Eulenspiegel-Open-Air
Wie Hubert von Goisern den Passauer Domplatz gewinnt

18.07.2022 | Stand 22.09.2023, 1:41 Uhr

Rund 1500 Besucher lauschen nach Veranstalterangaben Hubert von Goisern und seiner Band auf dem Passauer Domplatz. Sie müssen sich auf einen ungewohnten Abend einlassen. −Foto: Raimund Meisenberger

Jetzt aber brennt der Hut auf dem Passauer Domplatz. Kurz vor 22 Uhr springen rund 1500 Konzertbesucher auf, tanzen und klatschen und schreien: "Aber hoazen toan ma Woazen und de Ruabn und den Kukuruz. Wann ma lang so weiter hoazen, brennt da Huat!". Mit dem elf Jahre alten taufrischen Lied "Brenna tuats guat" steigt Hubert von Goisern, der am 17. November 70 wird, bei Till Hofmanns Eulenspiegel-Open-Air ins Finale ein.

In den letzten 30 Minuten spendiert er den langjährigen Fans genau den Sound und die Emotionen, auf die sie gehofft hatten: Jodler, arabische Sphärenklänge, "Weit, weit weg" und "Heast as ned", dieses Lied für die Ewigkeit. "Die Jungen san alt wordn und die Altn san g’storbn. Duliei, Jodleiridldudieiouri" – vorm Dom in der Nacht, dem größten Atheisten würde da andächtig zumute. "Das geht durch und durch", sagt eine Besucherin zur andern. So ist es. Und doch ist es nicht selbstverständlich, dass der Abend so innig für alle enden würde.

Denn den g’spürigen Weltmusiker und noch viel mehr den Alpenrocker verweigert der in Bad Goisern geborene Musiker in den ersten zwei Stunden seines Passauer Open Airs so konsequent, dass viele sichtlich und hörbar fremdeln mit ihrem Liebling aus abgelebten Zeiten, der vor 30 Jahren so lustig das "Hiatamadl" gesungen, dann Rock, Filmmusik, Asien, Afrika und die eigene Volksmusik tief erkundet hat, der 2007 bis 2009 vom Schiff aus von Rotterdam bis zum Schwarzen Meer Konzerte spielte und den man heute vermutlich würgen müsste, damit er einmal noch über "dicke Wadeln" singt.

All das ist vorbei. Von 20 bis 22 Uhr steht am Samstagabend auf der Bühne vorm weißen Dom die völlig losgelöste, auch von den eigenen Traditionen freie Künstlerpersönlichkeit Hubert von Goisern – ein respektgebietender Sänger, Trompeten-, Gitarren-, Ziach- und Flötenspieler, dem man nicht vorwerfen kann, er würde es sich künstlerisch einfach machen.

Zwei Stunden lang präsentiert der den Leuten – verbunden mit der kleinen Vorwarnung, dass sie doch hoffentlich auch das Kleingedruckte gelesen haben – im unscheinbar grauen T-Shirt all das, was ihn umtreibt und interessiert. Was die Texte betrifft, sind das auf dem 2019/2020 produzierten Album "Zeiten & Zeichen", das den Abend prägt, zum Beispiel der nur 1km/h langsam schwimmende Grönlandhai und die Klimaapokalypse ("Sünder"), Veganismus ("Eiweiß") und Nazis ("Brauner Reiter"), die Gemeinschaft ("A Tag wie heut") und das Schicksal des Fritz Löhner-Beda, der für Franz Lehár die Texte der Operettenerfolge "Friederike", "Das Land des Lächelns", "Schön ist die Welt" und "Giuditta" schrieb, eher er als Jude deportiert und in einer Chemiefabrik in Auschwitz erschlagen wurde, nachdem ein Inspektionstrupp sein Arbeitstempo kritisiert hatte ("Freunde ... das Leben ist lebenswert). Nichts kann weiter entfernt sein vom "Madl aus da Stodt" oder vom Juchizer und Jodler, den Goisern beherrscht und traumwandlerisch organisch mit allen denkbaren Stilen kreuzt.

Was die Musik betrifft, interessiert Hubert von Goisern heute offensichtlich am meisten Pop und Rock, E-Gitarren und Rap. Das Regional-Alpen-Ethno-Thema – und Großteils auch den Dialekt – hat er wohl fürs Erste durch. Der "Braune Reiter" ist harter Indie-Rock mit Rammstein-Pathos, die Moritat des jüdischen Librettisten trägt Goisern im Sprechgesang vor.

Goiserns Band ist jung und hart und laut und exzellent besetzt mit Drums (Alex Pohn), Bass (Helmut Schartlmüller), E-Gitarren (Severin Trogbacher), Keyboards (Alessandro Trebo), hier und da ergänzt mit Backgroundgesang, Xylofon, Percussion (Maria Mohling, bekannt auch von der Gruppe Ganes), Bratsche, Ukulele, Trompete, Mundharmonika und Ziach.

Nicht jede Komposition zündet, und aus Zuhörerperspektive darf man fragen: Wenn ich Rap oder Indie hören will, gehe ich zur Rap- oder Indieband – oder zu Goisern? Der freilich kann fragen: Wollt ihr nur befriedigt werden, oder gebt ihr dem Künstler die Freiheit, das zu tun, wozu es ihn drängt? Dass über zwei Stunden der Applaus eher respektvoll und weit weniger ekstatisch ist als etwa 2007 beim Schiffskonzert vorm Rathaus, das nimmt Goisern stoisch hin, es ist sein gutes Recht und Risiko als Künstler. Wie er es in den letzten 30 Minuten klug schafft, dass alle zufrieden und versöhnt und viele glückselig heimgehen – das ist ganz große Bühnenkunst. Man darf sich verneigen vor diesem Mann.

Raimund Meisenberger

Hubert von Goisern spielt auf dem Kapellplatz in Altötting am Freitag, 26. August, um 20 Uhr, Info und Karten auf cofo.de