Regierungskrise
Rücktritt von Kurz rettet die Koalition in Österreich

10.10.2021 | Stand 20.09.2023, 21:54 Uhr
Sebastian Kurz hat am Samstagabend seinen Rücktritt als Bundeskanzler erklärt, bleibt jedoch in wichtigen politischen Ämtern. −Foto: Foto: Georges Schneider/XinHua/dpa

Der Rücktritt von Sebastian Kurz vom Amt des Bundeskanzlers hat den Weg für die Fortsetzung der Koalition aus konservativer ÖVP und Grünen in Österreich freigemacht.

Es gehe jetzt darum, mit dem designierten Kanzler Alexander Schallenberg in der Koalition ein "neues gemeinsames Kapitel" aufzuschlagen, sagte Grünen-Chef und Vize-Kanzler Werner Kogler. Das jüngste Treffen mit dem 52-jährigen Spitzendiplomaten stimme ihn sehr zuversichtlich. Der bisherige Außenminister soll laut Präsidentschaftskanzlei am Montag (13.00 Uhr) als neuer Kanzler Österreichs vereidigt werden. Ihn erwarte eine "enorm herausfordernde Aufgabe", sagte Schallenberg am Sonntag.

Der unter Korruptionsverdacht stehende Kurz war am Samstagabend auch nach wachsendem innerparteilichem Druck zurückgetreten. Die Grünen ihrerseits hatten deutlich signalisiert, dass sie den 35-Jährigen bei dem am Dienstag im Parlament geplanten Misstrauensvotum zusammen mit der Opposition stürzen würden. Es wäre das zweite erfolgreiche Misstrauensvotum gegen Kurz seit der Ibiza-Affäre 2019 gewesen.

Siebenminütige Unschuldsbeteuerung

In einer siebenminütigen Rede betonte der Kanzler am Samstag erneut seine Unschuld. Er gebe sein Amt aber aus Verantwortung für das Land ab. Es drohe nach einem Ende der ÖVP-Grünen-Koalition das Chaos einer Vier-Parteien-Zusammenarbeit von Grünen, SPÖ, liberalen Neos und rechter FPÖ. Die mächtigen Länderchefs der ÖVP begrüßten den Schritt. Auch die Industrie zeigte sich zufrieden. Es sei wichtig, das Ansehen Österreichs in der Welt und das internationale Vertrauen in den Standort zu wahren, so die Industriellenvereinigung.

Kurz selbst wechselt vom Kanzleramt ins Parlament auf den Sitz des Fraktionschefs der ÖVP. Außerdem bleibt er Parteivorsitzender. Die Opposition kritisierte diesen Schritt. Damit sei der 35-Jährige weiterhin eine äußerst einflussreiche politische Figur und das "System Kurz" bleibe erhalten, sagte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Die Chefin der liberalen Neos, Beate Meinl-Reisinger, meinte, dass Kurz alle Fäden in der Hand behalten werde.

Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen forderte nach Überwindung der Regierungskrise ÖVP und Grüne auf, nun konzentriert und sachlich zu arbeiten. Es gelte, wechselseitiges Vertrauen wieder herzustellen, sagte Van der Bellen am Sonntagabend. Der künftige Kanzler und der Vize-Kanzler hätten ihm versichert, dass es ein tragfähiges Fundament für eine weitere Zusammenarbeit gebe. "Beide stehen damit im Wort", mahnte das Staatsoberhaupt. "Ich erwarte mir jetzt eine Phase der fokussierten Arbeit."

Van der Bellen entschuldigte sich bei den Bürgern für die Respektlosigkeit, die die bekannt gewordenen Chats gezeigt hätten. Das Vertrauen in die Politik sei erneut massiv erschüttert worden. "Worte allein genügen hier nicht", sagte das Staatsoberhaupt und forderte die politischen Akteure und vor allem der Regierung auf, durch Taten zu überzeugen.

Schallenberg vertritt harten Kurs bei Migration

Schallenberg ist seit Jahren in Spitzenfunktionen für die Außenpolitik Österreichs mitverantwortlich. Der mehrsprachige, international erfahrene Diplomat vertritt in Fragen der Migration einen genauso harten Kurs wie Kurz.

Die Regierungskrise wurde durch Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ausgelöst. Enge Mitstreiter des Kanzlers stehen im Verdacht, wohlmeinende Berichterstattung in einem Medienunternehmen erkauft zu haben, um Kurz ab 2016 den Weg an die Parteispitze und in das Bundeskanzleramt zu ebnen. Auch Kurz wird als Beschuldigter geführt.

Die Grünen hatten in den vergangenen Tagen bereits mit Oppositionsparteien Gespräche über eine Mehrparteienregierung ohne ÖVP geführt - für den Fall, dass der Kanzler nicht zurücktritt.

Die Opposition will die neuen Korruptionsvorwürfe gegen Kurz in einem Untersuchungsausschuss aufarbeiten. Das kündigten Sprecher von SPÖ und FPÖ am Sonntag an. Ein Antrag dazu werde wohl schon bald im Parlament eingebracht.

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