München
In Bayern mangelt es an Pflegefamilien

28.08.2020 | Stand 21.09.2023, 3:51 Uhr

−Symbolfoto: dpa

Sie nehmen Kinder auf, die nicht selten traumatisiert und psychisch eingeschränkt sind. Manchmal müssen sie Konflikte mit den leiblichen Eltern der Kinder aushalten: Pflegeeltern haben es nicht einfach - in vielen Gegenden Bayerns fehlen sie.

Schon im Alter von drei Monaten muss der kleine Jonas (Name geändert) vom Augsburger Jugendamt in Obhut genommen werden. Seine Eltern sind psychisch krank, oft kommt es in der Familie zu Gewalt. Eine Bereitschaftspflegefamilie nimmt das Baby auf.

Doch die leibliche Mutter will ihren Sohn wiederhaben. Ein Gerichtspsychologe begutachtet sie. Neun Monate später empfiehlt er, das Kind zu seinen leiblichen Eltern zurückzubringen - flankiert von ambulanter sozialpädagogischer Familienhilfe. Doch die Mutter ist mit der Erziehung wiederum überfordert. Erneut kommt Jonas in die Bereitschaftspflegefamilie, in der er schon war. Einige Monate später wechselt er mit seiner Mutter in eine Mutter-Kind-Einrichtung. Auch diese Maßnahme scheitert. Schließlich wird Jonas im Alter von zwei Jahren an eine Pflegefamilie außerhalb von Augsburg vermittelt. Heute ist er knapp drei Jahre alt.

Für Leon, der ebenfalls in Wirklichkeit anders heißt, wurde bisher keine Pflegefamilie gefunden. Der Junge ist ein halbes Jahr alt und hat ein fetales Alkoholsyndrom. Seine Mutter hat in der Schwangerschaft getrunken und ihren Sohn dauerhaft geschädigt. Wenige Tage nach seiner Geburt wurde Leon aus seiner Familie genommen und lebt seitdem in der Kurzpflegestelle des Augsburger Jugendamtes, die eigentlich nur eine Übergangslösung ist.

Kind in Pflege zu nehmen, ist nicht dasselbe wie Adoption

Diese zwei Fälle, die Christian Gerlinger vom Amt für Kinder, Jugend und Familie der Stadt Augsburg schildert, machen deutlich, vor welchen Schwierigkeiten Jugendämter bei der Suche nach Pflegefamilien stehen. Ein Kind in Pflege zu nehmen, ist nicht dasselbe wie eine Adoption. Denn wenn die leiblichen Eltern wieder in der Lage sind, das Kind zu betreuen, kann es zu ihnen zurückgebracht werden. Man unterscheidet zwischen einerseits Bereitschafts- und Kurzpflegefamilien, die in akuten Notfällen oder befristet Kinder aufnehmen, und andererseits Vollzeitpflege, die auf Dauer angelegt ist. In Augsburg leben nach Angaben des städtischen Jugendamtes etwa 100 Kinder in Pflegefamilien, rund 80 hat das Amt in umliegende Landkreise vermittelt.

"Es werden in allen Bereichen dringend Pflegeeltern und -familien gebraucht", so Gerlinger. "Der Bedarf kann momentan nicht gedeckt werden." Vor allem sei es schwierig, Familien zu finden, die Kinder mit erhöhtem Betreuungsbedarf aufnehmen sowie Kinder ab vier Jahren. Auch müssten Geschwister oft getrennt werden, weil nur wenige Familien mehrere Kinder aufnähmen.

"Der Bedarf an Pflegefamilien ist sehr groß"

Aus anderen Gegenden Bayerns ist Ähnliches zu hören. "Der Bedarf an Pflegefamilien ist sehr groß", sagt Juliane von Roenne-Styra, Sprecherin der Stadt Regensburg. "Optimal wäre, wenn für jede Altersstufe mindestens zwei Pflegefamilien zur Verfügung stehen würden. Aktuell ist es meist nur eine Familie oder weniger pro Altersstufe."

Auch in Würzburg mangelt es nach Angaben von Stadtsprecher Christian Weiß an Pflegefamilien - vor allem für Kinder mit kognitiven Einschränkungen und Behinderungen, über Sechsjährige oder Kinder mit hochproblematischen Eltern. "Wir würden uns mehr Bereitschaftspflegefamilien wünschen, die wir bei akuten familiären Krisen und Herausnahmen aus den Herkunftsfamilien kurzfristig belegen können", so Weiß.

Eine wachsende Rolle spiele in Würzburg auch die Verwandtenpflege - Kinder, die nicht bei ihren Eltern bleiben können, kommen also bei anderen Verwandten unter.

Auch in München, wo Mitte 2020 rund 600 Kinder in Pflegefamilien lebten, spiele die Netzwerkerkundung eine immer größere Rolle, so Frank Boos, Sprecher des städtischen Sozialreferats: "Dies ist ein Ansatz zur Erschließung von Ressourcen für die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen, die in der eigenen Familie nicht mehr leben können." Nach Möglichkeit bringe man die Kinder dann innerhalb der Verwandtschaft unter.

Finanzielle Entschädigung zwischen 900 und 1100 Euro monatlich

Mit Flyern, Pressearbeit und Infoveranstaltungen versuchen die Jugendämter, neue Pflegefamilien anzuwerben. Melden sich interessierte Paare, wird nach einem standardisierten Verfahren geprüft, ob sie der Aufgabe gewachsen sind. Die Ämter bieten Pflegeeltern regelmäßige Schulungen und sozialpädagogische Betreuung. Die Stadt Würzburg bereitet angehende Pflegeeltern in einem Wochenendseminar auf ihre künftige Aufgabe vor. Die Stadt Regensburg bietet ihnen verschiedene Vergünstigungen und lädt sie jedes Jahr zu einem Sommerfest und im Winter zu einer Theaterveranstaltung.

Auch die finanzielle Entschädigung für Pflegeeltern durch die Jugendämter ist großzügig. Je nach Alter des Kindes erhalten sie etwa zwischen 900 und 1100 Euro monatlich. Für Kinder mit besonders hohem Betreuungsbedarf gibt es Zuschläge zwischen 350 und 1050 Euro.

− dpa