Deggendorf
Theater für die Jugend: Unterhaltsam und anspruchsvoll

28.06.2021 | Stand 21.09.2023, 1:21 Uhr
Sabine Rehm-Deutinger

So groß war die Besetzung auf der Bühne nur bei "Der Verschwender": Acht Schauspieler zogen die Zuschauer in ihren Bann. −Foto: Rehm-Deutinger

Premiere für Deggendorf: Erstmals gastierte das "Theater für die Jugend" auf seiner Tournee 2021 in der Donaustadt. In insgesamt sechs Vorstellungen spielte das Ensemble am Freitag, Samstag und Sonntag am Oberen Stadtplatz (DZ berichtete), im Donaupark und im Elisabethenheim auf seiner neuen rollenden Bühne "Die Heinzelmännchen", "Momo-Margarita" und "Der Verschwender".

Etwas enttäuscht zeigte sich Mario Eick, Autor, Regisseur und Darsteller, von der überschaubaren Anzahl von 20 bis 30 Zuschauern, die sich auf den Stühlen vor der Bühne einfanden. Andernorts sei sein Ensemble bereits so bekannt und geschätzt, dass es bei jeder Tour um die 100 Besucher anziehe. In Deggendorf müsse das Theater für die Jugend wohl erst einmal Fuß fassen und ein Stammpublikum aufbauen.

Die ersten Schritte in diese Richtung sind jedenfalls getan: Das Publikum war begeistert von den Darbietungen, die anwesenden Kinder geradezu hingerissen, und zahlreiche Vorbeikommende konnten sich dem Bann des Theaters ebenfalls nicht entziehen und blieben fasziniert stehen oder suchten sich einen Sitzplatz etwas abseits. Die leuchtenden Augen, das Lachen, Staunen und auch manches nachdenkliche Gesicht im Publikum seien die Motivation für ihn und seine Truppe, so Eick, von Burghausen aus durch Süddeutschland und Oberösterreich zu touren und Straßentheater für Jedermann zu spielen.

Am Samstag gastierte das Theater im Donaupark. Bei herrlichem Wetter konnten die Zuschauer vor eindrucksvoller Kulisse im Schatten der Bäume Platz nehmen: vor ihnen die hölzerne Bühne, daneben die Skulptur des Fliegenden Schiffs von Andreas Sobeck, im Hintergrund die träge dahinfließende Donau, untermalt von fröhlichem Stimmengewirr der flanierenden Leute auf der Donaupromenade. Die Margariten, die eine wichtige Rolle in "Momo-Margarita" spielen, passten trefflich zum sommerlichen Ambiente im Donaupark.

Freilich würde es zu kurz greifen, diese "magische Straßenkomödie" auf solch ein sommerliches Motiv zu reduzieren. Mario Eick verwendet hier Motive von Michael Endes 1973 erschienenem Roman "Momo" und ruft sein junges wie erwachsenes Publikum dazu auf, mit der Zeit bewusst umzugehen und für die wahrhaft wichtigen Dinge im Leben wie Liebe und Freundschaft zu verwenden.

Mario Eick gelingt es hervorragend, die komplexe Thematik in nur etwa 40 Minuten und mit nur drei Schauspielerinnen zu vermitteln. Elsa Muhr stellte Margarita, das Blumenkind, dar, das in den Fluss Oromongo fällt, wodurch einige Vokale aus ihrem Namen fortgewaschen werden. Da ihr Name nun unaussprechlich geworden ist, nennt sie sich von da an Momo.

Aufforderung: Tut es Momo gleich

Sie macht sich auf den Weg in die Menschenwelt – die Reise symbolisiert durch einen riesigen Koffer, in den sie steigt – und trifft dort Beppina und Gaga, mit denen sie Freundschaft schließt. Der zarten Momo gelingt es nun nicht nur, ihren Namen wiederzufinden. Mit Hilfe der Uhr Cassiopeia, die ihr der Uhrmacher Meister Hora gibt (bei Michael Ende gibt es die Schildkröte des Meister Hora gleichen Namens), gelingt es ihr zudem, den Bann der grauen Herren, die alle Farben, alle Freude und auch die Zeit aus dem Leben der Menschen stehlen, zu brechen.

