Vortrag von Heimatforscher Heiner Köberl
„Entnazifizierung im Raum Untergriesbach“: Alle sahen sich selbst nur als Mitläufer und Entlastete

11.11.2024 | Stand 11.11.2024, 19:00 Uhr |

In der Natur und in der Geschichte des Marktes Untergriesbach ist Heiner Köberl mit großem Einsatz unterwegs. Zum Abschluss seiner Vortragsreihe „Bürger und Bauern“ widmete sich der Heimatforscher dem brisanten Thema „Entnazifizierung“. − Foto: PNP

Mit einem brisanten und auch schmerzhaften Thema hat Heimatforscher Heiner Köberl seine Vortragsreihe „Bürger und Bauern“ abgeschlossen. Im Gasthaus Tausendteufel sprach er über die „Entnazifizierung im Gebiet der heutigen Marktgemeinde Untergriesbach“. Zunächst wandte sich Köberl gegen die immer wieder zu hörende Ansicht, im Markt und in den umliegenden Orten sei während des Dritten Reiches nichts Unrechtes passiert, wirkliche Nazis habe es hier ohnehin kaum gegeben.

Anhand von Schlagwörtern wie „Juden sind in dieser Ortschaft unerwünscht“, „Zwangssterilisation“, „Euthanasie“, „Rassenschande“ und „Zwangsarisierung“ skizzierte er grob die vorhandene braune Hypothek für Untergriesbach und sein Umland.

Großteil zeigte keinerlei Unrechtsbewusstsein



Anschließend erläuterte er die rechtlichen Grundlagen für die „Entnazifizierung“, wie sie vor allem im „Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ vom 5. März 1946 verankert gewesen waren. Er ging dann näher ein auf das Procedere der „Entnazifizierung“ und die Zusammensetzung sowie die Arbeitsweise der Spruchkammer, die sich für den Landkreis Wegscheid im Schloss Obernzell befand.

„Hören eines Feindsenders“ war „Rundfunkverbrechen“



Den Kern des Vortrags bildete dann die Präsentation mehrerer konkreter Entnazifizierungsverfahren nach den Spruchkammerakten im „Staatsarchiv Landshut“. Ausgewählt aus den festgestellten 359 Belastungsfällen, die gegen Personen aus der heutigen Marktgemeinde zwischen Anfang Juli 1946 und dem 31. Juli 1948 vor der Spruchkammer Obernzell verhandelt worden waren. Der Referent wählte dazu die Verfahren aus gegen vier Frauen und drei Männer der Altgemeinden Oberötzdorf, Schaibing und Untergriesbach mit recht unterschiedlichen Belastungsgraden.

Fast immer schätzten sich die ausgewählten Betroffenen in ihren Verfahren in der Eigenaussage als „Mitläufer“ oder gar als „Entlastete“ ein, ohne jegliches Schuld- und Unrechtsbewusstsein. Auch dann, wenn sie als Bürgermeister, Ortsbauernführer oder Volksschullehrer fest eingebunden waren in die NSDAP sowie ihre Untergliederungen und sich aktiv in den Führerstaat eingebracht hatten. Die Entscheidungen der Obernzeller Spruchkammer pendelten in diesen sieben Verfahren zwischen den strengen Vorschlägen des öffentlichen Anklägers und der „Mitläufermentalität“ der Betroffenen. Lautete der Spruch auf eine Einstufung in die Gruppe I (Hauptschuldiger), II (Belasteter) oder III (Minderbelasteter) mit den entsprechenden schweren Sühneleistungen bis hin zu Arbeitslager, Verlust der meisten Bürgerrechte und Einzug eines Teils des Vermögens, so gingen die Betroffenen in die Berufung, wofür die Spruchkammer in Passau zuständig war.

Aus Rachsucht Mitbürger denunziert



Dann waren sie meist nur mehr bloße „Mitläufer“, die mit der Zahlung eines kleinen finanziellen Sühnebetrags schließlich „entlastet“ und somit „entnazifiziert“ waren.

Unter den ausgewählten Beispielen befand sich auch der spektakuläre Fall einer Kleinbäuerin aus der ehemaligen Gemeinde Oberötzdorf. Diese war kein Mitglied der NSDAP gewesen, hatte aber aus privater Rachsucht drei Familienväter 1944 wegen angeblichen „Hörens eines Feindsenders“ und damit wegen „Rundfunkverbrechens“ angezeigt und in schwere Unannehmlichkeiten gestürzt.

Zuständige Spruchkammer tagte in Obernzell



Die Spruchkammer in Obernzell bedachte die Denunziantin von einst mit einer Sühne von einem halben Jahr Arbeitslager, dem Einzug von 20 Prozent ihres Vermögens und mit dem Verlust beziehungsweise der Einschränkung der meisten Bürgerrechte für fünf Jahre.

Über diese Entscheidung der Spruchkammer Obernzell berichtete auch die erst seit dem 6. Februar 1946 erscheinende „Passauer Neue Presse“ unter der Überschrift „ Arbeitslager für Nichtparteigenossin. Üble Denunziantin vor der Spruchkammer Wegscheid“ am 24. Januar 1947 sehr ausführlich mit Nennung des vollen Namens sowie des Wohnorts der Betroffenen, wartete auch mit vielen Details aus dem Verfahren auf und pries diesen Fall als „bisher interessantesten“ vor der Spruchkammer Obernzell an.

Mehrere Gerichtsverfahren aufbereitet



Am Ende eines ausgereiften Vortragsabends dankte Bürgermeister Hermann Duschl dem Referenten Heiner Köberl für die objektive, ausführliche Darstellung der Entnazifizierung vor Ort und den „mucksmäuschenstillen“ Zuhörern für ihr großes Geschichtsinteresse.

− np



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