PNP-Spendenaktion
Tierärztin aus dem Landkreis Passau forschte selbst im Norden Kenias

22.12.2021 | Stand 12.10.2023, 10:16 Uhr

Auch die Begegnung mit Nilkrokodilen zählt zu den Abenteuern, die Dr. Sigrid Krieger 1969 am Turkana-See im Norden Kenias erlebte. Die Erinnerungen an diese Zeit sind bis heute sehr lebendig. −Foto: Fischl

Aufmerksam verfolgt Dr. Sigrid Krieger die Artikel im Rahmen der Weihnachtsaktion. Denn die Tierärztin aus dem Landkreis Passau forschte vor mehr als 50 Jahren selbst im Norden Kenias beim Stamm der Turkana.

Die Dürre-Bilder von verwesten Tieren und der Not der Nomadenstämme in Kenia berühren Dr. Sigrid Krieger (80) nicht nur aus fachlichem Interesse. Für die pensionierte Tierärztin aus dem Landkreis Passau sind die Berichte im Rahmen der PNP-Weihnachtsaktion zugunsten von Kindern in Kenia auch wie eine Zeitreise in die eigene Vergangenheit. Denn sie forschte im Frühjahr 1969 mit dem Tropeninstitut München im Norden Kenias beim Stamm der Turkana. Erinnerungen an diese Zeit sind bis heute lebendig – an die extrem harten Lebensbedingungen in der Halbwüste, mächtige Nilkrokodile und "La Montanara" auf einem Grammophon, aber vor allem an die Turkana selbst.

"Ich finde es sehr dramatisch, dass durch den Klimawandel das natürliche Dasein dieser Stämme nicht mehr möglich ist. Die Zivilisation ist nicht mehr aufzuhalten. Sie sind heute mehr denn je auf unsere Hilfe angewiesen", sagt die Tierärztin. Für die Deutsche Forschungsgesellschaft ging die Veterinärin, die auch Tropenmedizin studierte, 1969 an den Turkana-See (früher Rudolfsee) im Norden Kenias. Ihr Auftrag: Blutparasiten bei afrikanischen Haustieren erforschen. Das ostafrikanische Land war seit 1963 unabhängig von Großbritannien. Nomadenstämme siedelten im Norden und Westen des Sees. Der britische Regierungsbeamte Bob McConell sollte ihnen beibringen, wie man den Fischfang kommerzialisiert, und lebte seit fünf Jahren bei den Turkana in der Nähe der Kalokol-Siedlung an der Westseite des Sees. Der Brite beriet das deutsche Forscherteam. Einmal bescherte er ihnen mit "La Montanara", der Hymne an die Berge, auch musikalische Heimatgefühle mitten in der Wüstenödnis.

Leiden unter schwerer Dürre

Der Norden und der Osten Kenias leiden aktuell unter einer schweren Dürre. Die Temperaturen steigen auch in der Turkana-Region oft über 40 Grad, nachts kühlt es selten auf unter 30 Grad ab, die maximale jährliche Niederschlagsmenge liegt bei 77 Millimeter. "Damals war es schon eine extrem trockene Gegend", erinnert sich Sigrid Krieger. "Der See gilt als größter Wüstensee der Welt. Das Wasser ist sehr salzig, nur die Kamele tranken aus dem See." Die Turkana, ein Hirtenvolk, das vor 200 Jahren aus dem Sudan zuwanderte, lebte von und mit seinen Rindern und betrieb am See Fischfang. "Allerdings fischten die Turkana nur, was sie brauchten. Ihre Rinder waren ihnen heilig", erklärt Krieger. Deshalb sei es für sie und ihre Kollegen schwer gewesen, an Forschungsobjekte zu kommen. "Eigentlich hätten wir 30 Rinder benötigt, am Ende hatten wir nur fünf, 30 Ziegen und ein Kamel. Die Turkana haben uns genau beobachtet, was wir da machten", erinnert sich die Tierärztin lachend an die Szene, als sie narkotisierte Ziegen auf einem aufgebockten alten Autoreifen operieren musste, weil nichts anderes zur Hand war.

"Was mich nachhaltig beschäftigt hat, war die hohe Kindersterblichkeit innerhalb des Stammes. Diese lag nach glaubhaften Aussagen von McConell damals bei 80 Prozent. Die Turkana lebten sehr eng mit ihren Hunden, die als Windelersatz dienten und sogar die Pos der Kinder sauber leckten. Wegen des engen Kontakts mit den Hunden war der Hundebandwurm bei Kindern und Frauen sehr verbreitet. Dies erkannte man manchmal bei den Befallenen an den durch Zysten verursachten Vorwölbungen der Bäuche. Es war nicht ungewöhnlich, dass eine Turkana-Frau gleichzeitig Kind und Hund säugte oder ein Kind bei einer säugenden Hündin andockte", erzählt Sigrid Krieger. Trinkwasser war sehr rar. "Die Frauen mussten schon damals vier, fünf Kilometer bis zum nächsten Wasserloch zurücklegen." Bei Krankheiten wurde erst der Medizinmann aufgesucht, bevor man sich an eine Missionsstation wandte. Der Flying Doctor kam nur einmal im Monat.

Krieger: Viele Probleme von Industriegesellschaft gemacht

"Heute haben auch die Turkana Zugang zu Medizin und Bildung", sagt Sigrid Krieger. "Doch viele Probleme sind auch von unserer Industriegesellschaft gemacht", findet die Tierärztin. Der Zulauf zum See sei fast versiegt, weil ein riesiger Staudamm auf äthiopischer Seite, der dort das Land bewässere, den Turkana das Wasser wegnehme. "Auf diese Weise wird den indigenen Stämmen ihre Lebensgrundlage entzogen", ärgert sich Sigrid Krieger. "Natürlich kann man den Fortschritt nicht verhindern, aber wir haben gesehen, dass die Menschen damals relativ zufrieden gelebt haben und zurecht gekommen sind – vorausgesetzt es gab genügend Wasser und keine Hungersnot."

Der Klimawandel und die wirtschaftlichen Interessen zerstörten die Lebensweisen der Stämme in Ostafrika. Deshalb ist auch Sigrid Krieger von vernünftiger Entwicklungshilfe überzeugt. "Die Menschen dort brauchen gute Ansätze und Anleitung, wie sie ihr Leben neu gestalten können. Bildung ist wichtig, Geld alleine hilft nicht."