Mitbegründer der Jazzwoche Burghausen
Die Jazz-Konstante: Joe Viera wird 90 Jahre alt

04.09.2022 | Stand 19.09.2023, 23:43 Uhr

Joe Viera wurde 1981 zum Hochschulprofessor für Jazz. Er wurde geehrt mit dem Bundesverdienstkreuz und dem Bayerischen Verdienstorden. Demnächst will er entscheiden, ob er auch im Jahr 2023 noch künstlerischer Leiter der Jazzwoche Burghausen bleiben wird. −Foto: PNP

Als eine der Konstanten des deutschen Jazz bezeichnet ihn das Rowohlt Jazz-Lexikon. Joe Viera findet diese Beschreibung "ziemlich zutreffend". Viele Initiativen seien in den vergangenen Jahrzehnten gekommen und gegangen. Viera war wichtig, dass das was er macht, bleibt. Natürlich darf sich der Jazz verändern, muss es sogar. Aber dann müssen die Veränderungen sinnvoll sein.

Die Konstanz sieht man an seinen Errungenschaften: 1970 hat er gemeinsam mit Helmut Viertl die Burghauser Jazzwoche ins Leben gerufen und ist seither deren künstlerischer Leiter. Die Burghauser Jazzkurse bestehen seit 1972 bestehen und feierten dieses Jahr 50. Geburtstag.

Nun steht das nächste Jubiläum an, das der Konstante Viera selbst: Am Sonntag wird der Jazzprofessor 90 Jahre alt. Feiern wird er das mit seinen Musikerkollegen der Uni-Bigband München etwa am 19. September im Münchner Jazzclub Unterfahrt. "Der Mensch braucht Jubiläen", sagt Viera. Sie seien ein Anlass nachzudenken, zu rekonstruieren und zu entscheiden, wie es weiter geht.

Begonnen hat die Geschichte von Joe Viera und dem Jazz in dessen frühen Kindheit. Die Volksmusik-Schellackplatten der Eltern enthielten Jazzelemente, die er in den 1940ern, mitten im Zweiten Weltkrieg, bei ausländischen Radiosender wiederfand. Viera war so fasziniert von dieser Musik, dass er sich eine Radioantenne bastelte, um die Sender heimlich zu hören. Unbewusst schaffte er damit den Grundstein für eine weitere Konstante in seinem Leben: die Physik. Der Antennenbau führte ihn zum Physikstudium und das wiederum zum Diplomingenieur. Ausgenutzt hat er diesen Abschluss nie, denn früh war klar, dass es die Musik sein wird, mit der er sich seinen Lebensunterhalt verdienen möchte. Und doch spielt die Physik auch heute eine wichtige Rolle in Vieras Leben. "Mit der Physik habe ich das Denken gelernt, mit der Musik das Fühlen." Zusammen die ideale Kombination.

Diese führte dazu, dass Joe Viera viel mehr ist als ein Musiker: Er ist Arrangeur, Komponist, Autor und Dozent. Generationen von Schülern in vielen europäischen Ländern, in Afrika, Russland und China hat er beigebracht, Jazz zu spielen, ein Fach, das viele damals für nicht unterrichtbar hielten. Diese These hat der Münchner längst widerlegt. "Es ist, wie eine Sprache zu lernen. 50 Prozent ist reines Handwerk." Auf Rhythmus und Harmonie komme es an. "Der Schönheitsbegriff ist ein anderer als in der Klassik." Viera hat sich das selbst erarbeitet, zunächst auf dem Sopran-, dann auf dem Alt- und schließlich auf dem Tenorsaxofon. Er hat die Gesetzmäßigkeiten des Jazz herausgearbeitet und weitergegeben. "Ich hatte nie vor, so viel zu unterrichten, ich habe es dann aber doch getan, weil ich gesehen habe, dass es notwendig war und doch auch interessant."

Noch heute leitet er die Münchner Uni-Bigband, beobachtet die Entwicklung des Jazz und gibt regelmäßig Unterricht. Andere Projekte, wie die Leitung der Passauer Bigband und zuletzt der Burghauser Jazzkurse hat Joe Viera abgegeben. "Ich musste etwas reduzieren", sagt er. Ihn plagen gesundheitliche Probleme, zuletzt fiel ihm das Reisen schwer. Bei der 51. Burghauser Jazzwoche in diesem Frühjahr musste er deshalb passen, ebenfalls bei der Verlegung seines Jazz-Sterns in den Burghauser Grüben.

Zur Ruhe setzt sich der Musiker trotzdem nicht. "Ich stecke mitten in meiner Autobiografie", sagt Viera. Hier stehe er gerade vor der Schwierigkeit zu entscheiden, was reinkommt und was nicht, denn das Werk wird zu dick. Erschwerend kommt hier Vieras Leidenschaft des Geschichtenerzählens hinzu, gepaart mit seinem unverkennbaren trockenen Humor, den die Besucher der Jazzwoche in Vieras Begrüßungsansprachen lieben gelernt haben.

Ob sie diese im März wieder hören? "Das kommt darauf an. Die Gesundheit spielt bei der Entscheidung eine gewisse Rolle." Er werde demnächst entscheiden, ob er das Festival aus 2023 wieder künstlerisch leitet. Sollte er das Zepter einem anderen überlassen, ist ihm aber eins wichtig: "Die Kontinuität muss bestehen bleiben." Joe Viera findet: "Das Konzept, das ich entwickelt habe, hat sich bewährt."

Johanna Richter