziel gesetzt, Kunst und Kultur zu (be-)fördern. An diesem ersten Veranstaltungsabend ist das der jungen Initiative mit einem mutigen Format, das Raum für Überraschungen und Begegnung bot, wunderbar gelungen. Je später der Abend wurde, desto mehr füllte sich das Café Museum. Gegen Mitternacht waren es dann vor allem Athanor-Studenten, die die schauspielerisch überzeugenden szenischen Lesungen aus Jon Fosses „Das ist Alise“ und Sarah Kanes „Gier“ bejubelten – und alle anderen Besucher mit erfrischenden Auftritten und bester Stimmung belohnten.
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