Berchtesgadener Land
Lehrer leiden mit Schülern und Eltern

BLLV-Kreisvorsitzender Bernd Rüger schreibt Brief an Landrat Bernhard Kern – Forderung: Wieder gemeinsam Lernen, aber mit Hygienekonzept

28.10.2020 | Stand 20.09.2023, 1:02 Uhr

BLLV-Vorsitzender Bernd Rüger fordert in einem Brief an Landrat Bernhard Kern, dass den Schulen vorübergehend größere Räume zur Verfügung gestellt werden. −Foto: Katja Elsberger

Um die Öffnung der Schulen im Berchtesgadener Land zu fordern, hat sich der Kreisvorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands Bernd Rüger in einem Brief an Landrat Bernhard Kern gewandt.

Es sei den Lehrern bewusst, wie schwierig und komplex die momentane Situation im Landkreis ist und "dass Maßnahmen unbedingt notwendig sind, um die Verbreitung des Corona-Virus einzudämmen", schreibt Bernd Rüger, selbst Grundschullehrer. Die Lehrer "leiden mit den Schülern und deren Familien, die in dieser Krise besonders gebeutelt werden". Das Recht auf Bildung und Bildungsgerechtigkeit nennt der Kreisvorsitzende als "Beispiele, die unserer Ansicht nach im Moment fraglich umgesetzt werden". Eltern wenden sich laut Rüger "verzweifelt und erschöpft an uns Lehrer, da sie durch den ständigen Wechsel der Beschulungsart ihren beruflichen Tätigkeiten nicht mehr nachkommen können".

Erneutes Schließen der Schulen: "Nur sehr schwer nachvollziehbar"Nach den Erfahrungen vom Frühjahr sei es "nur sehr schwer nachvollziehbar, dass gerade die Schulen, speziell die Grundschulen, mit als erstes schließen mussten", so Rüger. Er verweist auf de "bekannten Folgen für Kinder und deren Eltern" und darauf, dass häufig angekündigt wurde, dass man auf die nun vorherrschende Situation besser vorbereitet sei als im Frühjahr.

Rüger führt auch Informationen des Robert-Koch-Instituts an, denen zufolge Kinder im Grundschul- und Kindergartenalter nicht zur "Super-Spreader-Gruppe" zählen, meist einen deutlich milderen Krankheitsverlauf aufweisen und das Virus seltener weitergeben als Erwachsene.

Wie Rüger weiter schreibt, habe jede einzelne Schule im Landkreis ein "in sich schlüssiges und durchdachtes, auf die jeweilige Schule passendes Hygienekonzept erarbeitet" und "unter größten Anstrengungen für alle Beteiligten eingehalten". Gerade in der Grundschule sei der persönliche Kontakt zwischen Kind und Lehrkraft "besonders wichtig, um Lernfortschritte zu beobachten, zu unterstützen und zu fördern, sowie auf die Persönlichkeit des Kindes einzugehen und dieses im pädagogischen und didaktischen Sinne abzuholen", so Rüger.

Erstklassler brauchen "direkten" Austausch"Enorm wichtig" sei der Präsenzunterricht für Erstklassler, "weil die Kinder sich immer noch an den Schulalltag gewöhnen und dabei den direkten Austausch und die Rückmeldung der Lehrkraft benötigen". Nach sechs Wochen Unterricht können diese Kinder "weder Arbeitsaufträge lesen, noch selbstständig an Videokonferenzen teilnehmen".

Grundschulkindern sei es nicht möglich, selbstständig, ohne Unterstützung eines Erwachsenen, die angebotenen und auch geforderten digitalen Möglichkeiten zu nutzen.

Die technische Ausstattung der Familie wie auch die Internetanbindung sei "sehr unterschiedlich", was zum Beispiel eine Online-Konferenz mit Schülern "ungemein erschwert, ja mancherorts sogar unmöglich macht". Die im Sommer bestellten Leihgeräte seien häufig noch gar nicht ausgeliefert und stehen damit noch nicht zur Verfügung.

Krisenstab bewilligte Materialaustausch"Homeschooling ist eine Notmaßnahme, aber ganz und gar kein Ersatz für kindgerechtes, individuelles und nachhaltiges Lernen", betont der BLLV-Kreisvorsitzende. Er bedankt sich im Brief an den Landrat dafür, "dass der Krisenstab am 27.10.2020 reagierte und Hol- und Bringstationen sowie Materialaustausch eindeutig bewilligt hat". Die Eltern sagen nach Auffassung Rügers "zu Recht, dass Distanzunterricht, egal, ob ausschließlich oder im Wechselmodell, nicht für eine chancengerechte Bildung geeignet ist".

Sie befürchteten, dass diese Vorgehensweise gerade für Kinder aus sozial schwachen Familien langfristig negative Folgen im Bildungs- und psychosozialen Bereich haben wird. "Wir als Pädagogen sehen es als unsere ureigenste Aufgabe an, insbesondere die Schwachen im Blick behalten." Wenn Eltern ihren Jahresurlaub verbraucht haben, ergeben sich "oft große Notlagen in den Familien, wenn Eltern durch den Spagat zwischen Homeoffice, Homeschooling und Betreuung von eigenen Kleinkindern an ihre psychischen und physischen Leistungsgrenzen gelangen", so Rüger. "Leider werden auch Lehrer angegriffen, die nicht komplett auf digitalen Unterricht umsteigen können."

Bitte an Landrat: Größere Räume für den UnterrichtAls Maßnahmen aus Sicht der Lehrer schlägt er vor, die bisher bewährten Hygienekonzepte der Schulen in der Praxis durchzuführen. Kinder sollen die Möglichkeit bekommen, "in einem von gut durchdachten Hygienekonzepten gestalteten Umfeld in Ruhe und unter qualitativ hochwertiger pädagogischer Führung ihre wissensbasierten, so wie auch sozialen Lernprozesse zu gestalten und ihre Persönlichkeiten zu entwickeln", so die Forderung des BLLV. Den Landrat bittet er: "Helfen Sie uns, zusammen mit den Bürgermeistern gegebenenfalls vorübergehend größere Räumlichkeiten für die Schulen zu finden, damit möglichst viele Kinder unter den aktuellen Pandemiebedingungen beschult werden können."

Der Landkreis solle "die Forderung des Kultusministeriums im Blick haben, dass gerade die ersten Klassen möglichst viel Präsenzunterricht haben sollten". Wichtig sei, "dass die Schulen geöffnet und weitere Schließungen vermieden werden". Die Voraussetzungen dafür sind nach Ansicht des BLLV-Kreisvorsitzenden "vor Ort geschaffen und Lehrerinnen und Lehrer werden weiterhin ihr Bestes tun, die Defizite der Kinder auszugleichen und einen geregelten Unterricht für alle Kinder zu ermöglichen".

− red