Mühldorf / Altötting
Damit der ländliche Raum gesund bleibt

Expertengespräch mit Minister Holetschek über die Zukunft der Gesundheitsversorgung

15.03.2023 | Stand 17.09.2023, 0:57 Uhr

Moderiert von Nikolaus Nützl (von rechts) diskutierten InnKlinikum-Vorstandsvorsitzender Thomas Ewald, Gesundheitsminister Klaus Holetschek, Mühldorfs Landrat Max Heimerl, der Facharzt für Allgemeinmedizin Peter Wapler und der Gesundheitsökonom Prof. Andreas Beivers, der virtuell in den Haberkasten zugeschaltet war über Zukunftsmodelle der medizinischen Versorgung, insbesondere mit Blick auf die Situation in den Landkreisen Altötting und Mühldorf. −Foto: Schwarz

Patient Gesundheitssystem – medizinische Versorgung neu denken: Unter diesem Leitgedanken stand der Informations- und Diskussionsabend mit Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek am Dienstag im mit rund 230 Personen vollbesetzten Mühldorfer Haberkasten. Das Hauptaugenmerk lag auf der künftigen Ausgestaltung der Strukturen im InnKlinikum und der Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Ärzten in den Landkreisen Altötting und Mühldorf. An den aktuellen Krankenhausreformplänen von Bundesgesundheitsminister Klaus Lauterbach gab es deutliche Kritik, insbesondere weil die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum leiden würde, wenn nicht nachgebessert wird.

„In den Kliniken herrscht Alarmstufe rot“, sagte Mühldorfs Landrat Max Heimerl einleitend. Corona-Verluste würden nicht mehr ausgeglichen, die Erträge sinken. Gleichzeitig werde mit erhöhten Energie- und Sachkosten gekämpft, die Inflation komme hinzu. Das Defizit im zweistelligen Millionenbereich müssten die Landkreise tragen, weshalb Geld für andere Investitionen, etwa in Schulen oder Straßen fehle. Hinzu komme noch der Fachkräftemangel.

Als Herausforderungen für die Zukunft formulierte Heimerl die Sicherstellung einer wohnortnahen medizinischen Versorgung auf qualitativ höchstem Niveau und die Schaffung eines Arbeitsumfeldes, in dem sich die Mitarbeiter halten bzw. sich neue gewinnen lassen. Und all das müsse geschehen vor dem Hintergrund einer unwägbaren Finanzierungssituation.

Auch jenseits die Lauterbachschen Reformvorschläge habe sich das InnKlinikum auf den Weg gemacht: Die Fusion 2020 sei der richtige Weg gewesen, der nun mit dem aktuellen Medizinkonzept weiter beschritten werde: „Wir machen das, was personell und finanziell notwendig und was medizinisch sinnvoll ist. Zentrierung, Ambulantisierung und Digitalisierung sind die Herausforderungen und Aufgaben von heute und morgen.“ Doch damit seien die Herausforderungen nicht für alle Zukunft gemeistert. Es werde alles getan, „um Spitzenmedizin auch weiterhin wohnortnah in der Region anbieten zu können“. Und dazu müsse noch geschafft werden, dass die drohende bzw. schon eingetretene hausärztliche Unterversorgung in den Griff bekommen wird. Und auch die Situation der Pflege, der Apotheken und der therapeutischen Berufe dürfe nicht aus den Augen verloren werden. Ein Riesenbündel an Themen sei aufzuschnüren. Die Landkreise Altötting und Mühldorf würden ihre Hausaufgaben machen, aber: „Das können wir allein nicht schaffen. Wir brauchen die Hilfe von Bund und Land.“

Für den Freistaat Bayern sagte Gesundheitsminister Klaus Holetschek diese Unterstützung, die Fürsprache für den ländlichen Raum zu: „Wir brauchen eine Reform, die Rücksicht nimmt auf die Patienten, nicht auf die Metropolen.“ Bayern wolle Korrektiv sein, konstruktiv mitarbeiten, aber auch Fehler korrigieren – „für eine gute Versorgung am Land und eine passgenaue Finanzierung“. Die Kategorisierung im jetzigen Expertenpapier sei zu starr, die Vorgaben müssten länderspezifisch aufgeschlossen werden: „Hamburg hat andere Bedürfnisse als Bayern.“ Schließlich sei die Klinikplanung Ländersache; die Klärung der Kompetenzen könnte eine Frage für das Verfassungsgericht werden. Überhaupt gehöre mehr Geld ins System, sagte Holetschek – auch zum Wohle der Niedergelassenen, denn ohne die Haus- und Fachärzte sei die Versorgungssicherheit nicht zu gewährleisten. Dazu müssten die Arbeitsbedingungen auch in der Pflege und für Therapeuten verbessert und die Entbürokratisierung vorangetrieben werden.

