Nibelungenfestspiele Plattling
"Kriemhilds Vergeltung": Das letzte Abendmahl vor dem Gemetzel

20.07.2022 | Stand 21.09.2023, 5:20 Uhr

Bevor sie sich gegenseitig niedermetzeln, teilen Hunnen und Nibelungen im Historienstück "Kriemhilds Vergeltung" das Brot. Die Ähnlichkeit zum letzten Abendmahl ist nicht zu übersehen: alle an einer Tafel, das Publikum hat die uneingeschränkte Sicht auf Tisch und Protagonisten. −Foto: Häusler

Ob der italienische Universalgelehrte Leonardo da Vinci das Nibelungenlied, das bedeutendste mittelhochdeutsche Heldenepos, kannte? Das Regie-Duo Eva Sixt und Joseph Berlinger hat sich für das Historienstück "Kriemhilds Vergeltung", das derzeit in Plattling (Lkr. Deggendorf) unter freiem Himmel aufgeführt wird, jedenfalls seines berühmtesten Werkes bedient. Fünf Baumstümpfe und eine Holzplatte bilden mehrmals eine Tafel. Die Ähnlichkeit zum letzten Abendmahl ist nicht zu übersehen.
Die Pledelinger – so nannten sich die Plattlinger einst – bereiten im ersten Teil auf jenem Tisch das große Festessen für Nibelungenkönigin Kriemhild vor. Sie hat sich angekündigt, will an der Isar Rast machen und ihren Onkel Bischof Pilgrim treffen. Die Pledelinger putzen ihr oftmals überflutetes Dorf raus, verkleiden Baumstämme mit glitzender Folie und tragen Gummistiefel – ein selbstironisches Mode-Statement. Dass das einfache Volk am niederbairischen Dialekt festhält, lässt es sympathisch wirken.
Während der wandernde Geistliche stoisch am Ende der Tafel sitzt und seiner Nichte aufzeigen will, dass Rache nur noch mehr Leid verursache, lässt sich die betrogene Königin nicht von ihrem intriganten und mörderischen Plan, der im totalen Chaos enden wird, abbringen.
Das ausführlich und intensiv geführte Streitgespräch verdeutlicht, weshalb die niederbayerische Kleinstadt alle vier Jahre eine Nibelungenfestwoche zelebriert. Ausgangspunkt ist diese im Nibelungenlied beschriebene Zusammenkunft an der Passauer Bistumsgrenze. Diesen Zufall haben die Plattlinger 1988 aufgegriffen, um die 100. Jährung der Stadterhebung mit einem Laienschauspiel zu feiern. Der Festspielverein und die Stadt haben es verstanden, das Heldenepos als Identifikationsmerkmal zu nutzen und es mit professioneller Hilfe stetig weiterzuentwickeln. Davon sowie auch von der schauspielerischen Leistung zeigt sich etwa Andrea Siber, Inhaberin der Professur für Ältere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Passau, beeindruckt.
Die komödiantischen Elemente, die das Publikum auflachen lassen, verschwinden, sobald sich die Handlungsstränge nicht mehr im beschaulichen Pledelingen ereignen. Wandelnde Lichtverhältnisse, live gespielte E-Gitarrenmusik und der erzählende Burgunden-Koch Rumolt ordnen die Szenen und Rückblicke für den Besucher ein. Zudem bietet die Bühne zur klaren Abgrenzung mehrere Ebenen. Im zweiten Teil sorgt ein mit Blut verschmierter Vorhang für noch mehr Tiefe: Dahinter kreuzen Ritter und Hunnen die Klingen, davor streiten die Hauptdarsteller.
Nun wird die Tafel nicht nur zum gemeinsamen Mahl als Zeichen der Gastfreundschaft genutzt. Siegfried schändet auf dem Tisch Königin Brunhild, bevor Nibelungenkönig Gunther an der Reihe ist. Später teilen an jener Tafel die Hunnen ihr Brot mit den Nibelungen – bevor sie sich gegenseitig niedermetzeln.

Christoph Häusler

Am 21., 22. und 23. Juli um 21 Uhr auf dem Magdalenenplatz in Plattling. Karten auf www.plattling.de und an der Abendkasse. Des Weiteren wird am Donnerstag, 21. Juli, um 18 Uhr der Nibelungenmarkt am Stadtplatz eröffnet.