Ausstellung zum 80. Geburtstag in Passau
Tonkünstler Gerhard Lutz aus Niederalteich im Porträt

05.05.2022 | Stand 20.09.2023, 7:04 Uhr

Einzigartige Objekte aus Ton schafft Gerhard Lutz: "Stammbaumobjekt", Porzellan, Punkte in Gold und Silber markieren die Endpunkte der platonischen Körper. Durchmesser ca. 18 cm. −Foto: Matthias Balk

"Man kann den Ton zum Schweben bringen – man muss nur dran glauben". Dieser scherzhafte Satz eines Kommilitonen, während sich die Studenten der Bildhauerklasse mit Tonbrocken bewarfen, setzte sich tief im Unterbewusstsein von Gerhard Lutz fest. Erst viele Jahre später – er war bereits 35, seine Ausbildung zum Bildhauer in der Meisterklasse von Heinrich Kirchner lag lange hinter ihm und er war glücklich als Kunsterzieher am Musischen Gymnasium in Niederalteich – begann er wieder, mit Ton zu arbeiten. Und prompt kommt die Idee des Schwebens zurück. Er beginnt "mehrsphärig" zu arbeiten: Die dünnwandigen – meist kugelförmigen – Objekte werden mehr und mehr durchbrochen und geben den Blick auf eine schwebend wirkende Innensphäre frei.

Einzigartig in der Welt der Keramik

Lutz geht an die Grenzen des Materials. Die filigranen Objekte erinnern an Meeresorganismen wie Radiolarien, Korallen oder Seesterne. Bei näherem Betrachten entfalten sie aber eine ganz eigene, künstlerische Formensprache. Häufig durchdringen Streben ein oder zwei innenliegende Kugeln, ohne sie zu berühren. In neueren Arbeiten umschließt eine streng in Drei- und Fünfecke gegliederte Außenhülle ein konisches Rohr, von dem aus sich gebogene Streben an die Außenhülle heften. "Stammbaumobjekte" nennt sie Gerhard Lutz. Zugrunde liegen oft platonische und archimedische Formen, die die komplizierte durchdringende Gestaltung ermöglichen.

Gerhard Lutz arbeitet nicht an der Töpferscheibe. Die Kunstwerke werden aus hauchdünn ausgewalzten Blättern frei aufgebaut und dann mit speziellem Werkzeug – häufig sind es zahnärztliche Instrumente – vorsichtig gestaltet. Ton auf diese Art und Weise zu bearbeiten, war und ist singulär in der Welt der Objektkeramik.

Immer wieder wurde Gerhard Lutz bei wichtigen internationalen Keramikwettbewerben ausgezeichnet. Die perfekte handwerkliche Gestaltung, die von grenzenloser Geduld aber auch von der Lust am Experiment und einem tiefen Wissen über das Material zeugt, ist nur ein Aspekt, der die Arbeiten einzigartig macht. Ein anderer ist die besondere Formensprache: "Die Form muss erst im Kopf entstehen. Es ist die Vorstellungskraft des Bildhauers für Dreidimensionalität, die es hier braucht", sagt Lutz.

"Kern und Hülle" – dieses Spannungsfeld hat ihn immer umgetrieben. Besonders augenfällig wird das bei Objekten, die aus einer dunklen Steinzeughülle bestehen, in der sich ein stark skelettierter, heller Porzellankern befindet. Hier werden zwei Materialien mit unterschiedlichen Schwindungsgraden im Brand durch Schmelzen miteinander verbunden – ein extrem schwieriges Verfahren. Bei manchen der Objekte wirkt das filigrane Porzellan in der massiven Hülle geschützt – bei anderen sprengt oder durchdringt es die Hülle mit spitzen Stacheln. Was ist hier das Schwache? Was das Starke? An Boviste, aufbrechende Wurzelknollen oder Vulkane erinnern Objekte, bei denen sich eine mehr oder weniger kugelige Form öffnet oder aufzuplatzen scheint. Das Innere gibt zarte Lamellen aus papierdünnem Steinzeug frei.

Sitzt man im Atelier des Künstlers in seinem wunderschön renovierten alten Bauernhaus in Niederalteich – umgeben von den schwebenden, sich durchdringenden oder erdenschweren Objekten in den Regalen – spürt man das Verlangen, sie alle zu berühren. Sind sie so leicht, wie sie aussehen? Biegen sich die Lamellen beim Darüberstreichen, wie bricht sich die Kugel im Licht? Wie rau ist die Oberfläche der geschmauchten Objekte, die an rostiges Metall erinnern?

Gerhard Lutz feiert Ende Dezember dieses Jahres seinen 80. Geburtstag. Konzentriert erklärt er die mathematischen Geheimnisse seiner Objekte, spricht über seine Zeit als Kunsterzieher und über seine Liebe zur Musik. Wenn er sich "Tonkünstler" nennt, schließt das seine Leidenschaft für das Gamben-Consort-Spiel mit ein – das Zusammenspiel mehrerer Gamben unterschiedlicher Größe.

Das Leben ist so vielschichtig wie das Werk

Hält er eines seiner Keramikobjekte vorsichtig in seinen Händen, spürt man die Liebe zu seinen Schöpfungen. Auf manche setzt er nach dem Brand kleine Akzente in Gold oder Silber. In anderen spiegeln Kristalle die Welt, verzerrt wie durch das Fischaugenobjektiv einer Kamera.

Einige Porzellanobjekte sind in Stelen integriert; das durchscheinende Licht lässt an das Maßwerk hochgotischer Kirchen denken, an die Auflösung von Materie. Eine sakral-mystische Sphäre tritt zum visuell-haptischen Eindruck hinzu. Spätestens hier wird deutlich: Gerhard Lutz ist auch ein Lichtkünstler. Davon erzählen auch seine Schwarz-Weiß-Fotografien, die mit scharfen Kontrasten einen neuen Blick auf architektonische oder technische Details eröffnen.

Fotograf, Bildhauer, Tonkünstler im doppelten Sinne, Kunsterzieher im besten Sinne, Sohn eines Uhrmachers aus dem Münchner Westend, dem sogenannten "Glasscherbenviertel", Reisender, Erklärender … Gerhard Lutz’ Leben scheint rund und vielschichtig wie viele seiner Werke, der Betrachter kann lange hineinsehen und immer wieder Neues entdecken. Vieles durchdringt und ergänzt sich – ohne sich direkt zu berühren, aber immer nach einem höheren Gesetz.

Regina Kremsreiter



Ausstellung in Passau

Von 6. Mai bis zum 19. Juni findet in der St.-Anna-Kapelle Passau unter dem Titel "Ton in Ton" eine Doppelausstellung der Malerin Danaé Xynias und Gerhard Lutz statt, die der Passauer Kunstverein veranstaltet. Dort sind Werke aus allen Schaffensphasen des Tonkünstlers zu sehen. Geöffnet Di.-So. 13-18 Uhr. Webseiten der Künstler: lutz-tonkunst.de, danaexynias.de