Das Kurz Film Fest Deggendorf mit der Berlinale oder mit Cannes zu vergleichen, wäre maßlos übertrieben, aber trotzdem war am Samstag in Deggendorf zu spüren, was so ein Filmfestival ausmacht.
Filmschaffende werden ins Rampenlicht geholt, sie werden bewundert und gefeiert, es wird diskutiert, Begeisterung und Feierlichkeit schweben durch den Raum. Und alle wollen dabei sein. Die Stadthalle Deggendorf I war fast voll besetzt, als auf der großen Leinwand eine Auswahl an Kurzfilmen gezeigt wurde.
Zum fünften Mal fand das Kurz Film Fest statt, von Anfang an zog es ein großes Publikum an. „Das habe ich mir damals nicht erträumt“, sagte Jonas Brand in seiner Begrüßung. Als ehemaliger Kulturförderpreisträger der Stadt Deggendorf und Filmschaffender kuratiert er das Filmfest. Bei der Organisation arbeiten die Stadthallen Deggendorf und das Kulturamt der Stadt Deggendorf mit, Oberbürgermeister Christian Moser nahm bei der Veranstaltung selbst in der ersten Reihe Platz. Jonas Brand arbeitet eng mit Prof. Jens Schanze von der TH Deggendorf zusammen, zudem unterstützen Sponsoren das Film Fest.
Regionalbezug bei den Filmen
Damit die Auswahl nicht beliebig ist, verankert der Regionalbezug bei den Filmen das Kurz Film Fest in Ostbayern. Das habe aber nichts mit Heimattümelei oder Regionalstolz zu tun, betonte Brand. Im Gegenteil, das Kurz Film Fest Deggendorf ist divers aufgestellt. Wichtig ist Brand, Begegnungs- und Diskussionsräume zu schaffen. Es gehe darum, Geschichten zu erzählen, anderen zuzuhören, erfahrbar zu machen, was weit weg ist. Diesem Anspruch wurde Jonas Brand mit seiner Filmauswahl gerecht.
Die Auseinandersetzung mit eigenen Zweifeln und Ängsten machten mehrere Filmschaffende zum Thema. Sie vollbrachten das Kunstwerk, das Innere ihrer Protagonisten im Außen vor der Kamera zu zeigen. Im Film „Schattenspiel“ (4:20 Min., 2023) gelingt das sogar mit einer animierten Figur. Ein kleines Mädchen wird von einem Schattenmonster verfolgt. Durch seine eigene Imaginationskraft schafft es das Mädchen, die Dämonen und damit die eigenen Ängste zu verjagen. Neben den drei Regisseurinnen Mayra Ebensen, Silvia Loose und Paula Wodniok war Lissy Giglberger als Produzentin am Film beteiligt, die aus Deggendorf stammt. Sie erklärte auf der Bühne, wie sie der Figur Emotionen eingehaucht haben: Diese wurden vorab durch eine Schauspielerin eingefangen.
Gefühle akzeptieren und sie auch wieder ziehen lassen
Im Dokumentar-Kurzfilm „Clouds“ (9 Min., 2023) wird eine Person begleitet, die einen Weg gefunden hat, mit den eigenen Emotionen umzugehen. Protagonist Tian möchte nicht immer im Strom schwimmen, er geht in die Auseinandersetzung mit der Welt und mit sich selbst. Er hat Wege gesucht, mit seinen Gefühlen umzugehen und sie zu kanalisieren, in der Musik oder im Buddhismus. Im Aikido-Training gibt er auch Kindern diese Lehre weiter: Alle Gefühle sind vergänglich, man kann sie akzeptieren und auch wieder ziehen lassen. Der Film ist in nur 24 Stunden Drehzeit und mit wenig Personal entstanden: Regisseur Thorsten Harms und Jonas Brand als Tonmann begleiteten Tian durch München.
In „Accept“ (18 Min., 2020) steckt das Akzeptieren schon im Titel, hier ist die Thematik als Mystery-Drama umgesetzt. Eine junge Frau lebt mit ihrer kranken Mutter und ihrem Bruder in einer kleinen Hütte, und sie ist anders. Immer wieder sieht sie unheimliche Gestalten auf die Hütte zugehen, die ihr Angst machen. Sie schafft es am Ende, diese Dämonen selbst zu kontrollieren, indem sie sich ihnen stellt und ihren eigenen Interessen nachgeht. Neblige Wälder und hohe Felsenwände schaffen im Film eine bedrohliche Kulisse. Regisseur Manuel Klavers aus Passau setzt hier ganz auf die Kraft von Bildern und schafft damit eine gruselige Atmosphäre, die Hintergründe der Handlung bleiben allerdings vage. In Deggendorf mit dabei war auch Romana Bauer, die die Regieassistenz und die Maske übernommen hatte.
