„Hier regiert der SVU“
Ein magischer Moment des Meisters: SV Untergriesbach gewinnt das Duell gegen Erlangen durch ein Finale furioso

22.10.2024 | Stand 22.10.2024, 10:47 Uhr |

Eine Mannschaft feiert, der Gegner kauert am Boden: Während die SVU-Ringer ihren Trainer Christoph Scherr herzen (irgendwo in der Mitte), ist dessen Gegner Ehsan Hekmat (l.) fix und fertig.  − Fotos: Hans Springer

Was für ein Abend in der Untergriesbacher Verbandsschul-Turnhalle, den die Fans nach einem magischen Moment glückselig verließen – und als Glücksbringer verzauberte einer die Massen: Christoph Scherr. Der 42-jährige Trainer gewann im Duell gegen den TV Erlangen den letzten Kampf des Abends und drehte so die drohende Heimniederlage noch in einen 18:17-Sieg. Der „Hexenkessel“ kochte, die Masse feierte ein großartiges Team um Zeremonienmeister Scherr.

Der Coach der Weiß-Blauen, von Berufswegen als Metzgermeister auch fürs Grobe zuständig, hat mit seiner fünfköpfigen Familie und in einer anstrengenden Berufswelt ausreichend Stress im Leben, könnte an Wochenenden dem Müßiggang frönen und das Ringen Ringen sein lassen. Zumal dieser Sport, den er seit über 30 Jahren teilweise extrem betreibt, Spuren an seinem Körper hinterlassen hat. Er könnte ... wäre da nicht seine Liebe zum Ringen, ein gewisser Ehrgeiz und eine große Triebkraft.

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„Das sind genau seine Momente“, sagte Marcus Mackamul, der erste Trainer von Scherr, der seinen Schützling in jungen Jahren auf altväterliche Weise einst beim TV Ebersbach in die deutsche Spitze geführt und der am Wochenende seinen schwäbischen Landsmann in dessen neuer Heimat besucht hatte. „Dieses Feuer, diesen unbedingten Willen, den haben nur ganz wenige. Und je stärker der Widerstand, desto stärker wird er.“

In Scherrs Denke verbieten sich Demütigungen auf heimischer Matte



Aber was hatte den 42-Jährigen derart bewegt, dass er zum x-ten Comeback in seinem „Wohnzimmer“ für den SVU noch einmal das rote Heim-Dress überstreifte? Nun, in der neuen Ringer-Oberliga schickte sich der TV Erlangen an, bei seiner Premiere in Untergriesbach gleich den Sieg und die Punkte mit nach Mittelfranken zu nehmen. Und weil den Coach schon die Heimniederlage gegen den ASV Hof zu Saisonbeginn wie ein Stachel im Fleisch wurmte, wollte er sich gegen Erlangen nicht erneut einen Schiefer einziehen – in Scherrs Denke verbieten sich Demütigungen auf heimischer Matte.

Der Gegner aus Erlangen hatte bislang nur gegen die „Großen“ der Liga aus Hof und Nürnberg den Kürzeren gezogen und wollte nun in Untergriesbach zeigen, wer die Nummer 3 in der Liga ist. Schon beim Aufwärmen der TVE-Truppe wurde einigen Fans in der proppenvollen Verbandsschul-Turnhalle ganz mulmig angesichts der Turnübungen einiger Kraftpakete beim Gegner. Doch weil Vorspiel und Kampf zwei Paar Schuhe sind, verflogen die negativen Gedanken an eine mögliche Niederlage schon beim ersten der neun Gefechte.

„Jonas hat auch diese Sieger-Mentalität in sich“

Jonas Lenz eröffnete – wie immer – den Abend. Und der aktuelle deutsche Vizemeister zeigte trotz Grippe in den Tagen zuvor eine formidable Leistung und legte den in dieser Saison noch unbesiegten Amer Almaayouf auf die Schultern. „Das war ein schöner Kopfzug“, lobte Co-Trainer Nico Kurtev, „Jonas hat auch diese Sieger-Mentalität in sich.“ 4:0 für die Gastgeber, ein prima Auftakt für Weiß-Blau, zumal Mo Jabban kampflos vier Zähler gutgeschrieben wurden.

