Countertenor im PNP-Interview
"Sonst war alles für die Katz!" – Valer Sabadus fordert Öffnungen

24.02.2021 | Stand 21.09.2023, 3:10 Uhr

Valer Sabadus hat in der fast schon einjährigen Zwangspause Vogelstimmen für sich entdeckt. Georg Philipp Telemann, dem er seine neue CD widmet, hatte einst für seinen Kanarienvogel, den die Nachbarskatze verspeist hatte, eine Trauermusik geschrieben. −Foto: Christine Schneider/Sony

Der Mann mit der Engelsstimme kam 1986 in Arad in Rumänien zur Welt, 1991 ging Valer Sabadus mit seiner Mutter nach Niederbayern, mit 17 hörte er im Fernsehen Andreas Scholl singen und versuchte, diese extrem hohe männliche Stimmlage zu imitieren. Mit der Mutter probierte er am Klavier herum, dann sagte sie: "Du bist ein Countertenor." Heute ist Sabadus längst ein internationaler Star. Jetzt hat er ein Ohrenschmaus-Album mit Bach und Telemann herausgebracht.

Herr Sabadus, am 17. April ist ein Konzert in Ihrer Heimatstadt Landau an der Isar angesetzt, am Tag davor in Thomas Bauers Konzerthaus Blaibach im Landkreis Cham. Wie groß ist die Zuversicht, dass das zustandekommt?
Valer Sabadus: Das ist ein bisschen wie meine gegenwärtige Stimmung mit Corona: eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Manchmal obsiegt die Hoffnung und manchmal die Resignation. Das Konzert in Landau wurde eh schon einmal verschoben von November auf April, und es wäre nicht tragisch, wenn wir es noch einmal verschieben, aber wichtig ist, dass wir eine Art Normalität zurückgewinnen können mit so vielen Gästen wie möglich. Es wäre nicht die richtige Lösung, auf Teufel komm raus ein Konzert zu geben – vor nur einer Handvoll erlesenen Gästen.



Wie haben Sie das letzte Jahr erlebt?
Sabadus: Ich hätte sehr viele Konzerte gehabt, die dann allesamt abgesagt wurden, wie bei allen. Die ersten Wochen empfindet man das noch als Schonpause, die der Stimme ganz gut tut. Aber danach muss man aufpassen, dass man sein wichtigstes Instrument – wie ein Hochleistungssportler – bei Laune hält. Gesang ist auch etwas sehr Physisches, da ist ein Kaltstart nicht wünschenswert. Darum muss man jeden Tag Gesangsübungen machen. Es ist so eine Art Bereitschaftsdienst, man wartet jeden Tag, ob vielleicht doch irgendwo ein Streaming-Konzert stattfindet.

Wie füllen Sie die viele Zeit?
Sabadus: Ich lebe seit zwei Jahren in Köln, man kocht mehr, man liest mehr, und ich muss gestehen, dass ich zu einer Art Hobby-Ornithologen geworden bin. Ich meine, inzwischen verschiedene Vogelgesangsarten voneinander unterscheiden zu können. Ob das die Singdrossel ist oder der Zaunkönig, die Blaumeise oder die Kohlmeise usw. Es gibt da Apps zum Beispiel vom Naturschutzbund Deutschland, mit denen man sich die Melodien immer wieder anhören kann. Als Sänger bin ich eh immer beschäftigt, Opernpartien einzustudieren, und ob da jetzt mein Sängerkollege singt oder das Vögelchen zwitschert, da ist kein großer Unterschied (lacht). Der Lockdown hat ja im März begonnen, das ist genau die Zeit, wo der Waldgesang anfängt. Wenn ich heute im Park spazieren oder joggen gehe, nehme ich nie Kopfhörer mit und versuche, alles auf mich wirken zu lassen. Ich fühle mich da immer ein bisschen wie der heilige Franz von Assisi.



Wie sehen Sie die unnachgiebige Schließung von Theatern und Konzerthäusern?
Sabadus: Ich habe nach wie vor vollstes Verständnis für die Opfer, die uns abverlangt werden, damit die Pandemie nicht noch mehr menschliche Opfer fordert. Andererseits ist unsere Branche, in der in Europa über sieben Millionen Soloselbstständige (nicht nur als Künstler) arbeiten, schon eine sehr wichtige. Ich versuche, mir nichts vorzumachen: Auch ein lockererer Lockdown wird uns noch mehrere Monate beschäftigen. Und selbst wenn die Impfung für uns alle verfügbar sein sollte, wissen wir nicht, wie lange sie hält. Mit einer Normalität, wie wir sie vor Corona kannten, rechne ich nicht vor 2022, wenn nicht sogar 2023. Dennoch muss es schon jetzt unbedingt Lösungen für die Ausübung von Kultur geben, das darf nicht länger als Freizeitbeschäftigung abgetan werden.

