Als „Festakt“ am Vorabend zum 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, empfand Alfons Niederhofer, Vorsitzender des Förderkreises Bereich Schloss Ortenburg, die Fortsetzung der „Ortenburger Schlossgespräche“ am Mittwochabend.
Mit der Vortragsreihe wolle man dazu beitragen, dass „demokratische und parlamentarische Prozesse nachvollziehbar werden und aufzeigen, dass es sich lohnt, für Demokratie und Freiheit einzustehen“, sagte Niederhofer. Moderator des Abends war Dr. Stefan Rammer, Redakteur in der Nachrichtenredaktion der Passauer Neuen Presse.
Acht Wahlperioden im Bundestag
Für die historische Analyse hatte man sich mit Dr. Klaus Rose einen kompetenten Zeitzeugen aus dem damaligen Maschinenraum der Politik eingeladen. Von März 1977 bis 2005 war der studierte und promovierte Historiker acht Wahlperioden lang Mitglied des Deutschen Bundestages. Er erlebte die Diskussionen in mehreren Ausschüssen und Gremien des Bundestages, darunter auch im Haushaltsausschuss, in dem er in der entscheidenden Phase zur Wiedervereinigung Stellvertretender Vorsitzender war.
Die kommunalen Geschehnisse hat er parallel als Stadtrat in Vilshofen (1972 bis 1990) und als Kreisrat in Passau (1972 bis 2008) erlebt.
35 Jahre danach
35 Jahre nach der Wiedervereinigung, so Klaus Rose, gebe es eine seltsame Stimmung in Deutschland und Wahlergebnisse, die konterkarieren, dass die Einheit ein Erfolg gewesen sei. Aber diese sei damals vor allem ein großes Stück Arbeit und Gegenstand kontroverser Standpunkte gewesen.
„Das kostet alles zu viel“
Kommunen brauchten finanzielle Unterstützung für Versorgung und Unterbringung der DDR-Flüchtlinge. Man erinnerte sich an die Zeltstadt auf dem Vilshofener Berger-Parkplatz 1989. Als am 9. November 1989 die Mauer geöffnet wurde, werteten das alle Fraktionen als historischen Schritt, aber viele hätten auch gesagt „Freiheit ja, aber Einheit nie!“ und „Das kostet alles viel zu viel, wir können uns das nicht leisten.“
Gespräche in Polen
Auch in anderen Ländern Europas veränderte sich die Lage. So war Rose bereits 1986 mit einer Delegation in Polen gewesen. Dort hatte man nicht nur mit der polnischen Führung geredet, sondern auch mit der Gewerkschaft Solidarnosc und ihrem Anführer Lech Wałesa sowie mit führenden Kirchenvetretern. Als Klaus Rose Polen als „osteuropäisches Land“ bezeichnete, gab es von den Gesprächspartnern lauten Protest und den Hinweis, man sei nicht ost- sondern zentraleuropäisch. Zu Hause wiederum wurde diese Reise der deutschen Delegation noch kritisiert und als „Störung des Friedens“ gesehen.
Rose: „Das habe ich nie gesagt“
Über den Weg zu einer deutschen Einheit gab es ganz verschiedene Konzepte. Er erinnerte an den Runden Tisch und die Idee von einer künftigen deutschen Konföderation. Die BILD-Zeitung hatte getitelt „Krenz Vizekanzler unter Kohl“ (Egon Krenz war Generalsekretär der SED und Nachfolger von Erich Honecker) und behauptete, damit den Abgeordneten Klaus Rose zu zitieren. Rose dazu: „Das habe ich nie gesagt.“
Zehn-Punkte-Programm von Helmut Kohl
Am 18. November, im Verlaufe der Haushaltsberatungen, lieferte Kanzler Helmut Kohl dann sein Zehn-Punkte-Programm, in dem er unter anderem die föderale Struktur eines wiedervereinten Deutschlands vorschlug.
Erste Bundestagswahl im geeinigten Deutschland
Die weiteren Daten sind hinlänglich bekannt. Am 3. Oktober 1989 war die offizielle Einheitsfeier vor dem Brandenburger Tor und am 2. Dezember 1990 die erste Bundestagswahl im geeinten Deutschland. Die versprochenen „Blühenden Landschaften“ ließen jedoch auf sich warten und die neue einheitliche Währung verursachte Bauchschmerzen. Doch trotz aller – erwarteten und unerwarteten – Probleme zogen im Herbst 1994 alle ehemaligen Sowjetsoldaten aus der Bundesrepublik Deutschland ab.
„Miteinander-Füreinander – nie wieder gegeneinander“
Unvergesslich bleibt dem Abgeordneten Rose als Kapitän der Abgeordneten-Fußballmannschaft des Deutschen Bundestages das einmalige Vergleichstreffen mit der Mannschaft der Volkskammer im September 1990 in Berlin. Das Motto lautete „Miteinander-Füreinander – nie wieder gegeneinander“, das Ergebnis hieß 2:2.
Fehler bei der Vereinigung?
In der Fragerunde des Abends wollte Moderator Stefan Rammer wissen, ob sich die aktuellen Wahlergebnisse in Brandenburg, Sachsen und Thüringen mit Fehlern bei der Vereinigung erklären ließen. „Eindeutig Nein“, sagte Rose und kritisierte die gewachsene Distanz der Parteien zu ihren Wählern. Man müsse hingehen zu den Leuten, sie treffen, wo sie zu Hause sind und eine „neue Erzählung“ verbreiten.
Die Länder seien heterogen und nicht homogen. So gebe es in sächsischen Landtag einen Vizepräsidenten von der AfD und in Thüringen die „Brandmauer“. Vielfach fehle ihm außer der Nähe zum Wähler auch die Differenzierung und weder die neuen Medien noch die Talkshows im Fernsehen seien für entsprechende Vermittlung geeignet.
DDR „völlig heruntergewirtschaftet“
Altbürgermeister Reinhold Hoenicka beschrieb aus eigener Anschauung, dass die DDR zuletzt völlig heruntergewirtschaftet war und man sich über das Westfernsehen ein eher geschöntes Bild von der BRD gemacht hätte. Westfirmen kamen als Investoren und mussten Belegschaften verkleinern. Die D-Mark als neue Währung war nach seiner Auffassung alternativlos. Die Bürger der DDR hätten stets von der „harten Währung“ geschwärmt.
Gefragt wurde auch nach der historischen Leistung von Michail Gorbatschow. Ja, sagte Klaus Rose, dieser sei zum richtigen Zeitpunkt Generalsekretär geworden und habe sich getraut, für Reformen zu plädieren. Außerdem habe sich die UdSSR die sowjetischen Truppen im Ausland nicht länger leisten können.
Positive Erinnerungen bleiben für immer
Dass nach 35 Jahren immer noch unterschiedliche Meinungen zu Ablauf und Bewältigung der Einheit vertreten werden, sei klar. Seine positiven Erinnerungen an die Zeit beim Abbau von Grenzen, Mauern und Stacheldrähten lasse er sich aber von niemandem nehmen.
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