Bad Reichenhall
Einzelhandel erhöht den Druck auf die Politik – und fordert Öffnung

Mit dem Motto "Wir stehen auf_Recht" Öffnung gefordert – Lokalpolitik unterstützt

26.02.2021 | Stand 21.09.2023, 6:03 Uhr

Setzten gestern ein vielköpfiges Signal in Richtung Öffnung: (kniend v. li.) Rufo-Vorsitzender Mike Rupin, Juhasz-Geschäftsleitungsmitglied Ulrich Wassermann und (stehend v. re.) Oberbürgermeister Dr. Christoph Lung, Oliver und Birgit Juhasz, Landrat Bernhard Kern und die Geschäftsführerin der Wirtschaftsservice-GmbH Dr. Anja Friedrich-Hussong, umgeben von der Belegschaft des Modehauses Juhasz. −Foto: Sebastian Meirandres

Die ersten Öffnungen stehen am Montag an. Und wen sucht man auf der Liste vergeblich? Den stationären Einzelhandel fernab der Lebensmittel. Entsprechend frustriert sind Betroffene wie das Modehaus Juhasz in Bad Reichenhall, denen die Perspektive fehlt. Deshalb wollten die Hiesigen nun ein drittes Ausrufezeichen in Richtung München und Berlin setzen. Nach "Wir machen auf_merksam" und "Wir gehen mit_voran" (wir berichteten) war das Motto der bundesweiten Aktion diesmal "Wir stehen auf_Recht".

Die Juhasz-Belegschaft versammelte sich gestern Vormittag vor dem Modehaus mit knallorangen Schildern. Um zu zeigen, wie viele Existenzen am Unternehmen hängen. Und um viele einzelne Signale zu einem starken zu bündeln. In der Fußgängerzone zog die Menschentraube den ein oder anderen Blick auf sich. Und macht auch die Politik auf die schwere Situation aufmerksam, erhoffen sich die Initiatoren. Der Name "Wir stehen auf_Recht" ist Programm: "Wenn unsere Forderungen nicht erfüllt werden, behalten wir uns vor, zu klagen", kündigt Ulrich Wassermann aus der Geschäftsleitung des Modehauses Juhasz rechtliche Schritte an. Man wolle den Druck auf die Politik erhöhen, "um unsere Geschäfte wieder öffnen zu dürfen, spätestens zum 7. März".

Mit Öffnung meinen Wassermann und seine Mitstreiter aber kein "Shopping mit Termin" für Einzelpersonen, wie es in Rheinland-Pfalz ab Montag möglich sein wird. "Das wäre ein unheimlicher Aufwand und der Ertrag würde nicht mal die Kosten decken." Keine Lösung seien auch Click & Collect und eigene Ideen wie Wundertüte (wir berichteten) und Style-Box. "Wir sind immer noch unter 30 Prozent des Umsatzes aus dem Vorjahr", kritisiert Wassermann. Es sei einfach kein Vergleich zu offenen Geschäften. Wassermann verweist auf eine Studie der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW). Diese kommt zu dem Ergebnis, dass sich zwischen Mitte März und Ende Oktober 2020 nur etwa 0,6 Prozent der Beschäftigten im Einzelhandel mit Corona infiziert hätten. Demgegenüber hätten sich im selben Zeitraum etwa 0,8 Prozent der Allgemeinbevölkerung angesteckt. Somit liegt der Studie zufolge der Anteil der erkrankten Angestellten sogar unter dem Mittel der entsprechenden Altersgruppe in der Allgemeinbevölkerung. "Der Einzelhandel ist kein Infektionstreiber", sagt Wassermann.

Das Modehaus Juhasz konnte auch regionale Politiker für die Aktion gewinnen. Man stehe in Kontakt mit Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU). Landrat Bernhard Kern (CSU) und Reichenhalls Oberbürgermeister Dr. Christoph Lung (CSU) ließen es sich gestern nicht nehmen, persönlich beim Pressetermin präsent zu sein, um dem Signal Richtung München und Berlin mehr kommunalpolitische Strahlkraft zu verleihen. "Bisher konnte man sagen: ‚Es ist schwer.‘ Doch jetzt sind Perspektiven für den Einzelhandel nötig", sagt Lung. Vom Wort "Aussterben" der Innenstädte sei er kein Freund, doch der Folgekosten des langen Lockdowns ist sich das Stadtoberhaupt bewusst. Und dass diese steigen, je länger die Zwangspause dauert.

"Fatal ist es unserer Ansicht nach auch, den Handel in anderen Landkreisen bei Erreichen politisch definierter Inzidenzwerte zu öffnen", betont Wassermann. Denn durch die vielen Testungen im Berchtesgadener Land und die Grenznähe sei die Inzidenz höher als andernorts. Würden also Läden nur bei einer Inzidenz von unter 35 geöffnet, wäre das kontraproduktiv: "Das könnte zu Shoppingtourismus führen." Sprich: Wäre das Berchtesgadener Land über der 35er-Marke, Rosenheim und Traunstein aber darunter, "dann fahren die Leute dorthin zum Shoppen".