Schlafsack zurückgelassen
Am Watzmanngrat verstiegen: Gerettete Urlauber meckern Bergwachtler an

30.05.2023 | Stand 16.09.2023, 21:12 Uhr

Bei der Querung unterhalb der Mittelspitze herrschte Nebel. −F.: BRK BGL

Das Leben rettete die Bergwacht Ramsau einem Pärchen, das sich am Watzmanngrat verstiegen hatte – statt sich zu bedanken, beschwerten sich die beiden bei den Ehrenamtlichen.



Kurz nach 14 Uhr setzten ein 37-jähriger Mann und eine 29-jährige Frau aus Nordrhein-Westfalen einen Notruf ab, da sie sich bei der Watzmann-Überschreitung zwischen Mittel- und Südspitze verlaufen hatten. „Dank einer fliegerischen Meisterleistung des Polizeihubschrauber-Piloten, der eine günstige Wolkenlücke nutzte“, wie das BRK BGL schreibt, dauerte die riskante Rettungsaktion dann weniger lang als befürchtet. Daran waren 16 Bergretter und zwei Helis bis zu sieben Stunden lang beteiligt.

Trotz der guten Prognose waren die Gipfel der höheren Berge am Sonntag die meiste Zeit über von Wolken umhüllt, weshalb auch die Einsatzstelle am Watzmanngrat mit einer Untergrenze von rund 2400 Metern im Nebel lag und per Heli nicht erreichbar war. Die Besatzungen des Salzburger Notarzthubschraubers „Christophorus 6“ und danach des Polizeihubschraubers „Edelweiß 6“ flogen deshalb die Retter bis zum Watzmannhaus, die dann weiter zu Fuß übers Hocheck und den Grat aufstiegen. Die Unverletzten hatten einen sicheren Stand, aber lediglich dünne Schlafsäcke von der Übernachtung am Watzmannhaus dabei und versuchten sich bei knapp unter fünf Grad in der Wolke warm zu halten. Da sie zu erschöpft waren, konnten sie den Rettern nicht entgegen gehen.

Rutschige Altschneedecke

Die Bergwacht plante ursprünglich einen langen und komplexen Einsatz mit dem Ziel, das Duo zumindest bis zum Sonnenuntergang in die Schutzhütte am Hocheck zu bringen. Ein Teil der Bergretter machten sich mit Sicherungsmaterial, Ausrüstung zum Wärme-Erhalt und Energieriegeln auf den Weg, wobei ab der Hochstiege eine geschlossene, zunehmend stärkere und rutschige Altschneedecke vorherrschte, die aber zu weich und stellenweise zu dünn für Steigeisen war.

Der Einsatzleiter ließ am Wimbachschloss zur besseren Kommunikation ein Gateway aufbauen, den Kerosin-Anhänger aus Berchtesgaden zum Nachtanken der Helis und den Ruhpoldinger Bergwacht-Notarzt in die Ramsau holen, damit bei einem Notfall mit Verletzten medizinische Hilfe zumindest innerhalb weniger Stunden verfügbar wäre.

„Sehr direkt“ aufgefordert, nicht mehr Ausrüstung einzupacken

Die Besatzung des Polizeihubschraubers blieb in der Luft und kreiste konsequent über dem Wimbachgries, um bei einer Wolkenlücke ohne Zeitverlust die Einsatzstelle anfliegen zu können. Kurz nach 17.30 Uhr riss es dann so weit auf, dass die Heli-Crew die Verstiegenen erstmals in rund 2600 Metern Höhe zwischen der Mittel- und der Südspitze sehen konnte. Zwei Bergretter arbeiteten sich vor, während die Quellbewölkung einen kurzen Anflug auf Sicht möglich machte.

„Da die Zeit drängte, mussten die Retter die Verstiegenen sehr direkt auffordern, nicht mehr zeitaufwendig ihre Biwak-Ausrüstung einzupacken, damit der Heli die kurze Wolkenlücke nutzen und sie sofort abholen kann“, schreibt das BRK. Bei der Vorstellung eines Rückstiegs zum Hocheck und einer kalten Nacht am Watzmann waren die beiden kooperativ und ließen ihre Ausrüstung zurück, so dass sie der Heli gegen 17.55 Uhr abholen und zur Wache fliegen konnte, wo sie um 18 Uhr wohlbehalten ankamen.

