Bad Reichenhall
Mit frischem Geist den Wandel schaffen

Aus Volkshochschule wird Kultur- und Bildungsforum – Begegnungsstätte und Ort für Diskussionen

27.01.2023 | Stand 17.09.2023, 4:34 Uhr

In DIN A4 und mit Zeitstrahl für die wichtigsten geschichtlichen Ereignisse: Das neugestaltete Kursheft präsentiert das Vhs-Führungsduo Dr. Sandra Flatscher und Stefan Wimmer. −Fotos: Mareike Klappenbach

Mit einem neuen Auftritt in neuen Zeiten positioniert sich die Volkshochschule Bad Reichenhall – wie nun zu erwarten – neu: Als Kultur- und Bildungsforum sieht sich die Einrichtung künftig. Sichtbar wird das veränderte, neudeutsch auch als „Corporate Design“ bezeichnete, frische Gesicht durch ein anderes Logo, aber auch durch ein überarbeitetes Kursprogramm in aktualisierter Präsentation. Rückblicke auf die herausfordernde Coronazeit, aber auch einen Ausblick auf neue Programme und anstehende Projekte haben Stefan Wimmer und Dr. Sandra Flatscher bei einer gemeinsamen Pressekonferenz für Kunstakademie und Volkshochschule in den Räumen der Akademie gegeben.

Mehr als das reine Vermitteln von Wissen

Corona hat viel verändert. Mit rasantem Tempo hat die Digitalisierung Einzug gehalten. Treffen im virtuellen Raum sind für viele Menschen selbstverständlich geworden. Das ist auch bei der Volkshochschule zu spüren: „Wir haben festgestellt, dass Kursteilnehmer, die uns vor Corona jahrzehntelang treu waren, die Präsenzkurse nicht mehr besuchen“, sagt Vhs-Geschäftsführerin Flatscher. Zeit also, auf die neuen Lebenswelten zu reagieren: Auf den freien Zugang zu digitalem Wissen, auf die Schere zwischen Reich und Arm, die immer größer wird, auf den dynamischen Wandel der Wirtschaft, der lebenslanges Lernen erfordert. Aber auch darauf, dass Begegnungsorte immer weniger werden. Die Einrichtung positioniert sich neu. Sie sieht ihre Aufgabe nicht nur darin, Wissen zu vermitteln, sondern versteht sich vielmehr als Kultur- und Bildungsforum, als Begegnungsstätte, als Ort für Diskussionen und des gemeinsamen Kennenlernens.

„Die Institution bleibt nicht stehen, es weht ein frischer Geist“, sagt Vhs-Leiter Stefan Wimmer. Das aktuelle Frühjahrsheft ist ein Teil der veränderten Ausrichtung. „Es soll in Zukunft eingebettet sein in Anregungen zu bestimmten Themen und damit über die Kurse hinaus Zugang zu neuen Perspektiven bieten“, schreibt das Leitungsduo in seinem Vorwort.

Programm präsentiert sich in frischem Orange

Großzügig in DIN A4 präsentiert sich das Programm in frischem Orange: Zwar steht noch Volkshochschule oben drüber, aber dominant zeigt sich denn auch das neue Logo „KUB Forum“. Statt der drei Buchstaben, der bunten Kugeln im Kreis, kommt es nun kompakt und bunt daher.

Das Logo stehe für Vielfalt, Lebendigkeit, Offenheit, und mehr. Der Buchstabenblock soll Stabilität widerspiegeln, für Tradition stehen. Zwölf verschiedene Farbkombinationen, in denen KUB auftauchen kann, sollen die Vielfalt zeigen. „Dass es Forum heißt, stand erst nicht fest. Auch Zentrum oder Arena standen zur Diskussion“, berichtet Wimmer vom Entstehungsprozess. Gleich zweisprachig – auf deutsch und englisch – begrüßen der Oberbürgermeister und die beiden Einrichtungsleiter ihre Leserschaft – und verweisen in ihrem Vorwort auf jenen Wandel der Zeit, an den sich die Volkshochschule anschließt.

Wie schon im Vorgängerheft sind die Kurstitel fett überschrieben, wer weitere Informationen über Inhalte möchte, kann auf der Homepage nachlesen. Eine komplett neue Lesart gar macht Wimmer für dieses Heft aus. Bunt sind die Seiten gehalten, ein Zeitstrahl sortiert geschichtliche Ereignisse. Einem Zitat von George Bernard Shaw folgen philosophische Gedankenfetzen, was Kreativität freisetzen kann. Der Doppelseite mit Jugendausdrücken folgt die Auflistung der Sprachkurse, die Doppelseite mit Bildern der Kurstadt lässt den kreativen Blick kunstvoll ausklingen. „Wir verstehen uns als vielfältige, offene und diverse Einrichtung“, sagt Wimmer. Und: „Wir wollen auch irritieren.“ Man dürfe die Veränderungen des Lebens nicht verteufeln, sondern sollte sie aufgreifen, ist Wimmer überzeugt.

Bei Mitmachtag Ideen sammeln

Was wollen die Menschen in Bad Reichenhall von ihrer Vhs? Auf diese Frage sollen bei einem Mitmachtag am Donnerstag, 16. März, von 16 bis 20 Uhr Antworten gefunden werden. Geplant sind verschiedene Workshops, bei denen eigene Ideen gefragt sind. Das Ziel: Gemeinsam daran zu arbeiten, „dass die Vhs Bad Reichenhall noch mehr Ihre Vhs wird“. Auch ein Café könnte sich das Führungsduo vorstellen, ganz zentral im Alten Feuerhaus, um dem neuen Spirit mehr Raum zu geben. Und einen Empfangsbereich soll es geben. Damit die Besucher nicht erst in den zweiten Stock hochstiefeln müssen, um einen Ansprechpartner zu finden, sich für einen Kurs zu melden oder Antworten auf Fragen zu bekommen.

