In der Fußball-Kneipe „Stadion an der Schleißheimer Straße“ in der Münchner Innenstadt hat Klaus Augenthaler (67) sein Buch „Immer nur Rot-Weiß gedacht“ offiziell vorgestellt. Wir haben mit dem Weltmeister aus Vilshofen über seine anhaltende Verbindung mit dem FC Bayern, über Schlüsselerlebnisse und denkwürdige Pressekonferenzen gesprochen und warum er nun seine Geschichte veröffentlicht.
Herr Augenthaler, Ihr Buch ist auf dem Markt. Wie kam es? Wieso ist ein Norddeutscher der Autor?
Klaus Augenthaler: Albrecht Breitschuh hat über Oliver Kahn schon ein Buch geschrieben, darin kommt mein Name mehrfach vor. Er hat mich vor über einem Jahr angerufen, ein Buch auch mit mir herauszubringen. Ich habe dann zugesagt. Ziemlich früh ist auch der Titel entstanden „Immer nur Rot-Weiß gedacht“. Die Worte hatte ich ihm bei einem unserer ersten Gespräche gesagt. Es war dann eine wunderbare Zusammenarbeit und ich glaube die Nord-Süd-Achse hat gut gepasst.
Das erste Kapitel heißt: „Du musst dich wehren“. Das ist wie zu verstehen?
Augenthaler: Na ja, beim Wechsel von Vilshofen zu den Bayern musste ich mich zunächst mal ganz hinten anstellen. Jupp Kapellmann, für 900 000 Mark, aus Köln zwei Jahre zuvor gekommen, war das exakte Gegenteil von einem stromlinienförmigen Profi. Er sah bei mir eine große Mängelliste, wobei mein niederbayerischer Dialekt noch das geringste Problem war. Beim Trainingslager in Herzogenaurach musste ich auch noch ein Zimmer mit ihm teilen. Das war wie Einzelhaft. Ich hatte großen Respekt vor ihm. Er war Stammspieler, hatte schon einige Titel geholt und gehörte zum Kreis der Nationalmannschaft. In seiner Gegenwart hatte ich mich kaum getraut zu atmen.
Das heißt, die ersten Schritte bei den Bayern waren echt schwer.
Augenthaler: Ja klar, auf einen wie mich hatte eigentlich keiner gewartet. Der Schritt von Vilshofen nach München war wie eine Weltreise. Ich bin Heimat verbunden und München war eine ganz andere Welt. Ich kannte ja bis dahin nur mein kleines Städtchen mit seinen 7000 Einwohnern. Ich kannte hier alle, mir hat es an nichts gefehlt, ich fühlte mich wohl. Und plötzlich war ich auf mich allein gestellt. Werner Olk, unser Co-Trainer, sagte mir, ich müsste mich schon etwas wehren, sonst könnte ich gleich wieder nach Hause fahren.
„Kapellmann ging zu Boden, bei Olk der Daumen hoch“
Als sich Kapellmann wieder einmal über mich lustig gemacht hatte, setzte ich im Training meinen Ellbogen im Zweikampf derart hart ein, dass er liegen blieb. Später folgte eine Grätsche, Kapellmann ging wieder zu Boden und bei Olk ging der Daumen nach oben. Ich habe da die vielleicht wichtigste Lektion im Fußball gelernt: Ellbogen ausfahren, sich wehren, nicht nur im Trainingslager, sondern immer.
Ist es richtig, dass Gerd Müller Sie für die Startelf gefordert hat?
Augenthaler: Ja, das war in Tegernsee im Trainingslager vor dem Spiel gegen Borussia Dortmund. Wir waren schon im Bett, da klopfte es, die Tür ging auf und Chefcoach Dettmar Cramer kam herein und sagte, dass ich am nächsten Tag von Beginn an spielen werde. Natürlich hatte ich die ganze Nacht kaum geschlafen und auch geträumt, nämlich, dass ich ein Tor schieße. Und ich habe dann tatsächlich ein Tor gemacht und einen Elfmeter herausgeholt.
Wie war es überhaupt zum Wechsel von Vilshofen zu den Bayern gekommen?