Doch dann drehte sich der Spieß erstmals zugunsten der Gäste, die durch Poorya Zaheri, Luis Alejandro Villagomez und Hamed Kiani drei Siege am Stück einfuhren. Während Thomas „Lanz“ Hartl gegen den Ecuadorianer Villagomez nicht den Hauch einer Chance besaß, kämpfte der Wahl-Eginger Christoph Fenzl gegen Kiani lange auf Augenhöhe. Christoph Bauer hingegen drückte die ersten beiden Minuten auf die Tube, lag in Front, konnte aber Tempo und Niveau nicht halten. „Christoph, wo ist dein Herz?“, brüllte Trainer Scherr von draußen in einer aufgeheizten Gemengelage seinen Mannschaftskollegen in Runde 2 an. Das wirkte. Bauer fand immerhin den Weg zurück und holte am Ende noch eine Zweier-Wertung.

Marvin Music souverän

So ging’s mit einem 8:9-Rückstand in die Pause – eine solch’ „enge Kiste“ hatte Scherr ja prognostiziert. Und das Pendel schlug auch im zweiten Teil des Abends von einer Seite zur anderen. Zunächst brachte Marvin Music Weiß-Blau durch einen Sieg gegen den 2-Meter-Hünen Patrick Kellers wieder in Front (11:9), dann lagen die Mittelfranken nach der Schulterniederlage von Publikumsliebling Flo Unfried gegen Routinier Sebastian Krieger wieder auf Pole (11:13). „Da muss man nichts beschönigen, er war klar besser“, fasste Unfried seinen Einsatz zusammen, der trotz einer Verletzung am Daumen auf alle Zähne biss und stinksauer nach seinem Kampf fluchtartig erst mal die Katakomben des „Hexenkessels“ aufsuchte.

Benedikt Heindl besiegt seinen Gegner nach 29 Sekunden



Und sogleich folgte die nächste Wende: Benedikt Heindl stürmte wie von der Tarantel gestochen auf die Beine seines Gegners los, umfasste diese und wirbelte Nico Gromotka per Beinschraube viermal nach links und viermal nach rechts. Kampfende nach 29 Sekunden, große Klasse. So hieß es vor den finalen beiden Duellen 15:13 für den SVU, 15:17 nach dem Auftritt von Edi Citu gegen den enorm wendigen und kraftvollen Islam Tulikov. „Edi braucht diese Kämpfe“, rechtfertigte Co-Trainer Nico Kurtev die Nominierung des 15-Jährigen.

So gipfelte der Abend im Duell zwischen Christoph Scherr gegen den Erlanger Ehsan Hekmat im griechisch-römischen Stil. Genauso, wie es der Trainer vorgesagt und er sich gewünscht hatte. Zwei Punkte hätten zum Remis für den SVU gereicht, doch Scherr wollte den Sieg – also drei Zähler. „Wenn wir vier Punkte gebraucht hätten, hätte er vier geholt“, sagte sein Co Kurtev. „Das ist sein Leben.“

„Super Abend, super Kämpfe, ein tolles Publikum“



In Runde 1 zermürbte Scherr seinen Kontrahenten zunächst in der Bodenlage, drehte ihn zunächst zweimal nur knapp über die Schulter, um ihn dann nochmal komplett durchzudrehen – die Halle kochte. Im zweiten Abschnitt musste zunächst der Untergriesbacher nach nur 24 Sekunden in die Bodenlage. Doch trotz aller wilden Schreie von der Erlanger Ecke ließ sich der Gastgeber kein Jota bewegen, wie festgeklebt lag Scherr in der Horizontalen, Hekmat verzweifelte an einem Mann, der nun mit einem Funkeln in den Augen und mit einer unnachahmlichen Gewissheit im Kopf zur Tat schritt. Denn: Ein zweites Mal ordnete Mattenleiter Holger Atzesberger bei 4:43 Minuten die Bodenlage für den Gast an. Und Scherr sortierte nochmal die Auslage und drehte seinen Gegner viermal durch – das Publikum tobte, der gegnerische Trainer raste, die eigene Mannschaft stürmte nach sechs Minuten auf ihren Spiritus Rector und feierte mit ihm den Augenblick – einen magischen. „Ich hab’ nur das vollendet, was die Jungs vorher angerichtet haben. Das war ich ihnen schuldig, weil sie unfassbar zusammengehalten haben.“

„Jetzt schnaufen wir erst mal durch, trinken ein Bier“



Der Gäste-Coach hatte sich nach den aufregenden Minuten schnell wieder im Griff. „Das war ein super Abend, super Kämpfe, ein tolles Publikum“, sagte Max Strampfer gefasst. Und: „Wir haben gewusst, dass es hier schwer wird.“ Nein, die Niederlage schmerze ihn nicht, „aber jetzt schnaufen wir erst mal durch, trinken ein Bier und morgen geht die Sonne wieder auf“ – beim SVU wird man sich hingegen noch lange an diesen denkwürdigen Abend erinnern.

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