Bischofswiesen
Abschied von einer Auto-Koryphäe

30.11.2020 | Stand 20.09.2023, 3:56 Uhr

Vor dem Watzmann, im Garten seines Hauses in Stanggaß, wo er sich am wohlsten fühlte: Klaus Langwieder. −Foto: Kilian Pfeiffer

Ob Airbag, Sicherheitsgurt oder Lkw-Unterfahrschutz: Der gebürtige Bischofswieser Professor Dr. Klaus Langwieder gilt branchenweit als einer der bedeutendsten Forscher im Bereich der Fahrzeugsicherheit. Der Träger des Bundesverdienstkreuzes war ein Pionier auf dem Gebiet der Fahrzeugsicherheit in Deutschland und international als Experte in allen Bereichen der Fahrzeugsicherheit anerkannt. Serienmäßige Sicherheitssysteme wie der Gurt, der Airbag, die Nutzung eines Verbundglases als Fensterscheiben im Auto anstelle von normalem Glas oder der Unterfahrschutz bei Lkw sind mittlerweile feste Bestandteile der Fahrzeuge, die aber erst durch seine langjährigen Forschungen als gesetzliche Vorgaben weltweit vorgeschrieben wurden.

Langwieder war zudem Begründer des weltweit wichtigsten Forums zum Austausch neuer Forschungsergebnisse zur Kindersicherheit. Die internationale Konferenz findet jedes Jahr Anfang Dezember in München statt. Dieses Jahr das erste Mal ohne ihn. Er ist am 22. November im Alter von 79 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit gestorben.

Kollegen sahen ihn schon früh als Visionär

Unter Kollegen hatte sich Klaus Langwieder bereits in frühen Jahren einen Ruf als Visionär verschafft. Ein Angebot der Universität von Michigan Ende der 1960er-Jahre schlug der Doktorand aus, kurz vor der Vertragsunterzeichnung und dem Umzug in die Vereinigten Staaten. Es war der Beginn einer steilen Karriere auf heimischem Boden, dort, wo er sich wohl fühlte: Der Berchtesgadener, der im Jahr 1969 beim Aufbau des Allianz-Zentrums für Technik mitgewirkt hatte und drei Jahre später den Aufbau des Instituts für Fahrzeugsicherheit aller deutschen Autoversicherer leitete, galt als Pionier auf seinem Gebiet. Er war maßgeblich am Aufbau der Unfallforschung im Automobilbereich beteiligt.

"Ich hatte das Glück, dass ich auf Basis von realen Unfällen die gesamte sicherheitstechnische Fahrzeugentwicklung von Anfang an begleiten durfte", sagte Langwieder einst in einem Interview mit der Heimatzeitung. Seiner Arbeit widmete er deshalb einen Großteil seines Lebens. Langwieder galt als Netzwerker, der unterschiedliche Menschen aus allen Bereichen an einen Tisch brachte, sowohl im beruflichen als auch im privaten Leben. Dabei ließ er auch immer wieder eine gehörige Portion Humor einfließen, heißt es aus seinem Umfeld. Der zweifache Vater konnte mit den Stanggaßer Weihnachtsschützen, denen er angehörte, ebenso am Stammtisch feiern wie mit Vertretern auf EU-Ebene an Gesetzestexten feilen.

Klaus Langwieder stieß, neu in der Branche, mit einer im Jahr 1973 veröffentlichten Publikation auf großen Widerstand in der Glasindustrie. Er forderte das Verbot von Einscheibenglas bei Windschutzscheiben. "Die furchtbaren Bilder von Totalerblindungen beim Durchstoßen der Windschutzscheiben werde ich nie vergessen", erzählte er im Gespräch vor einigen Jahren. Es sollten nicht die einzigen Widerstände sein, auf die er im Laufe seines Berufslebens stieß.

Ausgezeichnet mit dem Bundesverdienstkreuz

An Erfolgsgeschichten mangelte es ihm dennoch nicht: Der Unfallforscher war wesentlich an der Entwicklung von Sicherheitsgurt, Airbag und Elektronischem Stabilitätsprogramm (ESP) beteiligt. Umstritten war zunächst der Lkw-Frontunterfahrschutz, der international als nicht realisierbar galt. Die Umsetzbarkeit wurde nachgewiesen – durch die von Langwieder initiierten Crash-Tests und mit Hilfe der Unterstützung einer bekannten deutschen Fahrzeugmarke. Heute ist der Lkw-Frontunterfahrschutz weltweiter Standard.

