Ganzheitlich und vielschichtig ist das Konzept, das der Ausstellung „Entlang der Weite“ in der Stadtgalerie im alten Feuerwehrhaus in Freilassing (Berchtesgadener Land) zugrunde liegt: Ganzheitlich, weil die Kunstwerke der beiden Künstlerinnen Elisabeth Jungwirth und Marianne Gogg nicht nur durch sich selbst wirken, sondern auch durch die – mit dem Ziel, Spannung zu erzeugen und die Besucher zu unterhalten – abwechselnde Reihenfolge der Hängung.
Andererseits wurde die Vernissage mit einem besonderen musikalischen Rahmen versehen: Der Cousin des Ehemanns von Elisabeth Jungwirth, Professor Wolfgang Jungwirth, der 40 Jahre an der Bruckner-Universität in Linz unterrichtet hat, interpretierte Gitarrenliteratur vom Feinsten aus verschiedenen Epochen, wie etwa einen Walzer von Fernando Sor, Konzertetüden von Matteo Carcassi und Napoléon Coste, eine Neapolitana von Mauro Giuliani und die Transkription eines Werkes von Chopin für Gitarre von Francesco Tárrega. Virtuoses mit aufgelösten Akkorden wurde perlend dem Raum anvertraut, Ausdrucksstarkes und rhythmisch Prägnantes mit Echowirkung im Piano wiederholt. Professor Jungwirth freute sich, einen musikalischen Rahmen für die Bilder zu vermitteln – Musik sei bei dieser Vernissage nicht Selbstzweck.
Vielschichtig präsentiert sich die Werkschau auch durch den lyrischen Titel „Entlang der Weite“, der in einem Gegensatz einen unendlichen und zugleich begrenzten Raum, an dem man entlang gehen kann, vereint. Elisabeth Jungwirth erklärte ihn als eine „Metapher für die unendlichen Möglichkeiten und Herausforderungen, die Künstlerinnen auf ihrem Weg begegnen“. Die Weite symbolisiere nicht nur den physischen Raum, sondern auch den Raum der Kreativität und der Ideen. Auch die Fantasie könne ins Weite führen, nämlich hinter das Sichtbare, so Jungwirth.
Die Vorsitzende des veranstaltenden Kulturvereins Edith Karnowski wünschte in ihrer Begrüßung „interessante Seherlebnisse und anregende Gespräche“. Der 3. Bürgermeister und Kulturreferent Wolfgang Hartmann stellte zunächst den Kulturfahrplan der Stadt vor und verlas danach einen Artikel aus dem Feuilleton der Lokalausgabe der Passauer Neuen Presse mit der Überschrift „Deutsche verbringen mehr Zeit mit Kultur“, der durch den sehr weit gefassten Kulturbegriff (einschließlich Fernsehen, Streamen, Spielen digitaler Spiele und Konsum von Kultur) beinahe kabarettistisch klang. Anschließend stellten sich die beiden Künstlerinnen gegenseitig vor. Beide kommen ursprünglich aus dem österreichischen Schärding und wohnen jetzt bei Ried im Innkreis (Marianne Gogg) und in Salzburg (Elisabeth Jungwirth). „Das Interesse an der künstlerischen Entwicklung der jeweils anderen lässt uns immer wieder einander begegnen. Diese Ausstellung zeigt, dass wir uns in vielerlei Hinsicht ergänzen und bereichern“, so Gogg. Deren Werke eröffnen eine Welt im typischen Berliner Blau. Es handelt sich um Cyanotypie, eine 200 Jahre alte Belichtungstechnik, bei der Papier oder Baumwollstoff mit einer lichtempfindlichen Flüssigkeit versehen, im Dunkeln getrocknet und durch die Sonne im Freien belichtet wird. Erst durch Wässern entsteht an den belichteten Stellen die blaue Farbe. Gogg arbeitet mit Fundstücken, Schablonen, Folien oder mit alltäglichen Gegenständen, wie bei dem Bild „Das Fest“, bei dem der Baumwollstoff zusätzlich bestickt ist – „Gesprächsfäden und Sticheleien beim Geburtstagsfest“, wie Gogg im persönlichen Gespräch augenzwinkernd beschreibt. Viele ihrer Bilder haben Titel in französischer Sprache, die Tätigkeiten ausdrücken, wie „rester“ (bleiben), „voler“ (fliegen) oder „danser“ (tanzen).
Die Titel von Jungwirths Bildern sind poetisch und entsprechen der Symbolsprache in ihren Werken, die nach Deutung verlangt: „Sonnenvögel“, „Fliegende Boote“, „Der weiße Mond“ oder „Der verlorene Horizont“. Ihre Acrylbilder, Collagen, Bilder in Druck- oder Mischtechniken vermitteln dem Besucher, der bereit zum Dialog ist, viele, wenn auch oft verschlüsselte, Botschaften. Ihre Gemälde seien in der Schwebe zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen figurativ und abstrakt, surreal und expressionistisch und zeigen in schöpferischer Freiheit geborene Figuren, erklärt ihre Kollegin Gogg.
Die Werke beider Künstlerinnen laden alle dazu ein, ihre eigene Geschichte in den Bildern zu entdecken und sie mit den künstlerischen Erzählungen zu verknüpfen. Inspiration und anregender Gedankenaustausch.
Die Ausstellung am Hermann-Ober-Platz 1 ist noch bis 17. November geöffnet, und zwar von Freitag bis Sonntag jeweils von 14 bis 17 Uhr.
Artikel kommentieren