Augenthaler: Ich war beim FC Vilshofen in der A-Jugend, wir haben in der Bayernliga Süd gespielt u.a. gegen Bayern, 1860, Augsburg und Straubing. Wir hatten einen Zuschauerschnitt von 4500 und sind Meister geworden. Es war eine super Mannschaft. Zu viert sind wir dann zum Probetraining bei den Bayern eingeladen worden. Dann habe ich einen Vertrag unterschrieben mit monatlich 4000 Mark. In Vilshofen hatte ich als Bürokaufmann bis dahin 370 Mark verdient. Meine Eltern waren dabei, weil ich noch nicht 18 war. Die mussten mit unterschreiben.
Sie hatten nie einen Spielerberater. Warum?
Augenthaler: Ich brauchte keinen, was heute undenkbar ist. Einmal hatte ich mit Leverkusen und Manager Calmund verhandelt. Da wurde mir ein Anwalt zur Seite gestellt, aber ich habe mich fast geschämt. Der war unverschämt, was er verlangte. Ich bin beim FC Bayern immer gut gefahren. Von Uli Hoeneß habe ich mal erfahren, dass wegen mir immer mal Vereine angefragt haben, aber eben bei ihm und nicht bei mir.
Hatte es ein Bayernprofi früher eigentlich leichter als heute?
Augenthaler: Natürlich. Unter Pal Csernais Zeiten hatten wir mittwochs immer frei. Wir sind dann meistens zu viert oder zu fünft am Dienstagabend nach Schwabing in eine Kneipe gegangen, die um eins dicht machte. Für uns hat der Chef aufgelassen und wir haben Karten gespielt. Aber um fünf mussten wir aufhören, weil einer noch bei der Post gearbeitet hatte. So etwas ging heute überhaupt nicht.
Ihr größtes Spiel beim FC Bayern?
Augenthaler: Da hat es viele gegeben, gerade international. Aber als Gesamtpaket würde ich die Saison 1985/86 nennen. Wir waren 33 Spieltage lang nie Erster und haben am 34. den Titel geholt. Am vorletzten Spieltag spielten wir 0:0 in Bremen, wobei Kutzop kurz vor Schluss einen Elfer verschoss. Wäre der drin gewesen, wäre Bremen vorzeitig Meister gewesen. Am letzten Spieltag verloren die Bremer dann beim VfB Stuttgart 1:2 und wir besiegten Mönchengladbach 6:0. Wir waren punktgleich, hatten aber das besser Torverhältnis. So eine Saison vergisst man nie.
Ihre schlimmste Niederlage?
Augenthaler: Das war Aston Villa im Finale des Europapokals 1982 in Rotterdam. Wir waren die Favoriten, haben aber 0:1 verloren und mein Gegenspieler hat das Tor gemacht. Pal Csernai hat uns in der Kabine ganz schön runtergebügelt. Es gab hinterher ein regelrechtes Frust-Saufen, auch Stühle sind wohl aus dem Hotelfenster geflogen, glaube ich jedenfalls, denn am Nachmittag waren sie noch da, tags darauf nicht mehr.
Ihr liebster Gegenspieler?
Augenthaler: Es war Horst Hrubesch. Ich war immer zuständig für ihn bei Standardsituationen. Er war ein harter Spieler, aber immer fair. Ich war beeindruckt. Er hat immer genau gewusst, wann es sein Foul oder mein Foul war. Wir waren über Jahre auch befreundet, übrigens auch mit Uli Stein. Gegen ihn habe ich ja 1989 das Tor des Jahrzehnts geschossen, aber nur deshalb weil ich nicht mehr laufen konnte (lacht).
Ihr unfairster Gegenspieler?
Augenthaler: Da muss ich Hugo Sanchez aus Mexiko nennen, ein ganz linker Vogel. Es war im Europapokal-Halbfinale in Madrid. Wir hatten Real daheim 4:1 besiegt. Ich sah nach 20 Minuten im Rückspiel Rot, die Unparteiischen sind auf seine Schauspielkünste hereingefallen. Ich hatte ihm lediglich einen Klaps gegeben. Das wertete der Unparteiische als Tätlichkeit. Sanchez wälzte sich auf dem Rasen. Der Teamarzt sprintete heran. Nach der Roten Karte, sprang Sanchez auf und führte sogar den Freistoß aus. Ihm fehlte gar nichts.