Gewünschte Wirkung technisch perfekt umgesetzt
Auch auf komödiantische Weise kann man sich mit Ängsten auseinandersetzen. In „The Harsh Sound of Nein“ schafft es Paul einfach nicht, Nein zu sagen, was dazu führt, dass er ein Abo für ein Fitnessstudio abschließt. Regisseur Stefan Weinzierl aus Straubing wählte für die Umsetzung Schwarz-Weiß-Aufnahmen und setzt die gewünschte Wirkung technisch perfekt um: Pauls Nervosität zeigt sich durch die unruhige Kameraführung, die Schnitte sorgen für manchen Witz, das 4:3-Format lässt den Zuseher bei Großaufnahmen von Pauls Gesicht ganz nah an ihn herankommen.
In eine unangenehme Situation steckt Regisseur Bernhard Wohlfahrter seine Figur im Film „Neu geboren“ (9 Min., 2021): Seine Mutter wünscht sich, dass Julian sie in die Sauna begleitet. Hier trifft er auf ganz unterschiedliche Typen – die sich alle mit seiner Mutter bestens zu verstehen scheinen. Schauspieler Johannes Berzl aus Rimbach im Bayerischen Wald kann die widerstrebenden Gefühle von Julian perfekt in Szene setzen. Berzl hat sich bereits einen Namen in der Film-Szene gemacht, er hat schon in einigen TV- und Kinoproduktionen wie „Guglhupfgeschwader“ mitgespielt, am 6. Dezember ist er in dem ARD-Fernsehfilm „Alle Jahre wieder“ zu sehen.
Der unterschiedliche Umgang mit der Flucht aus der Ukraine
Nicht nur mit den inneren Ängsten, sondern noch mit ganz anderen Dämonen in der Realität haben Menschen zu tun, die mit Krieg oder Armut konfrontiert werden. „I see them bloom“ (27 Min., 2023) ist ein Drama über zwei Schwestern aus der Ukraine, die nach München flüchten. Sie werden in einer Studenten-WG herzlich aufgenommen. Während die eine versucht, Anschluss zu finden, widert die andere die Sorglosigkeit der Gastgeber an. „Es gibt keine gemeinsame Flüchtlingsgeschichte“, berichtet Regisseur Mykyta Gibalenko, der selbst aus der Ukraine stammt, schon länger in Deutschland lebt und beobachtet hat, wie unterschiedlich seine beiden Schwestern mit der Flucht umgegangen sind. Es sei ein ständiges Taktieren, wie viel man gehen lassen und wie viel man geben müsse, um anzukommen. Am Drehbuch des Films hat die aus Hengersberg stammende Sharyhan Osman mitgewirkt.
Der fiktionalen Umsetzung des Themas Flucht fehlt die Unmittelbarkeit, die ein Dokumentarfilm darstellen kann. Das gelingt in „Harragas“ (13 Min., 2020). Regisseur Benjamin Rost hat eine Gruppe Jungen begleitet, die alles aufgegeben haben und ihr Leben auf eine Karte setzen. Das Unvorstellbare hält der Film fest: Monate und Jahre leben die Jungen unter prekärsten Bedingungen in einer Felswand im nordafrikanischen Melilla am Meer und versuchen nachts, illegal auf ein Schiff zu gelangen, das nach Europa fährt. Immer wieder werden sie von der Polizei geschnappt, immer wieder führt der Weg zurück in das Lager am Meer. Im Januar soll die Langfilm-Version von Harragas in Deggendorf gezeigt werden.
„Angelique“ war der Liebling des Abends
Der Liebling des Abends war der Dokumentarfilm „Angelique“ (27 Min., 2022) von Regisseurin Elisabeth Kratzer aus Moosburg und Kameramann Pius Neumaier aus Mallersdorf-Pfaffenberg. Sie haben eine ganz ungewöhnliche und sehr präsente Protagonistin gefunden, der sie mit ruhigen Aufnahmen von Haus und Garten viel Raum geben. Die Interviewsituationen bekommen durch Spiegel immer neue Rahmen und Perspektiven. Angelique, mittlerweile 74 Jahre alt, lebte ihr Leben als Transfrau in der bayerischen Kleinstadt. Ein Artikel in einer Zeitschrift und ein Arzt gaben ihr schon als Jugendliche die Bestätigung: Sie ist eine Frau. 1969 flog sie ins Ausland, um sich einer riskanten Operation zu unterziehen. Angelique versteckte sich allem Stammtischgeschwätz im Ort zum Trotz nie, sie führte ihren eigenen Friseursalon und heiratete. Der Film ist das Portrait einer sehr starken, mutigen und beeindruckenden Frau.
Jonas Brand ist mit den verschiedenen Filmen wieder ein vielseitiger Abend mit wertvollen Inhalten und interessanten Gesprächen gelungen – ein Gewinn für jeden, der dabei war.
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