Landau
Vor Gericht: Randale im Landratsamt – Die Stimmen im Kopf waren Schuld

06.07.2022 | Stand 20.09.2023, 22:32 Uhr

Dass die paranoide Schizophrenie Auslöser für das aggressive Verhalten des Angeklagten ist, sei laut Gutachten nicht auszuschließen. Deshalb geht der Fall nun ans Landgericht. −Foto: Birgmann

Ein Westafrikaner tritt die verschlossene Tür zum Büro der Sozialhilfe am Landratsamt ein, nachdem sich zwei Beamte aus Furcht vor ihm dort verbarrikadiert haben. Drin beschimpft er die Sachbearbeiter, spuckt auf den Boden – das zumindest wirft Staatsanwältin Eva-Maria Jakob dem 33-Jährigen vor. Der Angeklagte gesteht die Tat vom August 2021.

"Warum er das gemacht hat, wissen wir bis heute nicht genau", sagte einer der Beamten vor Gericht aus. Bereits zwei Tage zuvor haben sie ihm sein Taschengeld ausgezahlt. Für weitere Leistungen hätte er einen Antrag auf Duldung stellen müssen, allerdings nicht bei ihnen, sondern im Ausländeramt. "Ich höre Stimmen", ließ der Angeklagte durch seinen Dolmetscher erklären. Und die würden ihn aggressiv machen, zu solchen Taten verleiten.

Gutachter stellt Diagnose: paranoide Schizophrenie

Paranoide Schizophrenie lautete deswegen die Diagnose eines psychologischen Gutachtens. Und dieses berücksichtige auch die Anamnese, die man einmal im Bezirksklinikum Mainkofen mit dem Malier durchgeführt hat. Demnach habe der Angeklagte Konzentrationsstörungen, sei leicht aufbrausend und zeige immer wieder aggressives Verhalten.

Davon können die Justizvollzugsbeamten der JVA Landshut auch ein Lied singen. Der Untersuchungshäftling sei dort immer wieder negativ aufgefallen, habe die Anweisungen der Beamten, aber auch teilweise die Besuche seines Verteidigers ignoriert. "Deswegen war er auch schon im Sicherheitsgang", erklärte einer der Beamten Richter Michael Piringer.

Dort seien die Insassen im Gegensatz zum herkömmlichen Arrest 23 Stunden täglich eingesperrt, dürften lediglich für eine Stunde Hofgang aus der Zelle. Weil sie ihm dort das Wasser abstellen mussten – er habe den Hahn wohl immer absichtlich laufen lassen – hat er angefangen zu randalieren.

Als dann der Beamte die Beobachtungsklappe der Zellentür öffnen wollte, um nach dem Rechten zu sehen, kam ihm bereits die Faust des Angeklagten entgegen. Zum Glück verfehlte er sein Ziel. "Dann hat er die Toilettentüre aus den Scharnieren gerissen und damit die Zellentür verkeilt", berichtete ein anderer Justizvollzugsbeamter. Als es die Wärter endlich geschafft haben, in die Zelle zu gelangen, saß der Angeklagte "völlig ausgepowert" auf dem Stuhl, wie der Beamte beschrieb. Die Energie habe gerade noch zum Schimpfen gereicht, sonst konnten sie ihn ohne Gegenwehr in einen besonders gesicherten Haftraum bringen.

Und auch der Auszug aus dem Vorstrafenregister deutet auf ein aggressives Verhalten hin. Zu zwei Jahren Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurden, ist der junge Mann bereits wegen gefährlicher Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt worden.

Dass der Malier im Landratsamt randaliert hatte, das sah Richter Michael Piringer als realistisch an – zumal die Zeugen glaubwürdig waren und der Angeklagte die Tat auch vollumfänglich zugegeben hatte. "Aber ist er wirklich schuldfähig? Das ist die Frage", betonte der Richter und runzelte die Stirn. Habe der Gutachter doch vor Gericht ausgesagt, dass sich der Angeklagte zum Tatzeitpunkt wahrscheinlich in einem akuten psychischen Schub befunden habe und es nicht auszuschließen sei, dass seine Krankheit Auslöser für sein aggressives Verhalten sei.

Ihm würden deshalb nur zwei Möglichkeiten bleiben, wie der Richter erklärt: Den Angeklagten entweder freizusprechen. Denn: "Zu bestrafen ist jemand nur, der auch schuldig ist", betonte er. Oder den Fall an das Landgericht weiterzugeben. Dort könne man den Beschuldigten zu einer Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik verurteilen. "Das Amtsgericht Landau darf solche Unterbringungen nicht vornehmen, das obliegt dem Landgericht", erklärte er. Michael Piringer zog sich zur Beratung mit den Schöffenrichtern zurück.

Beschuldigter nimmt Medikamente nicht

In der Zwischenzeit hat Piringer mit dem Betreuer des Beschuldigten telefoniert. "Der hat gesagt, dass der Angeklagte bereits seit einer Woche seine Medikamente nicht mehr nehmen will", sagte er. Da war selbst Rechtsanwalt Matthias Seidl überrascht. Habe sein Mandant ihm gegenüber doch betont, dass er unbedingt in Behandlung bleiben möchte.

Nach den neuen Erkenntnissen beantragte Staatsanwältin Eva-Maria Jakob die Verweisung an das Landgericht. Denn: "Eine Unterbringung steht jetzt definitiv im Raum, nachdem man nun weiß, dass die Bereitschaft zur weiteren Behandlung ungewiss ist."

Das sah auch Richter Michael Piringer so und stimmte dem Antrag zu. Ohne Einnahme der notwenigen Medikamente sei es nicht auszuschließen, dass der Angeklagte schnell wieder zu einer Gefährdung der Allgemeinheit werde. "Ich gebe Ihnen einen guten Rat", sagte er zu dem jungen Mann, "nehmen Sie ihre Tabletten, dann hätten sie keine schlechte Prognose."