Mehrere bedeutende Auszeichnungen schmücken das Lebenswerk des Berchtesgadeners. Das Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland ist ebenso darunter wie der Goldene Dieselring, der seit 1955 jährlich vom Verband der Motorjournalisten an Personen verliehen wird, die sich besondere Verdienste in Sachen Verkehrssicherheit erworben haben. Ein Kriterium für die Verleihung: Die Weiterentwicklung der Kindersicherheitssysteme seit den 1980er-Jahren. "Die Verleihung ist eine große Ehre und gleichzeitig Verpflichtung, die Berufserfahrung weiterzugeben und fortzusetzen", so fasste Langwieder die Auszeichnungen bei einem Gespräch in seinem Elternhaus in Bischofswiesen/Stanggaß einmal zusammen.

Der Unfallforscher, der sich als Präsident der Fahrlehrerakademie für die Ausbildung der Fahranfänger einsetzte und auf dessen Vorarbeit die Einführung des zwei Stufenführerscheines mit begleitetem Fahren zurückzuführen ist, reiste zeit seines Lebens viel durch die Welt, nahm an internationalen Tagungen teil. Dreh- und Angelpunkt für ihn war immer München.

Das Zuhause seines Herzens blieb aber der Berchtesgadener Talkessel, wo er seine Jugend und auch später noch viel Zeit verbracht hat. Dort, wo er mit seinen Kindern zum Skifahren ging, den Spinnergraben am Jenner herunter jagte oder hoch auf den Gipfel des Hohen Gölls stieg. Langwieder war begeisterter Rodler. Mit dem Rennrodel, den er sich gekauft hatte, fuhr er jedes Jahr auf den langen Forstwegen an Kühroint oder der Kehlsteinstraße mit großer Begeisterung, wie seine Familie sagt. Gemeinsam mit den Kindern lieferte er sich immer wieder Rennen, die auch mal im Graben endeten.

"Familienurlaube waren ihm heilig", sagen seine Kinder Julia und Clemens. Den ersten Tag der freien Zeit widmete Klaus Langwieder meist einem ausgiebigen Schlaf, um den Kopf freizukriegen, die Arbeit hinter sich zu lassen. Feiertage wurden stets mit der Familie zelebriert, mit seinen vier Enkeln Zeit zu verbringen, war ihm sehr wichtig. "Er war durch und durch heimatverbunden", sagt seine Frau. "Für mich bedeutet Berchtesgaden eine herrliche Natur, viele kulturelle Angebote und natürlich die Pflege des traditionellen Brauchtums", sagte Klaus Langwieder in einem Interview, angesprochen auf seine Heimat. Wenn es die Zeit zuließ, unterstützte er aktiv die Stanggaßer Weihnachtsschützen und die Gebirgsschützen Traunstein.

Kleine und große Reparaturen zuhause ging er immer mit besonderer Kreativität an – "und mit jeder Menge Tesafilm", fügt Tochter Julia schmunzelnd hinzu.

Musik war seine zweite große Leidenschaft

Seiner zweiten großen Leidenschaft, der Musik, widmete er die wenige freie Zeit. Neben der Klassik, Opern, Symphonien und Konzerten war es die traditionelle Volksmusik, der er besondere Beachtung schenkte. "Wenn er nicht Sicherheitsexperte geworden wäre, wäre er Dirigent geworden", sind sich seine Kinder sicher.

Die Kindersicherheitskonferenz in München leitete Klaus Langwieder, obwohl er sich seit Jahren im Ruhestand befand – und trotz fortgeschrittenen Alters – bis zuletzt. "Das war ihm immer ein Herzensanliegen", sagt seine Frau. Noch bis Anfang November arbeitete er rund um das Haus und erledigte seine Arbeiten wie gewohnt in der ihm üblichen Sorgfalt. Unerwartet starb er wenig später, nach kurzer schwerer Krankheit.