So kann sie ihre Freundin Gaga, die zwischenzeitlich zu Mitarbeiter Nr. 1825 der Zeitbank geworden ist, retten und auch die Nr. 1, Herrn Sigismund, erlösen. Lebensfreude, Freundschaft, Familienzusammenhalt und Liebe werden durch den Einsatz von Margarita wieder möglich – das Publikum wird aufgefordert, es ihr gleichzutun.

Geschickt werden mit der Bühnengestaltung Kerstin Straubingers und der Ausstattung von Simone Sommer die inhaltlichen Komponenten in Szene gesetzt: minimale, konzentriert eingesetzte Mittel bei Lautsprechereinspielungen, Bühnenbild und Kostümen verdeutlichen die Handlung und unterstreichen die Darstellung der drei Schauspielerinnen. Beeindruckend dabei war das Spiel von Anna März als Gaga und Mitarbeiter 1825, geradezu brillant die Darstellung der verschiedenen Rollen durch Susan Hecker als Beppina, Meister Hora, Herr Sigismund und Büttenredner zu Beginn und Ende des Stücks. Typisch für das Straßentheater suchten die drei Darstellerinnen in "Momo-Margarita" immer wieder die Interaktion mit dem Publikum, sei es durch Blicke, durch direkte Ansprache oder Betreten des Zuschauerraumes.

Dieses Stilmittel zog auch in der Abendvorstellung von "Der Verschwender" das Publikum in seinen Bann. Anders als am Nachmittag stand ein achtköpfiges Ensemble, oft gleichzeitig, auf der Bühne. "Der Verschwender" basiert auf der gleichnamigen, 1834 uraufgeführten, als Zaubermärchen deklarierten Komödie des österreichischen Dramatikers Ferdinand Raimund. Mario Eick hat das Stück umgeschrieben in eine musikalische Straßenkomödie, deren Inszenierung Straußenschauspiel und komische Oper zugleich ist.

Und so fühlte sich das Publikum im Donaupark mit der rollenden Bühne, den fantasiereichen Kostümen, den ausladenden Gesten und dem bestimmenden Gesang der Darsteller erinnert an eine Barockinszenierung. Ganz bewusst wurde die Epoche der Barock hier zitiert, in der das eigene Leben genossen und gefeiert wurde, während man sich über dessen Vergänglichkeit bewusst war. Verschwendung, Prunksucht und Repräsentation galten im 17. und 18. Jahrhundert durchaus als Tugend – im Gegensatz zu heute. Und so gibt auch "Der Verschwender" dem Publikum so manchen Denkanstoß. Zentrale Figur ist der Millionenerbe Flottwell, dargestellt von Oliver Vilzmann, der sein Vermögen mit vollen Händen unter die Leute bringt, dabei oberflächliche Freundschaften pflegt, ausgenutzt wird und letztendlich sein Vermögen verliert.

Gesellschaftskritische kleine Oper

Erst dadurch gewinnt er am Ende seine Freiheit und die Gewissheit wahrer Werte wie Liebe und Freundschaft. Flottwells Berater Wolf, gespielt von Mario Eick, lässt horrende Summen in seine eigene Tasche verschwinden, findet jedoch nicht sein persönliches Glück. Dieses scheinen zumindest die Diener Rosa (Anna März) und Valentin (Werner Schwarz) bei allen Beziehungsproblemen trotz Armut gefunden zu haben. Flottwells Angebetete ist Cheristane (Simone Sommer), die Königin aus dem Feenreich von Mode, Film und Jetset, die auffallend still und unnahbar wirkt. Als Vermittlerin bei der Verlobung und guter Geist für Flottwell, der ihn auf den rechten Weg bugsiert, agiert Violetta (Anna Grude). Eine tragende Rolle in Erzählung und musikalischer Begleitung übernehmen Madame Dumont (Antje Hobucher) und Azur (Claudia Roick).

Gemeinsam mit dem musikalischen Leiter Oliver Vilzmann hat das Ensemble als "Das Kollektiv" für das Stück zwölf Musikstücke erschaffen und brilliert bei der Darbietung dieser "Gassenhauer". Eine gesellschaftskritische kleine Oper in ausgezeichneter Inszenierung war da den Deggendorfern geboten. "Zwei-, ja dreibödig" seien seine Texte, so Mario Eick, und der aufmerksame Zuschauer werde die verschiedenen Bedeutungsebenen auch erkennen.

Das Theater für die Jugend zeigte sich in seinen Vorstellungen unterhaltsam, anspruchsvoll und in Darstellung und Inszenierung ideenreich und professionell.