Festspiele
Wettstreit der Pianisten: Levit und Sokolov in Salzburg

Die beiden Pianisten gelten als die besten unserer Zeit. In Salzburg treten sie an zwei Abenden hintereinander auf

05.08.2020 | Stand 21.09.2023, 2:37 Uhr

Ungeschicktes Programm: Grigory Sokolov. −Foto: Vico Chamla

Der eine schleicht pinguinhaft auf die Bühne des Großen Festspielhauses im schwarzen Frack, jedes Lächeln zum Publikum hält er offensichtlich für fehl am Platz. Der andere schlendert in modischem Kittel und Jeans herein, wendet sich immer wieder in die Kamera, weil er telegen rüberkommen will. Was sie eint: Sie gelten vielen Experten als die besten Pianisten unserer Zeit. Der jüngere, modernere ist Igor Levit, der andere Grigory Sokolov. Bei den Salzburger Festspielen traten die beiden Großmeister im Abstand von nur einem Abend auf.

Die Abende mit Igor Levit hören Sie hier auf Arte Concert

Dass sie heute so bejubelt werden, das begann fast gleichzeitig. Denn der 70-jährige Sokolov blickt zwar auf eine lange Karriere zurück, so richtig durchgestartet ist er allerdings erst in den vergangenen Jahren, ebenso wie der 33-jährige Levit. Sokolov wurde immer von Kennern bewundert, seit er 16-jährig den Tschaikowsky-Wettbewerb gewann. Aber er tat nicht viel dafür, berühmt zu werden. Er vermied es geradezu. Ganz anders Igor Levit. Ihn kennt man, weil er in Interviews die Flüchtlingspolitik anprangert, weil er Beethoven in Videos analysiert und in der Zeit des Lockdowns fast täglich ein Video mit Klaviermusik auf Twitter postete. Zu Beethovens 250. Geburtstag veröffentlichte er dessen sämtliche 32 Klaviersonaten. Genau die stellt er nun auch in einer achtteiligen Reihe bei den Festspielen vor. Der Mann versteht etwas von Marketing. Aber sonst?

Igor Levit beginnt mit der Sonate Fis-Dur op. 78. Wer so geheimnisvoll, so traumschön, so unendlich leise, so romantisch-verlorene Töne anschlagen kann, der ist kein Schaumschläger. Der ist vielleicht doch das, was viele erwarten: der genuine Beethoven-Interpret unserer Tage. Was auf CD perfektionistisch, aber etwas temperamentslos klingt, wirkt im Konzertsaal völlig anders. Levit braucht offenbar den Nervenkitzel des Publikums. Im Saal offenbart sich eine Differenzierungskunst des Anschlags, eine Reaktionsschnelligkeit, ein Reichtum an Farben, den man kaum vermutet hätte. Und: Er geht an die Grenze des physisch Möglichen. Den Schlusssatz der Fis-Dur-Sonate schmettert er in einem Tempo, dass es dem verwirrten Publikum den Atem verschlägt. Ein Klavierabend wie im Märchen.

Sokolov wählt ein eher leichtes Programm, das auch gute Amateure bewältigen. Für Virtuosen ist es schwer, damit zu punkten. Sein Mittel für Mozart ist die Geradlinigkeit. Da gibt es keine besonderen Effekte, da ist vor allem Schlichtheit des Ausdrucks, die große innere Ruhe, mit der jeder einzelne Ton klangvoll geformt wird. Aber dabei stellt sich auch leicht ein wenig Langeweile ein. Zumal, wenn etwa beim berühmten Türkischen Marsch mit der exotischen Wildheit allenfalls geflirtet wird. Schumanns "Bunte Blätter" klingen über weite Teile behäbig, statuarisch. Erst in der Zugabe, bei den Intermezzi von Brahms, den Chopin-Mazurken und -Preludes blitzt Sokolovs Magie auf. Im fiktiven Wettstreit der großen Pianisten muss er sich besiegt geben, nicht weil er nicht so gut ist – sondern weil er sich ungeschickter präsentiert.

Jesko Schulze-Reimpell