Stühle als bindendes Element

Mit Stuhlpatenschaften sollen zudem die Reichenhaller mit ins Boot geholt werden. Die Kurstädter sind aufgerufen, eine Stuhl für den Veranstaltungssaal zu spenden. Er darf ruhig schon älter sein, allerdings nicht ramschig, sondern muss nutzbar und sicher sein. „Wir wollen nicht die Rumpelkammer werden“, sagt Wimmer augenzwinkernd. Gedacht sind die Stühle als bindendes Element zum Feuerhaus. Frei nach dem Motto „nimm teil/nimm platz“ möchte die Vhs ihr Feuerhaus mit den Objekten der Reichenhaller gestalten, heißt es. „Wer bei einer Diskussionsrunde auf seinem eigenen Stuhl Platz nimmt, kommt vielleicht lieber“, vermutet Wimmer.

Einen direkteren Draht ins Rathaus als zuvor will das Vhs-Spitzenduo zudem pflegen. Sie haben nach neuen Kommunikationskanälen gesucht und wieder regelmäßige, jährlich stattfindende Treffen des Vhs-Beirats angekurbelt. „Wir wollten auf diese Weise auch zeigen, wo die Gelder hinfließen, die der Stadtrat Jahr für Jahr bewilligt“, erklärt Flatscher.

KURSE UND ZAHLEN

Insgesamt 259 Kurse mit 126 Dozenten hat die Vhs in ihr neues Frühjahrsprogramm aufgenommen. „Davon finden 35 online statt“, informiert Sandra Flatscher. Die Themen Nachhaltigkeit, neue Tanzangebote, natürlicher Lebensstil oder Neues rund um die Geburt füllen die Angebotspalette. Den „Klimawandel vor der Haustür“ beleuchtet ein Kurs, der in Kooperation mit dem WWF organisiert ist. In Zusammenarbeit mit der Reichenhaller Tafel hinterfragt der Kurs „Lebensmittelverschwendung“ Gründe, Ursachen und Hintergründe für den Umgang mit dem Überangebot und dem Mangel an Essen.

Absoluter Renner sei in Sachen Bewegung das Tanzangebot „Line Dance Latin Style“. „Schon im Dezember hatten wir etliche Anmeldungen.“ Bei weiterer hoher Nachfrage werde über einen zweiten Teil nachgedacht, verrät Flatscher.

Wie der leichte Start aus dem Winter gelingt, beleuchtet das Angebot „Detox im Frühling.“ Eine Ergänzung zur herkömmlichen Geburtsvorbereitung ist zum Beispiel das Thema „fitdankbaby“ oder der Workshop rund um die Geburt. Online-SAP-Kurse verstärken den Bereich Arbeit und Beruf.

Nicht wieder auf Vor-Corona-Niveau

Rund 250 bis 300 Kurse pro Semester hat die Vhs in Vor-Corona-Zeit organisiert. Genau genommen haben im Jahr 2019 insgesamt 533 Kurse stattgefunden mit 8165 Teilnehmern. Mit Kopfschütteln erinnert sich Sandra Flatscher an die schwer planbare und zu organisierende Zeit innerhalb der Pandemie, die sie auch als „Schockstarre“ bezeichnet und die Schwierigkeiten, die sich zunächst beim Online-Angebot ergeben haben. „Erst waren alle überfordert, dann stimmte das Equipment nicht.“ Entsprechend im Sinkflug befanden sich die Teilnehmerzahlen mit 3578 bei 293 Kursen im Jahr 2020 und 3589 (316 Kurse) 2021. 2022 konnte ein leichter Aufschwung verbucht werden und es waren wieder 4983 Teilnehmer im Boot bei 463 stattgefundenen Kurse. Aber – und das war beschriebener Antrieb für die Neuausrichtung: „Viele unserer treuen Teilnehmer sind bis heute weg. Sie haben einen anderen Lebensstil gefunden.“




ZWEITES STANDBEIN INTEGRATION

Das zweite, von vielen weniger wahrgenommene, Standbein der Vhs sind die vom Bundesamt für Migration zugelassenen Integrationskurse, die die Volkshochschule als eine von zwei Einrichtungen im Landkreis organisiert – und die viel Zeit in Anspruch nehmen und Arbeitskraft binden, wie Sandra Flatscher erläutert. Die Nachfrage sei hoch, fünf Kurse werden seit Sommer 2022 parallel angeboten mit circa 120 Teilnehmern. 2015 war die Vhs mit zwei Kursen gestartet. Nur kurz zur Einordnung der Dimension: Wer ein Zertifikat B1 erlangen möchte, das nötig ist für eine dauerhafte Einbürgerung, muss 600 Stunden Deutschunterricht nachweisen und 100 Stunden Gesellschaftskunde, die an der Vhs unterrichtet werden.

Auch bei den Einstufungstests, die eine Voraussetzung für die Kursteilnahme sind, gibt es zur Zeit einen regelrechten Andrang mit rund zehn Teilnehmern pro Woche. Zum Vergleich: Vor der Ukrainekrise kamen im Schnitt rund drei Personen pro Woche. Ab Juli 2023 möchte Sandra Flatscher dennoch zudem einen Berufssprachkurs mit Zielsprache B2 anbieten. „Viele Menschen, die zu uns kommen sind hochqualifiziert, aber können und dürfen nicht arbeiten, weil sie keinen entsprechenden Sprachkurs nachweisen können. Mit dem B2-Kurs können wir ihnen eine neue Bildungs- und Lebensperspektive eröffnen.“

− mk