Angefangen hat alles über die falschen Freunde, sagt Tom, 17, aus Straubing. Letztlich rutschte er in die Drogenszene ab. Im April 2023 begann er im Haus Lackenhäuser der Jugendhilfeeinrichtung Freedom (Freyung-Grafenau) eine Therapie und startet nun in ein neues Leben. Ein Gespräch über den Weg aus der Sucht.
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Es war wie bei vielen Jugendlichen. „Ich habe in der Schule die falschen Freunde kennengelernt, ab und zu mal gekifft oder Alkohol getrunken“, erzählt der Straubinger. Damals war er elf Jahre alt. Er rutschte in die Drogenszene, konsumierte Ecstasy, LSD, Amphetamine. Im April 2023 begann er im Haus Lackenhäuser der Jugendhilfeeinrichtung Freedom eine Therapie und startet nun in ein neues Leben. Dabei geholfen hat ihm sein Betreuer Manuel Weishäupl. Ein Gespräch über den Weg aus der Sucht.
„Es gab bei mir keine großen Probleme in der Familie, als ich jünger war. Das kam erst später, mein Vater war zu Hause ein bisschen problematisch. Mit meiner Mom war es ein gutes Verhältnis“, sagt Tom auf die Frage, wie alles anfing. Es sei ihm im Freundeskreis darum gegangen, kein Außenseiter zu sein. „Man will dazugehören und sagt, ich mach’s mal. Bei mir hat's dann ein paar Monate gedauert vom ersten Konsum zum nächsten.“
Durch Schmerzmittel in chemische Drogen reingerutscht
Mit 13 oder 14 Jahren hatte er eine Knieverletzung, bekam starke Schmerzmittel, „dadurch bin ich in die chemischen Drogen reingerutscht. Als das abrupt abgesetzt wurde, habe ich es mir auf der Straße gekauft“, sagt Tom. Er wird kurz still, bevor er sagt: „Dann ist nach und nach alles dazugekommen, von den Opiaten zum Ecstasy, LSD, Amphetamine.“
Er war im High der Drogen und gleichzeitig am Tiefpunkt. „Eigentlich kann man sich das wie eine Treppe vorstellen. Man geht eine Stufe hoch, dann steht man da vielleicht kurz und überlegt wieder runter zu gehen. Manche schaffen den Absprung, bevor sie in die Sucht reinrutschen. Aber viele gehen leider die Treppe immer weiter hoch und irgendwann steht man am Ende der Treppe vor einer Tür. Und entweder man geht durch die Tür und weiß nicht, was einen erwartet, oder man muss die sehr lange Treppe wieder nach unten gehen.“
Die ersten drei Jahre habe seine Mutter, die im Pflegebereich arbeitet, seinen Drogenkonsum nicht mitbekommen, er habe das vor ihr verborgen. „Sie hat es erst mitbekommen, als ich unter Drogeneinfluss die Treppe heruntergefallen bin. Ich kam ins Krankenhaus und ein Drogentest hat das aufgedeckt.“
„Ohne Hilfe wäre es nicht mehr gegangen“
Er lag auf der Intensivstation. „Meine Mutter kam und hat einfach nur geweint. Sie hat sich auf mein Bett gesetzt, mich in den Arm genommen und dann kam sehr oft die Frage: Wieso, wieso, wieso. Was habe ich falsch gemacht?“ Antworten hatte ihr Sohn damals nicht: „Ich war so in dieser Spirale gefangen, war schon so weit oben auf der Treppe, dass es ohne Hilfe gar nicht mehr gegangen wäre“, sagt er rückblickend. Damals sei er 14 oder 15 Jahre alt gewesen.
Seine Mutter zog für ihren Sohn Anfang 2023 die Notbremse. „Sie hat mit dem Jugendamt telefoniert und dann war schon der Termin ausgemacht, um die Einrichtung hier anzusehen.“ Er musste warten, bis ein Platz frei war. „In der Zeit habe ich es dummerweise nochmal richtig krachenlassen und in der Nacht, bevor ich auf den klinischen Entzug gekommen bin, habe ich meine erste und letzte Überdosis gehabt. Im Krankenhaus habe ich meine Mom angebrüllt, dass ich den Entzug nicht mache.“ Sie habe veranlasst, dass das Gericht diesen verordnet, ebenso wie die Unterbringung in Lackenhäuser. „Damals habe ich sie nicht verstanden, ich habe sie dafür gehasst.“ Seine Stimme bricht.
Seit April 2023 in Lackenhäuser
Heute weiß er, wie viel er ihr zu verdanken hat. Im April 2023 kam er ins Haus Lackenhäuser. „Da habe ich einen holprigen Start hingelegt“, sagt Tom. Er wirkt ruhig und reflektiert, während er spricht. Seitdem habe er hart an sich gearbeitet.