Der Minister zeigte sich überzeugt: „Gute Medizin muss sich am Menschen orientieren.“ Bayern stehe für eine Reform, „wir sind auf dem richtigen Weg“. Dieser müsse aber „die ländlichen Strukturen berücksichtigen“.

Was das beispielsweise bedeutet, machte Prof. Andreas Beivers, Studiendekan für Gesundheitsökonomie an der Hochschule Fresenius München, der per Video zugeschaltet war, in der Diskussion deutlich, die von Nikolaus Nützl moderiert wurde. Ziel der Reform, die von Minister Lauterbach als „Revolution“ bezeichnet wurde, sei es die Versorgung fortzuführen und zu verbessern. Dazu trage eine Leistungszentrierung bei – aber die Erreichbarkeit müsse im Auge behalten werden. Und diese sei auf dem Land anders zu bewerten als in der Stadt – das heißt, es geht nicht nur um Distanzen, sondern auch um Fahrtzeiten.

Ebenso müsse die Frage der Vorhaltekosten geregelt werden, denn auch auf der untersten Versorgungsstufe fielen diese in nicht unerheblicher Höhe an. Und der Patient müsse im Mittelpunkt stehen, der auch subjektive Bedürfnisse habe, der sich gut aufgehoben wissen will: „Das geht nur in der Region.“ Den Kliniken und den Niedergelassenen riet Beivers, gemeinsam anzupacken. Minister Holetschek sekundierte: Die wichtigste Aufgabe sei und bleibe „die gute wohnortnahe Versorgung der Menschen.“

Thomas Ewald, Vorstandsvorsitzender des InnKlinikum Altötting und Mühldorf, sprach davon, dass ein „kalter Strukturwandel“ im Gange sei. Die aktuelle politische Einordnung sei „Lichtjahre entfernt von der Realität“. Ewald betonte, die Mitarbeiter in den Kliniken würden „Großartiges leisten“. Dass Krankenhäuser nicht wirtschaftlich betrieben werden könnten, liege an der ungenügenden Finanzierung und den hohen Kosten. Er wies die Vorwürfe zurück, die jetzige Strukturreform am InnKlinikum diene einer „Gewinnmaximierung“, wovon ja wohl bei einem Defizit von über 20 Millionen Euro keine Rede sein könne.

„Wenn es in den Kliniken eine Minute vor zwölf ist, dann ist es bei den Hausärzten dreiviertel eins“, sagte Peter Wapler, Facharzt für Allgemeinmedizin aus Mühldorf, der sich stark in der Ausbildung von Hausärztenachwuchs einbringt. Er bemängelte, dass die Hausärzte in der Covid-Pandemie 80 Prozent der Versorgung übernommen hätten – Applaus habe es auch gegeben, aber keinen Bonus. Es bedürfe großer Anstrengungen, die Hausarztversorgung in der hiesigen Region aufrecht zu erhalten. Politik, Kliniken, Kassen und Niedergelassene müssten hier Hand und Hand arbeiten.

Einig zeigten sich die Sprecher, dass alles unternommen werden müsse, Frauen stärker in die medizinische Versorgung einzubinden. Hier müssten entsprechende Arbeitszeit- und Betreuungsmodelle geschaffen werden. Auch die Arbeitsmigration sei zu nutzen, um Fachpersonal zu gewinnen. Der diesbezügliche Mangel sei – verschärft noch durch gesetzliche Vorgaben – etwa auch verantwortlich dafür, dass aktuell in Mühldorf keine Geburtshilfe angeboten werden könne.

Hausarzt Wapler appellierte – wie auch alle anderen Gesprächsteilnehmer –, zusammenzuarbeiten, um einen Versorgungsnotstand zu verhindern. Und die Bürger bat er: „Hören Sie auf ihren Körper und gehen sie nicht wegen allem gleich zum Arzt.“ Auch dies könnte dem genannten Ziel zuträglich sein. Wenn aber ein Arzt- oder Krankenhausbesuch nötig sei, sollten die „hervorragenden“ hiesigen Angebote genutzt werden, wünschte sich Landrat Heimerl.

− ecs