„Kleinholz in Madrid – aber wir spielten 1:1“
Aber schon im Hinspiel hatte es ja einen Eklat gegeben.
Augenthaler: Richtig! Ein Spanier kam mit gestrecktem Fuß auf mich zu und rammte diesen in meine Brust. Ich hielt dann meine ausgestreckten Zeigefinger an die Schläfen. Ich wollte damit nur ausdrücken, dass wir hier beim Fußball und nicht beim Stierkampf sind. Dass die Geste in Spanien als schlimmste Beleidigung gilt, wusste ich nicht. Teamchef Franz Beckenbauer hatte hinterher gesagt, dass es in Madrid Kleinholz geben wird. Und so kam es. 90 000 waren gegen mich, ich brauchte hinterher Polizeischutz. Es war die Hölle von Madrid. Aber wir spielten 1:1, standen im Finale gegen Porto.
Sie sind heute noch beim FC Bayern unter Vertrag. Was genau machen Sie?
Augenthaler: Richtig, ich bin jeden Vormittag am Campus und trainiere im Rahmen der Global Academy mit U 17-Spielern, zumeist aus den USA. Sie kommen zwei Mal im Jahr für vier Monate. Training ist jeweils am Vormittag, Home-Schooling am Nachmittag. Ich spreche zwar schlecht englisch, aber es klappt offenbar. Wir hatten bislang zehn Spiele und alle zehn gewonnen. Ich bin für die Fußballschulen im Ausland und Kooperationen beim FC Bayern zuständig.
Hat es eigentlich mal Berührungen mit dem TSV 1860 gegeben?
Augenthaler: Tatsächlich, ja! Ich war Trainer in Graz und da war der damalige Löwen-Chef Karl-Heinz Wildmoser bei mir daheim auf der Coach im Wohnzimmer gesessen. Er wollte mich als Trainer haben. Aber nach 17 Jahren Spieler beim FC Bayern, dann Löwentrainer, die hätten mich doch gelyncht. Aber ich wäre sofort dafür, dass die Löwen in die Bundesliga aufsteigen. Das wären tolle Derbys, die Stadien immer voll und die Bayern hätten sechs sichere Punkte.
Sie sagten Graz. Unvergessen ihr Auftritt mit Hape Kerkeling. Die Story hat drei Millionen Aufrufe bei You Tube. Wie kam es?
Augenthaler (lacht): Der Präsident ist vor dem Derby auf mich zugekommen, hat gesagt, dass da eine Anfrage gekommen sei von SAT.1 für die Sendung „Darüber lacht die Welt“. Ich wusste Bescheid, der Vereinspräsident, aber nicht die Presse. Es war eine Pressekonferenz. Ich sagte, dass ich nach Frankreich wechseln werde. Dann wurde der neue Grazer Trainer Alberta Klimavistys aus Litauen vorgestellt. Kerkeling hatte sich verkleidet und quatschte nur Blödsinn, aber die komplette Presse hat es geglaubt. Die Meldung ging sofort raus in Österreich über Agentur und im Radio. Es war ein Riesenspaß. Es ist wirklich lohnenswert, den Film bei You Tube anzusehen.
Und eine zweite Pressekonferenz wird unvergessen bleiben...
Augenthaler: Ja, das war in Wolfsburg. Die PK dauerte genau 42 Sekunden. Ich habe vier Fragen selbst gestellt und vier kurze Antworten dazu gegeben. Ich habe immer versucht, mich mit denn Journalisten gut zu stellen, aber die haben immer geschrieben, was sie wollten. Das hat mich so genervt, dass es zu der denkwürdigen PK kam. Ein Journalist kam hinterher zu mir und sagte, dass ich alle schön vor den Kopf gestoßen hätte, aber es sei gut gewesen.
Abschließend, warum sollte man ihr Buch lesen?
Augenthaler: Ich werde oft noch angesprochen, beim Einkaufen, am Campus, beim Tanken und sonst wo, wie es mir geht und natürlich auf alte Zeiten als Spieler wie als Trainer. Und all das ist auf 270 Seiten nachzulesen. Es ist mein Berufsbild, also mein Fußballleben. Es liegt hier blank.
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