PNP-Spendenaktion
Was die Redakteure am meisten berührt hat: "Ich muss leben"

23.12.2021 | Stand 20.09.2023, 3:20 Uhr
Philipp Hedemann

Hunger hat ein Gesicht: Die alleinerziehende junge Mutter Mercy mit ihrem schwer kranken Sohn Joseph (16 Monate). −Foto: Hedemann

Ich habe vier Jahre als Afrika-Korrespondent in Äthiopien gelebt und berichte noch heute regelmäßig aus Entwicklungsländern und Krisenregionen. Oft habe ich dort hungernde Babys und Kinder mit ihren vor Angst kranken Müttern getroffen.

Ich habe selbst drei Kinder. Sie sind ein, vier und sieben Jahre alt. Seitdem ich Vater bin, fällt es mir noch schwerer, mit Eltern über ihre verzweifelte Hilflosigkeit zu sprechen, wenn ihre Kinder hungern und sie nicht wissen, ob ihre Töchter und Söhne überleben werden. Ich hatte mich auf ein trauriges Gespräch eingestellt, als ich das Bezirkskrankenhaus von Garissa betrat, um mit der Mutter eines schwer unterernährten Kindes zu sprechen.

Dann traf ich Mercy. Ihr ausgemergelter Sohn Joseph hatte das Gesicht eines Erwachsenen und weinte. Vor Schmerzen, so vermutete ich. Stift und Block helfen mir in solchen Situationen oft, eine Art emotionalen Schutzwall zwischen mir und der Geschichte, die ich gerade versuche zu verstehen, aufzubauen. Sie ermöglicht es mir, in der Situation zu funktionieren und die hoffentlich richtigen Fragen zu stellen ohne die notwendige Empathie zu verlieren. Oft fühlt es sich dennoch irgendwie falsch an, diese Menschen in Not überhaupt etwas zu fragen. So war es auch bei Mercy.

Mercy und Joseph sind HIV-positiv

Doch Mercy machte es mir einfach. Ohne, dass ich danach gefragt hatte, sagte sie: "Seit ein paar Tagen weiß ich, dass Joseph und ich HIV-positiv sind." Mich erwischte die Information völlig unerwartet, und ich wusste zunächst nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Doch da sagte Mercy bereits: "Ich weiß, dass man heute mit den richtigen Medikamenten gut und lange leben kann."

Dass die Diagnose "HIV-positiv" heutzutage auch in Afrika keinem Todesurteil mehr gleichkommt, weiß ich selbst von zahlreichen Recherchen. Und so wie Mercy über ihre Zukunft sprach, klang es nicht nach verzweifeltem Zwangsoptimismus, sondern nach einem echten, starken Lebenswillen, den auch der frühe Tod ihrer Eltern, die Sorgen um ihre Kinder und die vielen Schwierigkeiten, in die sie in den 28 Jahren ihres Lebens bereits geraten war, nicht brechen konnten. Ihr unerschütterlicher Glaube schenkt ihr immer wieder Hoffnung und Zuversicht.

Und dann sagte Mercy noch drei Sätze, die ich nie vergessen werde. "Ich habe vier Kinder. Sie haben nur mich. Ich muss leben."

Philipp Hedemann (42) hat in Passau studiert und als Stipendiat der PNP-Stiftung bei der Passauer Neuen Presse volontiert. Er lebt als freier Journalist in Berlin und berichtet oft aus Schwellen- und Entwicklungsländern.