„Sie“ schaut nach oben und erzählt, dass „Er“ immer alles sieht. „Antje“, ihre Arbeitskollegin, denkt an den lieben Gott – dabei ist der Mond gemeint. Luna ist eine Sehnsuchtsmetapher mit unterschiedlicher Bedeutung für das ungleiche Paar. Denn Sie möchte ihr ungeborenes Kind Luna nennen, während die spielsüchtige Antje dabei an den „Big-Moon-Joker“ beim Einarmigen Banditen denkt. Dabei sieht ihre reale Welt ganz anders aus: Die gestrandeten Frauen arbeiten unter prekären Bedingungen in einer Fleischerei.
Mit dieser Szene beginnt die Aufführung des Stücks „Faulender Mond“ am Münchner Volkstheater unter der Regie von Simon Friedl aus Bad Reichenhall.
. Klinisch weiß wie ein medizinisches Labor die große Theke (Bühne und Kostüme: Paula de la Haye), an welcher in sterilen weißen Kitteln mit Beilen und Messern hantiert wird, um das Fleisch fachgerecht zu zerlegen, aber auch um Sandwiches phantasievoll zu belegen. Wie die Schauspielerinnen Nina Noé Stehlin als „Sie“ und Henriette Nagel in der Rolle der Antje damit umgehen, ist Komik pur. Da wird geknetet, gerollt und gewälzt, gedrückt, geschabt und geschnitten, dass es ein wahrer Spaß ist – und das Publikum sich von Flomen bis zu Leberkäs und Weißwurst fantasieren kann, auch wenn die Masse letztlich (wahrscheinlich) nur aus Teig besteht. Doch dieser findet multifunktional Verwendung, mutiert mal zum Babybauch der jungen Frau, dann wieder zu den Münzen, welche der Spielautomat wie ein hungriges Monster verschlingt.
Alles ist Imagination in der Inszenierung von Simon Friedl, dessen erste Regie nach Jahren der Assistenz am Volkstheater nun „Faulender Mond“ von Anais Clerc (Jahrgang 1992) ist. Es ist ein well made play der in Berlin und Bern lebenden Autorin, bekannt für theaterpädagogische, oft inklusive Projekte für junge Leute. Ihr „faulender Mond“ ist im Rahmen eines Seminars über Bertolt Brechts Lehrstücke entstanden, doch der didaktische Impetus ist nur gegen Ende der knapp anderthalbstündigen pausenlosen Aufführung zu spüren, die mit einem Appell zum Dialog endet: „Redet miteinander!“ Das tun die Beiden, das sollten sie aber auch mit den Mitgliedern der „Partei“ mit dem Banner „Zeit für Deutschland“, welche der vorbestraften Antje zu Job und Wohnung verholfen hat.
Die Handlung mäandert durchaus spannungsvoll, obwohl das Duo im Themen-Hopping von der Kritik an modernen Arbeitsbedingungen mit mieser Bezahlung, psychischen Unzulänglichkeiten, Reflexionen über den heutigen Theaterbetrieb bis zur Abgrenzung von rechtsradikaler Ideologie, ja Artenstreben und Klimawandel springt. Das machen die beiden Darstellerinnen sowohl mit Witz, als auch mit Ernst und psychologischer Treffsicherheit im rasanten Rollenwechsel. Denn während die geerdet wirkende Henriette Nagel einmal auch die Rolle des Fötus („Ich möchte nicht geboren werden“) übernimmt, spielt die kapriziöse Nina Noé Stehlin sehr amüsant den Spielautomaten samt seinen bekannten Geräuschen. Bei der Arbeit erzählen sie sich ihre Geschichten, weit weg von Emotionen in der 3.Person, öffnen sich bis zu Schuldbekenntnissen und Erlebnissen des Scheiterns, während sie mit köstlichem Kraftaufwand das „Fleisch“ traktieren.
Regisseur Friedl kriegt in seiner fesselnden Inszenierung aber auch geschickt die Kurve zur Dystopie, welche der Text am Ende nimmt. Nachdem die ominöse rechte Partei sich grundlos von den Frauen getrennt hat, mutiert das Duo zu Anarchistinnen und bricht mit „Major Toms Ground Control“ auf in den Weltraum. Im Astronauten-Look tapsen die beiden Schauspielerinnen in Slow Motion über die Spielfläche, bis sich jener gleißende Scheinwerfer, der vorher die Arbeitsfläche bestrahlte, als versöhnender, rot glühender Mond über den Sehnsuchtsort legt – und die Utopie Realität wird.
Barbara Reitter
Volkstheater München, von Simon Friedl
bis 19. Februar, (089) 523 46 55
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