Waging am See
Unternehmerin mit Weitblick und Herz – Charlotte Steffel (95) verstorben

16.10.2020 | Stand 19.09.2023, 23:12 Uhr

Mit feinem Gespür hielt Charlotte Steffel die Fäden ihres Unternehmens in der Hand. −F: privat

Über 40 Jahre lang führte Charlotte Steffel die Geschicke der Privatkäserei Bergader. Mit großem Einsatz und viel Fingerspitzengefühl gelang es ihr, das Unternehmen Bergader aus der Nachkriegszeit herauszuführen und zu einem international erfolgreichen Mittelständler weiterzuentwickeln. Für ihr herausragendes unternehmerisches Engagement erhielt sie 1982 den bayerischen Verdienstorden. Am 12. Oktober 2020 verstarb Charlotte Steffel im Alter von 95 Jahren.
Als Charlotte Weixler im Jahr 1945 nach dem überraschenden Tod ihres Vaters Basil Weixler die Führung des Unternehmens übernahm, war sie gerade 20 Jahre alt. Eigentlich war sie als Tochter nicht für die Unternehmensnachfolge vorgesehen. Als junge Frau, nicht volljährig und unverheiratet, stand sie in der männlich geprägten Geschäftswelt vor großen Herausforderungen. Doch Charlotte Steffel wuchs schnell in ihre neue Rolle als Unternehmenschefin hinein.

Erfolgreich im In- und Ausland

Zusammen mit ihrem Mann Waldemar Steffel, den sie 1946 heiratete, schaffte Charlotte Steffel es, Bergader im hart umkämpften Käsemarkt zu einem angesehenen Spezialisten weiterzuentwickeln. Die konsequente Fortführung eines Spezialitätenkonzepts, unternehmerischer Weitblick und moderne Marktmethoden schufen die Grundlage für den Erfolg im Heimatmarkt und zunehmend auch im Export. Mitte der 1970er-Jahre exportierte das Unternehmen Käsespezialitäten aus Waging in 30 Länder weltweit.
Der Erfolg im In- und Ausland lag nicht zuletzt am Erfindergeist im Unternehmen. In den 1960er- und 70er-Jahren entwickelte sich Bergader unter der Leitung von Charlotte und Waldemar Steffel mit mehreren Produktneuheiten zum Innovator in der Käsebedienungstheke. Einen Höhepunkt stellte 1972 die Käseneuschöpfung Bavaria blu dar, dem ersten Schimmelkäse mit Blau- und Weißschimmel. Bergader erhielt für diese einzigartige Käsekreation im Jahr 1979 den "Goldenen Zuckerhut", der auch als Oscar der Lebensmittelbranche bezeichnet wird.
Mit feinem Gespür hielt Charlotte Steffel die Fäden ihres Unternehmens in der Hand. Ihre Stärken lagen immer im Zwischenmenschlichen. Nicht selten wurden aus geschäftlichen Beziehungen jahrzehntelange familiäre Freundschaften. Den Landwirten als Milchlieferanten begegnete sie stets mit hoher Wertschätzung für ihre Arbeit. Die Unternehmerin war sich auch immer bewusst, dass der Erfolg ihrer Käserei nur mit engagierten und zufriedenen Mitarbeitern gelingen konnte. Der selbstlose, beispielhafte Einsatz für die Belegschaft sowie deren optimale soziale Absicherung lag ihr besonders am Herzen. So führte Charlotte Steffel 1974 erstmals eine betriebliche Altersversorgung ein und unterstützte die Umsetzung des kooperativen Führungsstils, der bei den Mitarbeitern gezielt selbstständiges Denken, Handeln und Entscheiden fördern sollte. Außerdem führte sie fort, was schon immer fester Bestandteil bei Bergader war: eine tägliche warme Mahlzeit für ihre Mitarbeiter.

Regelmäßige Rundgänge im Betrieb

Die erfolgreiche Fortentwicklung des Unternehmens sah Charlotte Steffel immer als ihre Lebensaufgabe. Noch bis vor kurzem ließ sie es sich nicht nehmen, regelmäßig einen Rundgang durch das Unternehmen zu machen oder dem Rentnerstammtisch der ehemaligen Bergader-Mitarbeiter einen Besuch abzustatten. Bei den Beschäftigten war sie bis zuletzt mit ihrer fröhlichen und charmanten Art ein gern gesehener Gast. Um das Fortbestehen des Familienunternehmens mit seinen inzwischen 670 Mitarbeitern musste sie sich zu Lebzeiten keine Sorgen machen. Ihre Tochter Beatrice Kress, die seit mehreren Jahrzehnten die Geschicke von Bergader leitet, wird den Stab demnächst an ihren Sohn Felix Kress übergeben.