„Etwas“ irritiert von missmutiger Reaktion

Laut Bericht äußersten sie dort missmutig, dass sie als Patienten noch nie so schlecht behandelt worden seien, woraufhin sie auch sofort verschwanden. „Wir müssen in derart hoch dynamischen Einsatzlagen oft sehr schnell Entscheidungen treffen und auch mal recht direkt mit Betroffenen sprechen, die nicht immer sofort die Brisanz der Lage und das hohe Risiko für alle Beteiligten realistisch einschätzen können. Ein zurückgelassener Schlafsack steht in keinem Verhältnis zu Leben und Gesundheit von Menschen“, erklärt Bergwacht-Sprecher Michael Renner, der sich mit seinen Kameraden trotz langjähriger Einsatzerfahrung über die Reaktion ärgert: „Betroffene reagieren unter den Eindrücken einer Ausnahme-Situation sicher anders, als sie es vielleicht sonst machen würden, weshalb wir so etwas nicht überbewerten, auch wenn es etwas irritiert, da wir ja nur möglichst gut helfen wollen.“

„Dem fliegerischen Können der Besatzung von ,Edelweiß 6‘ ist es zu verdanken, dass alle Windengänge am Grat sicher stattfinden konnten und uns eine langwierige Rettung über den Grat und eine kalte Nacht in der aktuell leider wieder recht vermüllten und mit offenstehender Türe der Witterung ausgesetzten Schutzhütte erspart geblieben sind“, so Renner.

Gefährliche Erwartungshaltung

„Wir sind zunehmend verwundert über die gefährliche Erwartungshaltung, die sich scheinbar mehr und mehr zu etablieren scheint, dass die Rettung im Hochgebirge bei Wind und Wetter sowohl eine garantierte, als auch eine unkritische Sache wäre – auch wenn manche Bergsteiger das vielleicht nicht so gut einschätzen können und anders reagieren als jemand, der tatsächlich weiß, auf was er sich bei einer winterlichen Grat-Überschreitung einlässt. Auch für uns war der Einsatz im rutschigen und schwer einzuschätzenden Altschnee im Absturz-Gelände riskant“, erklärt Renner.

Bereits kurz nach 13 Uhr hatte ein 53-jähriger Berliner die Bergwacht gebraucht, da er sich am Hochkalter eine tiefe Schnittwunde am Knie zugezogen hatte. Der Hüttenwirt der Blaueishütte leistete Erste Hilfe und versorgte den Mann so gut, dass er selbst bis ans Ende der befahrbaren Straße in Richtung Schärtenalm absteigen konnte, wo ihn die Bergwacht Ramsau mit dem Fahrzeug abholte, zur Bergrettungswache brachte und dort an eine Krankenwagen-Besatzung des Roten Kreuzes zur Weiterfahrt in die Klinik übergab. Vier Bergretter waren gute eineinhalb Stunden lang unterwegs.

Mit Herzkreislaufstillstand zusammengebrochen

Gegen 10.15 Uhr mussten die Bergwacht Ramsau und die Besatzung des Traunsteiner Rettungshubschraubers „Christoph 14“ eine 51-jährige Wanderin aus dem Landkreis Rosenheim retten, die am Wachterlsteig auf der Ostseite der Reiter Alm im Aufstieg zur neuen Traunsteiner Hütte nur rund 20 Gehminuten vom Parkplatz am Wachterl entfernt mit Herzkreislaufstillstand zusammengebrochen war. Die Heli-Besatzung flog die Einsatzstelle an, setzte den Notarzt am Einsatzort ab, versorgte die Frau notfallmedizinisch, nahm sie mit der Winde auf und flog sie zur Kreisklinik Bad Reichenhall. Fünf Ramsauer Bergretter standen zur Unterstützung in Bereitschaft.

− red