Seit Januar dieses Jahres wohnt er in der Stadtwohngruppe der Einrichtung in Waldkirchen. Aber das musste er sich verdienen. „Das Prinzip der Einrichtung basiert auf Stufen. Man muss sich Rechte erarbeiten.“
Aber wie läuft das anfangs ab? Der Jugendliche sei in Isolation, sagt Manuel Weishäupl. „Er soll hier erst ankommen, das heißt: Keine Telefonate, keinen Kontakt zu Freunden, kein Handy, mindestens eine Woche lang.“
Nach ein, zwei Wochen beginne man mit der therapeutischen Arbeit. „Da ist es wichtig, dass der Jugendliche seine Stärken und Schwächen erkennt, sich selbst zu reflektieren lernt.“ Es gehe später auch darum, sich mit der Suchtgeschichte und Vergangenheit auseinandersetzen, sagt Tom.
Strenger Tagesplan im Haus für mehr Struktur
Die Regeln im Haus sind streng, der Tag eng getaktet: Von ca. 6.30 Uhr bis um 22 Uhr. Dabei gilt: „So wenig Freizeit wie möglich und so viel Aktivität beziehungsweise so viel Struktur wie möglich. Die Struktur gibt den Jugendlichen Sicherheit, die sie verloren hatten oder nie kannten“, sagt Weishäupl. Es wird geputzt, gearbeitet, genauso gibt es eine interne Beschulung, Sporteinheiten, Kunstangebote und Gruppensitzungen. Gleichzeitig gibt es mit jeder Stufe schwierigere Aufgaben, aber mehr Freiheiten: Öfter telefonieren, öfter nach draußen, mit zu Ausflügen am Wochenende. Durch rückfälliges Verhalten kann man auch wieder absteigen, so Weishäupl.
Zwischen 13 und 21 Jahre alt sind die Jugendlichen in der Einrichtung im Schnitt. 18 Plätze gibt es im Haus Lackenhäuser, das Haus Schachtlau hat 15 und 14 die Stadtwohngruppe.
Für Tom soll ab September der nächste Schritt mit einer Ausbildung zurück in Straubing beginnen. Kontakt zum alten Freundeskreis hat er nicht mehr. „Viele sitzen im Knast, andere sind weggezogen oder konsumieren nicht mehr und wieder andere sind am Konsum oder an anderen Dingen gestorben.“
Tom will neu anfangen
Wie wichtig der Start in sein neues Leben ist, ist Tom bewusst: „Ich habe hier viel gelernt. Es liegt an mir und ich weiß, dass das jetzt die letzte Chance ist, die ich von meiner Mutter bekomme. Irgendwann muss man wieder selbst klarkommen.“ Er will neu anfangen, ist über den inzwischen legalen Konsum von Cannabis für Erwachsene gespaltener Meinung. Konsumieren will er künftig gar nicht mehr, aus Angst rückfällig zu werden.
„Alkohol ist bisher eigentlich die Einstiegsdroge“, sagt Weishäupl. „Es kann sein, dass mit Cannabis die nächste Welle kommt und das die neue Einstiegsdroge wird.“ Generell lasse sich beobachten, „dass der Mischkonsum und dadurch die Mehrfachabhängigkeit extremer werden. Durch die leichte Verfügbarkeit von Drogen übers Internet gibt es sehr viele Jugendliche, die schon mit 14 eine ewig lange Liste an Substanzen durchprobiert und etliche Klinikaufenthalte hinter sich haben.“
Nur einer von zehn Jugendlichen schafft es
Seit viereinhalb Jahren arbeitet Weishäupl in der Einrichtung. „Tom ist der erste Jugendliche, der die Therapie komplett durchläuft. Die Statistik sagt, dass einer von zehn es schafft, dass er nach der Therapie auch ein abstinentes Leben lebt. Das ist sehr wenig, wobei es auch nicht heißt, dass neun von zehn wieder komplett rückfällig werden.“ Aber Tom könne dieser eine sein. „Es war ein langer Weg mit vielen Rückschlägen, aber ich bin stolz auf ihn und auch stolz auf mich, weil es auch meine Arbeit mit ihm war, dass er das geschafft hat.“
Bei den Jugendhilfeeinrichtungen Freedom handelt es sich um gemeinnützige Einrichtungen, welche es sich zur Aufgabe gemacht haben verhaltensauffälligen und suchtgefährdeten Jugendlichen neue Perspektiven zu ermöglichen und sie zurück in die Gesellschaft zu führen. Mit einer Spende kann man die Einrichtungen vor Ort unterstützen und helfen, es den Jugendlichen ein Stück weit einfacher zu machen, ihren neuen Weg zu finden. Das Spendenkonto lautet: Bank für Sozialwirtschaft, DE55 3702 0500 0007 8316 01 – BFSWDE33XXX, Verwendungszweck: Spende Jugendhilfeeinrichtungen Freedom.
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