Woran mangelt es da?
Sabadus: Durch den Föderalismus haben wir grade 16 verschiedene Könige oder Königinnen, und jeder versucht, sein Krönchen glänzen zu lassen, aber in der Panik, Fehler zu machen, wird die Kulturbranche vernachlässigt. Es gab all diese Studien, dass sich nachweislich keine Menschen angesteckt haben in Konzerthäusern und Theatern. In Spanien finden auch jetzt Veranstaltungen statt, auch da sind keine Infektionsherde bekannt wie bei uns in vielen Altersheimen. Ich weiß nicht, wie lange die Politik noch mit dem Zeigefinger auf unsere Branche deuten und sagen kann, das ist aber sehr gefährlich! Dann waren ja alle Hygienekonzepte und alles für die Katz’. Es muss bald Anreize für die Kultur geben, sonst befinden uns in Absurdistan.

Sie haben mal erzählt: Vor Entdeckung, dass Sie ein Countertenor sind, dachten Sie, Sie seien ein schlechter Tenor oder ein schlechter Bariton. Waren die Zweifel wirklich so massiv?
Sabadus: Während des Stimmbruchs muss man abwarten, wohin sich die Stimme entwickelt. Ich war zuerst Knabensopran, ich konnte wirklich sehr, sehr hoch singen, auch die Königin der Nacht bis zum dreigestrichenen f. Bis zur achten Klasse war ich im Unterstufenchor und ab der neunten im Oberstufenchor. Dort habe ich versucht, im Tenor zu brüllen – aber das ging nicht wirklich gut. Ich hatte in der Tiefe keine Tiefe und in der Höhe keine Höhe. Darum habe ich die hohen Stellen einfach falsettiert und bin in die Kopfstimme übergegangen. Der Stimmbruch ging bei mir relativ fließend ohne diese Registerbrüche. Und dann kam es zu dieser Initialzündung, als ich mit meiner Mutter Andreas Scholl im Fernsehen hörte. Ich kann nach wie vor sagen, dass meine Modalstimme, die Bruststimme, nicht besonders ausgeprägt ist. Ganz anders als mein Falsett, das eine Art Rohdiamant war, der dann geschliffen werden musste.



Wie wurden Sie Jungstudent an der Münchner Musikhochschule?
Sabadus: Da war ich in der elften Klasse, und es gab einen Tag der offen Tür, zu dem bin ich mit meinem besten Kumpel Anton, der schon Geige als Jungstudent in Regensburg studierte, mit dem Zug von Landau nach München gefahren. Ich war sofort Feuer und Flamme von dieser Qualität und diesem Esprit. Als die Stunde vorbei war, habe ich Professor Daphne Evangelatos gefragt: Wie schaut das aus, ich würde es gerne mal versuchen! Und sie hat mich meiner zukünftigen Professorin Gabriele Fuchs weiterempfohlen. Ich habe die Prüfung bestanden und war ab er elften Klasse Jungstudent, das heißt, ich durfte einmal die Woche nach München fahren und Unterricht nehmen als Countertenor. Die Alte Musik war an der Münchner Hochschule keine Selbstverständlichkeit, aber es war eine sehr prägende, schöne Zeit für mich.

Für Ihr neues Album haben Sie fast schon die "Greatest Hits" von Bach eingesungen – und stellen zudem drei Musiktheaterwerke von Telemann vor. Warum muss Telemann wieder mehr auf die Bühne?
Sabadus: Bach ist sowieso das Nonplusultra der Musik, und auch wenn Telemann heutzutage eher unbekannter wirkt, sind sein Oeuvre und Fleiß beachtlich, er galt zu Lebzeiten als wesentlich bekannter als Bach und wurde als das "göttliche Genie" bezeichnet. Er war unglaublich produktiv und kreativ und ist meiner Meinung nach zu unrecht in Vergessenheit geraten. Er hat aus allem Unmöglichen Mögliches gemacht: Er hat zum Beispiel Ebbe und Flut vertont, er hat seinem verstorbenen Kanarienvogel, der von der Nachbarskatze verspeist wurde, eine Trauermusik gewidmet, unglaublich, oder? Er konnte alle möglichen Instrumente spielen, er war Musikdirektor, Opernchef, Verleger, Konzertveranstalter, Dichter, Lehrer und auch noch Botaniker. Er hat also nicht nur komponiert, sondern auch kompostiert (lacht). Ich fand es sehr schön, die eher elegischen Werke Bachs mit einigen Werken Telemanns voller Esprit zu verbinden. Diese Reibung verträgt sich sehr schön.



Wir werden das Programm mal den Festspielen Europäische Wochen Passau empfehlen.
Sabadus: Dankeschön! Darüber war ich ohnehin im Gespräch mit Andrea Ritter vom Ensemble Spark, mit dem ich die CD "Closer to Paradise" aufgenommen habe (das Programm für Blaibach und Landau). Andrea ist gebürtige Passauerin, auch dort wollten wir dieses Programm aufführen. Wenn ich mich nicht täusche, war ich noch nie mit einem Konzert in Passau – bisher nur als Schüler bei den Besinnungstagen auf dem Klosterberg.

Raimund Meisenberger



•Konzerte mit dem Ensemble Spark sind angesetzt am 16. April im Konzerthaus Blaibach, am 17. April in der Stadthalle Landau an der Isar; beide unter Vorbehalt

•"Bach & Telemann: Arias" ist erschienen bei Sony, digital ab ca. 11 Euro, auf CD ca. 17 Euro